Vor allem nach der Corona-Pandemie beobachten Fachmediziner einen Anstieg von Cybercrime und Cybermobbing.
„Das Netz vergisst aber nicht“Cybermobbing-Opfer oft Kinder – Polizei in Rhein-Erft klärt auf
Die 14 Jahre alte Lena hatte sich nichts dabei gedacht, als sie ein paar Nacktfotos von sich an ihren Freund schickte. Doch der verbreitete die Bilder im Chat. Lena wurde gemobbt und beschimpft: „Fette Bitch“ wurde sie genannt. Und: „Schlampe“. Lena bekam Angst. Die Kommentare wurden immer gemeiner – und Lena wurde immer stiller.
Erst nachdem die Polizeihauptkommissare Martina Rautenberg und Guido Kümpel vom Kommissariat Kriminalprävention und Opferschutz im Internet der Kreispolizei einen Vortrag zum Thema Cybercrime in Lenas Schule hielten, nahm das Mädchen allen Mut zusammen. Es erzählte ihrer Mutter von den Vorfällen. Die beiden gingen noch am selben Tag zur Polizei und erstatteten Anzeige.
Nach der Corona-Pandemie sind die Fälle von Cybercrime gestiegen
Ein Einzelfall ist Lena nicht. Vor allem nach der Corona-Pandemie beobachtet die ärztliche Direktorin und Chefärztin der Oberberg Fachklinik in Hürth, Dr. Andrea Stippel, einen Anstieg von Cybercrime und Cybermobbing. „Die Kinder und Jugendlichen werden in den Chats sogar regelrecht angeheizt, sich selbst zu verletzen oder aber extrem abzunehmen“, berichtet sie. In der Fachklinik wird auch Kindern wie Lena geholfen – ambulant oder stationär. Seit einigen Wochen hat die Klinik eine eigene Schule.
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Unter dem Titel „Cybercrime und Opferschutz im digitalen Schülerleben sowie Präventionsstrategien und therapeutische Konzepte“ stand jetzt eine Tagung in der Oberberg Klinik, an der Ärzte und Therapeuten aus der Region teilnahmen. Ergänzend zu den Fachvorträgen schilderten Rautenberg und Kümpel die Lage aus polizeilicher Sicht.
„Heute lockt man die Kinder nicht mehr mit Süßigkeiten, sondern mit WLAN“, sagt Rautenberg. Viel zu oft seien die Kinder ganz allein auf sich gestellt im Netz unterwegs. Rautenberg kennt die verschiedenen Plattformen – von Instagram über TikTok, YouTube und Signal bis hin zu BeReal, BaseChat und Chatroulette, das eigentlich nur für Erwachsene gedacht ist.
Gerade in jüngster Zeit sei es verstärkt vorgekommen, dass die Kinder und Jugendliche auf TikTok zu Mutproben animiert würden, die vereinzelt im Krankenhaus endeten. Sehr gefährlich sei es, wenn sich Erwachsene in die Foren der Kinder schlichen und sich als Gleichaltrige ausgäben, um das Vertrauen der Kinder zu gewinnen. „Im schlimmsten Fall kann es sogar zu realen Treffen und zum sexuellen Missbrauch kommen“, warnt die Polizeihauptkommissarin.
Und auch mit Cybermobbing kennen sich Rautenberg und ihr Kollege aus. „Mobbing in der Schule gab es auch schon früher“, sagt Kümpel. Doch da habe es noch ein Wochenende und einen Alltag nach dem Unterricht gegeben. „Heute sind die Kinder 24 Stunden, sieben Tage die Woche online“, sagt er. Im Netz falle auch die Hemmschwelle, viele User seien anonym unterwegs.
Dass Teenies freiwillig Nacktaufnahmen von sich an Menschen verschicken, die sie überhaupt nicht kennen, ist laut Rautenberg fast schon normal. Vor nicht allzu langer Zeit hätten die Heranwachsenden vor Scham mitunter sogar an Selbstmord gedacht, wenn die Täter mit einer Veröffentlichung der Aufnahmen drohten.
Kinder ins Netz begleiten, so wie früher zur Schule
Das sei heute oft anders: „Sie genieren sich nicht, sondern finden es cool, dass ihre Fotos oder Videoclips online für alle zu sehen sind“, sagt Rautenberg. „Das Netz vergisst aber nicht“, warnt sie. „Begleiten Sie ihre Kinder ins Netz, so wie früher auf dem Weg zur Schule“, appellierte sie an die Eltern. „Bleiben Sie mit ihren Kindern im Gespräch, stellen Sie Regeln auf und seien Sie Vorbild.“
„Sicher im Netz“ heißt auch der Podcast, in dem die Kommissare über Gefahren im Internet aufklären. In der nächsten Folge Mitte Dezember geht es um Sexting – also um das Versenden von Nacktaufnahmen.
Der Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeut Dr. Dr. Armin Claus leitet kommissarisch die Klinik für KJPP in Köln-Holweide. Dort werden auch Kinder und Jugendliche therapiert, die internetsüchtig sind. Jungen zockten meistens, doch Mädchen seien unterm Strich gefährdeter und häufig in den sozialen Medien aktiv. Als mögliche Anzeichen für eine Internetsucht nennt Claus: Das Absinken der schulischen Leistungen und die Vernachlässigung der Hobbys. Viele Betroffene ziehen sich zurück und vernachlässigen irgendwann sogar die Körperhygiene.
Das Kommissariat Kriminalprävention und Opferschutz ist unter 02271/814848 und per E-Mail ansprechbar. (mkl)