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Samba-Tanzshow„Brasil Brasileiro“ kommt nach Köln

Lesezeit 5 Minuten

Jongo wurde in Afrika als Rundtanz zelebriert, später bei religiösen Zusammenkünften im ländlichen Brasilien.

Irgendwann zwischen Lidstrich und Lippenstift schaut Roberta Carvalho in den Spiegel, hält kurz inne und überlegt. Was der Kern von Samba ist? Ihn ausmacht? Das Licht in der Fundicao Progresso, dem kleinen Kulturzentrum in Rios Zentrum, ist schwach. Sie muss sich konzentrieren, um sich für ihre Probe schminken zu können. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit, viele ihrer Mittänzer sind schon fertig. So eine Frage aber bringt sie kurz aus dem Konzept. Zu knifflig, sie in kurzen Sätzen zu beantworten? „Man muss verstehen“, erklärt sie, während sie ihre langen schwarzen Haare unter ihre Kopfbedeckung steckt, „Samba ist das Alphabet, mit dem sich die Menschen hier verständigen.“ Vorsichtig legt sie sich eine Holzkette um den Hals, ordnet die Gedanken. „Musik hat sehr viele Formen von Kommunikation. Samba aber ist eine Sprache, die niemand lernen muss.“ Danach tippelt Roberta eilig auf die Bühne zu den anderen, barfuß. Sie warten schon.

Vom 29. Juli bis zum 10. August ist die Tanzshow in der Kölner Philharmonie zu sehen. Tickets kosten ab 22 Euro (zzgl.

Vorverkaufsgebühren) und sind erhältlich über den Ticketservice der Philharmonie:

☎ 0221 / 280280,

oder online unter

www.bb-promotion.com

www.koelner-philharmonie.de

Tanzshow „Brasil Brasileiro“

Roberta wird mit 24 weiteren Tänzern bald in Europa auf der Bühne stehen, weit weg von dem kleinen Tanzsaal in Lapa, in dem sie übt. Und ihrer Heimat Rio de Janeiro. In der Tanzshow „Brasil Brasileiro“ wird es um Samba gehen. Um die Musik, den Tanz und die Menschen, die ihn tanzen. Ihren Stolz, Samba den Europäern auf einer Showbühne zeigen zu dürfen, kann sie in viele Worte fassen, wie jeder hier. Sie spricht dann von Lebensgefühl, von brasilianischem Puls, erzählt davon, wie sie sich schon als Kind eng mit dem Tanz verbunden fühlte. Erst war es reines Freizeitvergnügen. Später gehörte sie den unterschiedlichsten Sambaschulen von Rio an. 17 Jahre lang beschäftigt sich die Mittzwanzigerin schon mit Samba. Sie war in TV-Sendungen zu sehen und belegte in vielen Wettbewerben Platz eins.

Der Tag vor der Probe ist sonnig, aber nicht zu warm. Typisch für den brasilianischen Winter. Matheus Oliverio ist ebenfalls Teil des Ensembles von „Brasil Brasileiro“. Mangueira ist sein Zuhause, eine Favela im Norden der Stadt. Während er die steilen Treppen empor steigt, hin und wieder mit großem Schritt über die Rinnsale tritt, die sich die engen Gassen abwärts schlängeln, erklärt er sein ganz eigenes Samba. Matheus ist tief verwurzelt mit seiner Heimat. Mangueira, das wie die meisten Favelas wie eine Kletterpflanze einen Berghang hinauf wächst, hat eine der ältesten Sambaschulen von Rio. 1928 wurde sie von Matheus’ Großvater gegründet. Xangô de Mangueira, sein Vater, war bekannter Sänger und Komponist, und wurde Harmoniedirektor der Estação Primeira de Mangueira. Und ein Vorbild für Matheus. Sambarhythmen machen schon früh einen großen Teil in seinem Leben aus, bis heute.

Das Sprachrohr der Favelas

Wenn er von seiner Familie erzählt, von Mangueira und davon, wie sehr ihn dieser Teil Rios nicht nur im Tanz geprägt hat, dann bleibt Matheus kurz stehen und zieht einen großen Halbkreis in die Luft. Über das improvisierte Leben der Menschen hier hinweg. Über Bretterbuden, umher liegende Ziegel, den Duft von frisch Gekochtem und Mörtel. „Der Samba geht über alle sozialen Schichten hinweg“, sagt er. „Keiner ist weniger oder mehr wert. Alle sind gleich.“ In den Favelas liegt die Geburtsstätte des Samba – als Sprachrohr der schwarzen Unterschicht. Hier erhielt er den Namen „Samba de morro“: Samba von den Hügeln.

Am liebsten zeigt Matheus seine Schule, die einzige Sambaschule, die nach ihrem Standort benannt ist und auch dort steht. Ein großes Gebäude, das in den Vereinsfarben grün und pink geschmückt ist. Hier schlagen große Trommeln, die Surdos, hier schlägt das Herz der Menschen von Mangueira. Ein Ort, der das gesellschaftliche Miteinander fördert. Nicht nur eine Stätte der Begegnung, sondern auch des Schutzes. „Die Schule will nicht nur Kindern Samba beibringen“, erklärt Matheus, der auch Sambalehrer in der Schule ist. „Sie bietet ihnen Perspektiven, Anreize fürs Leben. Und bringt sie von der Straße weg, von Kriminalität und Drogen.“

Samba Partido Alto

Die Sonne versinkt schnell hinter Rio de Janeiros Horizont. In dem kleinen Tanzsaal haben sich Roberta und Matheus in einen Kreis aus Tänzern eingereiht. Alle tragen traditionelle, afrikanische Kleidung. Sie gehen in die Hocke, schlagen rhythmisch mit den Händen auf den Boden und fangen an zu singen. Ein Gesang, der mehr wie ein Gebet wirkt. Dazu schlagen zwei große Trommeln mit eingängiger Gleichmäßigkeit. Die Probe beginnt mit dem Samba Partido Alto, der auf eine ursprünglichen Form des Tanzes zurückgeht. Er zeigt die afrikanischen Wurzeln des Samba, als Sklaven ihre Kultur mit nach Südamerika brachten. Der angolanische Kreistanz „Semba“ ist die Urform, über die Jahrhunderte hinweg zweigten sich später andere Tanzformen ab – als Folge des kulturellen Mix in Brasilien, aber auch der Einflüsse anderer Musikrichtungen aus der ganzen Welt.

Im Jahr 1917 war erstmals die Rede vom Samba, als der Musiker Ernesto dos Santos seinen Titel „Pelo Telefone“ veröffentlichte. Nachdem ihn die Favelas entdeckten, erreichte er in den vierziger Jahren die weiße Oberschicht als Samba-Canção, mit gedrosseltem Tempo. Von hier aus entwickelte er sich in viele Subgenres, mit akrobatischen Einlagen oder zum Paartanz. Samba ist Tanz auf der Bühne und Tanz in engem Beisammensein. Auf großen Festen, auf der Straße, oder im schummrigen Licht der Tanzbars, der Gafieiras. Samba hat viele Gesichter.

„Ein Großteil ist Improvisation“

Das Ensemble von „Brasil Brasileiro“ um Roberta und Matheus wird viele dieser Gesichter zeigen. „Es ist nicht alles einstudiert“, erklärt Regisseur Claudio Segovia. „Ein Großteil ist Improvisation“. Es geht ihm neben dem Samba um die Persönlichkeiten, die Charaktere. Seine Tänzer haben alle Freiheiten, sich auszudrücken. Während Roberta eine modernere Form zeigt, den jungen Samba aus Rios Nachtleben, wird Matheus seine Sambaschule repräsentieren.

Jeder Tänzer hat eine andere Verbindung zum Samba, eine andere Vorstellung. Er ist nicht nur Kulturbotschafter Brasiliens, sondern auch Überbringer eigener Ideen. Und am Ende wird klar, was Roberta meint, wenn sie Samba als Sprache bezeichnet. Samba ist kein tänzerischer Monolog, er spricht mit den Zuschauern. Und wird zu einem rhythmischen Gedankenaustausch, der niemanden still sitzen lässt.