Hypnose gilt als bewährtes Verfahren in der Medizin und Psychotherapie. Es soll gegen Schmerzen und Ängste helfen.
Trance für die GesundheitWie Hypnose bei ärztlichen Behandlungen helfen kann
Welche drei Begriffe verbinden Sie mit Entspannung? „Sonne, Strand, Meer“, antwortet eine Patientin. „Berg, Wind, Motorrad“ oder „Wald, Vögel, Tannenduft“, sagen andere. Wenn sich bei Zahnarzt Thomas Wolf Patienten unter Hypnose behandeln lassen wollen, macht er zunächst einen Untersuchungs- und Beratungstermin aus, um herauszufinden, welche Wörter bei ihnen mit positiven Gefühlen verknüpft sind. Ebendiese Begriffe verwendet er später, um die Patienten in Trance zu versetzen.
Wie groß der Effekt ist, hängt an der Vorstellungskraft der Person ab
Das hört etwa so an: „Schließen Sie die Augen und begeben Sie sich an einen Ort, an dem Sie sich wohlfühlen, etwa an einen Strand am Meer.“ Dadurch versetzt sich der Mensch im Zahnarztstuhl in einen angenehmen Zustand, der ihn für Schmerzen und Ängste weniger empfänglich macht. Wie groß der Effekt ist, hängt stark davon ab, wie sehr sich jemand in die Vorstellung vertiefen kann.
Auch wenn es nach einer Varieténummer klingt: Hypnose ist ein bewährtes Verfahren, das in der (Zahn-)Medizin, Psychosomatik und Psychotherapie angewandt wird. „Die meisten Leute kommen zu uns, weil sie Unbehagen oder Angst vor einer Zahnbehandlung haben“, sagt Wolf, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose (DGZH).
Hypnose funktioniert bei Kindern wegen ihres Vorstellungsvermögens sehr gut
Auch bei Allergien gegen Medikamente, die zur Lokalanästhesie eingesetzt werden, bei Würgereiz und Zähneknirschen kann das Verfahren helfen. Eine große Rolle spiele Hypnose bei Zahnbehandlungen von Kindern. Aufgrund ihres großen Vorstellungsvermögens funktioniere die Technik bei ihnen besonders gut und lasse sich in andere Gesprächsführungstechniken einbauen.
Das griechische Wort „hypnos“ bedeutet Schlaf. Doch diese Ableitung führt in die Irre: Hypnotisierte Menschen sind bei Bewusstsein, befinden sich allerdings in Trance. Solche Trancezustände sind etwas ganz Natürliches: Das Phänomen tritt häufig auf, wenn man etwas sehr konzentriert tut – zum Beispiel Musik hört und dabei sozusagen abtaucht.
Es ist wichtig, sich nur von qualifizierten Fachleuten behandeln zu lassen
Die durch Hypnose hervorgerufene Trance ist allerdings meist länger und intensiver. Der Psychologe Klaus Hönig, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hypnose (DGH), spricht von einem „neurophysiologisch veränderten Bewusstseinszustand“, in dem man intensivere innere Vorstellungsbilder hat. Gedanken, Gefühle und körperliche Reaktionen sind in diesem Zustand besser zugänglich und leichter zu beeinflussen.
Das macht einen Menschen aber auch besonders verletzlich. Deshalb ist es wichtig, sich nur von qualifizierten Fachleuten behandeln zu lassen. In der Regel sind das Ärztinnen, Zahnärzte und Psychotherapeuten mit einer Zusatzausbildung in Hypnose. Adressen finden sich etwa auf den Internetseiten der Fachgesellschaften DGH und DGZH.
Mit Hokuspokus hat Hypnose, wenn sie seriös angewandt wird, nichts zu tun. Im Kern ist sie eine Entspannungstechnik, die mit dem autogenen Training verwandt ist. Dennoch denken bei dem Stichwort viele Leute an Esoterik und billigen Bühnenzauber.
„Wenn Sie den Begriff ‚Hypnose‘ ins Internet eingeben, bekommen Sie zu 80 Prozent unseriöse Angebote“, beklagt Hönig. „Scharlatane und Gaukler, die Showhypnosen anbieten, machen leider oft effektiv Werbung.“ Bei solchen Events geht es bloß um Unterhaltung, nicht um Therapie – etwa die von Schmerzen.
Einige Patienten empfinden durch Hypnose keinerlei Schmerzen bei der Behandlung
Dass Hypnose medizinisch helfen kann, ist mittlerweile wissenschaftlich anerkannt. Laut Deutscher Schmerzgesellschaft ist sie „für die Behandlung akuter Schmerzen und auch für die Therapie chronischer Schmerzen geeignet“.
Bei einer Zahnbehandlung lässt sich durch Hypnose in den meisten Fällen eine mittlere Schmerzreduktion erreichen, sagt Wolf. Allerdings wirkt das Verfahren unterschiedlich. Rund 25 Prozent der Patientinnen und Patienten, schätzt der Zahnarzt, sprechen so stark auf Hypnose an, dass sie keinerlei Schmerzen mehr spüren.
Hypnose geriet seit der Entwicklung chemischer Narkosemitte in Vergessenheit
Tatsächlich haben Ärzte Hypnose genutzt, um Patienten Operationen erträglicher zu machen. Legendär ist der schottische Arzt James Esdaile (1808–1859), der in Indien circa 300 schmerzfreie Operationen, darunter Amputationen, an Hypnotisierten vorgenommen haben soll. Mit der Entwicklung chemischer Narkosemittel geriet das Verfahren jedoch in Vergessenheit.
Auch bei Ängsten lässt sich Hypnose einsetzen. Aus Studien gibt es Hinweise, dass sie etwa bei Prüfungsangst helfen kann. In der Leitlinie „Zahnbehandlungsangst beim Erwachsenen“ allerdings wird Hypnose – zumindest bei schweren Fällen – nicht empfohlen.
In einigen Fällen kann auf eine Vollnarkose verzichtet werden
Die Wirksamkeit des Verfahrens sei nicht belegt. Demnach zeigte sich in der einzigen Studie, die den Kriterien der Leitlinie entsprach, dass die Patienten und Patientinnen sich nach einer Behandlung in Hypnose nicht wesentlich weniger vor dem Zahnarztbesuch fürchteten als vorher.
Bei krankhafter Zahnbehandlungsangst soll Hypnose nicht angewandt werden, da Verhaltenstherapie wesentlich wirksamer sei, heißt es in der Leitlinie. „Diese Negativbewertung ist irreführend und falsch“, kritisiert Wolf. „Es geht uns nicht darum, die Angst mitsamt ihrer Ursachen zu therapieren. Wir wollen nur erreichen, dass man Angstpatienten behandeln kann.“ Manche zittern nämlich derart vor Bohrer und Zange, dass sie ihr Gebiss in Vollnarkose sanieren lassen. „Durch Hypnose lässt sich so ein drastisches Vorgehen, das lebensbedrohlich sein kann, in einigen Fällen vermeiden“, sagt Wolf.
Hypnotherapie kann auch bei Süchten helfen
Wissenschaftlich anerkannt ist Hypnose als Therapie seit einigen Jahren bei Abhängigkeiten, insbesondere bei der Raucherentwöhnung. Auch beim Abnehmen kann sie helfen, doch verschwinden die Pfunde dabei nicht wie von Zauberhand. Vielmehr wird die Trance genutzt, um das Unterbewusstsein so zu beeinflussen, dass man seine Gewohnheiten ändert und sich gesünder ernährt.
Neue Erkenntnisse gibt es beim Thema Depressionen: Forschende der Universität Tübingen konnten in einer Studie nachweisen, dass sich mit Hypnotherapie leichte bis mittelschwere depressive Episoden genauso gut behandeln lassen wie mit kognitiver Verhaltenstherapie.
Bei dieser würden die körperlich-emotionalen Aspekte vernachlässigt. Das zeige sich darin, dass Patienten manchmal Sätze sagten wie: „Ich verstehe, was Sie meinen, aber ich spüre es nicht.“ Hier kann eine Trance, in der Emotionen leichter zugänglich sind, helfen.
Nur bei schätzungsweise 5 bis 10 Prozent der Menschen klappt es nicht mit der Hypnose. Ob man dazugehört, lässt sich nur durch Probieren herausfinden. Das geht in der Regel gefahrlos, da das Verfahren kaum Risiken und Nebenwirkungen hat. Allenfalls könnten längere Benommenheit oder Kopfschmerzen auftreten, berichtet Hönig.
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