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Interview Online-Dating„Das hat Warencharakter“

Lesezeit 7 Minuten

Online-Dating ist ja nicht nur eine Kennenlern-Methode, sondern ein kulturelles Phänomen, das die Partnersuche revolutioniert haben soll. Ist das so und wenn ja, inwiefern?

Wenn überhaupt, dann nicht qualitativ sondern quantitativ, in dem Sinne, dass das Internet einige Aspekte der Partnersuche intensiviert hat – zum Beispiel Konkurrenz und Zweckrationalisierung. Nicht umsonst spricht man in diesem Zusammenhang auch von einem Partnermarkt oder der Partnerbörse.

Andreas Schmitz, Soziologe an der Universität Bonn, Schwerpunkt: soziologische Theorie und Methodologie, befasst sich unter anderem mit Partnermärkten

Das klingt sehr ökonomisch, eher nach Waren, die getauscht werden, als nach Menschen, die sich kennenlernen.

Der Marktcharakter ist tatsächlich ein Kennzeichen des Online-Datings – es geht um partnerschaftliche Tauschchancen. Zwar spielten Konkurrenz und Wettbewerb schon immer eine Rolle, wenn um den besten Partner gebuhlt wurde – beim Dorffest, auf dem Schulhof, in der Disco oder Bar. Doch gab und gibt es dort nicht eine derart unüberschaubar große Anzahl von Mitbewerbern auf der ganzen Welt – noch dazu nur einen Klick-weit voneinander entfernt. Online-Dating macht diese Konkurrenz sehr bewusst – weshalb es vor allem darum geht, sich bestmöglich zu inszenieren ...

..und vermeintliche Fehler zu kaschieren, kurz: Zu Schummeln was das Zeug hält.

Wir konnten tatsächlich zeigen, dass es beim Online-Dating eine weit verbreitete Strategie ist, eigene Schwächen bei der Selbstdarstellung etwas zu verheimlichen oder wenigstens leicht zu kompensieren. Schließlich ist das eigene Profil, besonders das Foto, die persönliche Visitenkarte. Deshalb ist es nicht nur verlockend, sich dort positiv darzustellen, es ist beinahe zwingend notwendig. Denn die Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Interesse ist, wie gesagt, wesentlich höher als in der Bar. Deshalb machen sich Männer oft ein paar Zentimeter größer, als sie sind, Frauen ein wenig leichter. Vergleicht man die Gewichtsangaben von Frauen auf Partnerportalen mit dem statistischen Mittelwert in unserem Land, sind die Frauen online im Durchschnitt etwas leichter.

Lügen haben bekanntlich kurze Beine...

Es wird ja beim Online-Dating nicht prinzipiell gelogen. Die meisten Männer und Frauen bleiben in ihrem Profil sehr nah an der Wirklichkeit. Außerdem gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass die Flirtpartner aus dem Netz in der Mehrheit auch beim Kennenlernen in Echtzeit die Erwartungen erfüllen. Oder anders gesagt: Die Enttäuschungen oder Realitätsschocks sind gering.

Dennoch geht es, stärker als beim Kennenlernen in der realen Welt ausschließlich um Äußerlich- und damit Oberflächlichkeiten?

Beim Kennenlernen in der Bar spielen neben der Optik, viele andere Reize eine Rolle, die Stimme, die Gestik, Charme. Reize, die man online auf den ersten Blick, oder besser: Klick nicht erfahren kann. Andererseits haben unsere Studien auch gezeigt, dass, wer sich online kennenlernt, schneller wahrnehmen kann, ob er mit dem Gegenüber auf einer Wellenlänge ist. Nutzer von Online-Börsen tauschen sich in der Regel schnell über die eigenen Vorstellungen und Vorlieben aus. Es geht dort eben, neben Äußerlichkeiten, auch um Lebensstile und Bildung – Kriterien, bei denen übrigens auch gerne mal gemogelt wird. Vor allem Frauen lassen beispielsweise häufig ihren Doktortitel unter den Tisch fallen – weil sie glauben, er sei ein strategischer Nachteil.

Also bestimmen auch beim modernen Online-Dating althergebrachte Geschlechterrollen das Geschehen – immer noch?

Anfangs dachten viele Kollegen, dass alte Rollenklischees bei der modernen Partnersuche keine große Rolle mehr spielen, dass das Partner-Suchverhalten egalitärer sei. Unsere Analysen aber zeigen: Die traditionellen Muster und Normen herrschen überwiegend vor. Immer noch sind Männer, was die Kontaktaufnahme betrifft, grundsätzlich aktiver. Frauen sind da ein bisschen zurückhaltender – nach dem Motto: Der Mann hat den ersten Schritt zu tun! Außerdem versucht die Mehrheit der Frauen, einen Partner mit einem höheren Status zu finden, einen Ernährer. Umgekehrt spielen bei den meisten Männern die Kriterien Bildung, Einkommen oder Position der Frau kaum eine Rolle.

Sondern?

Männer achten stark auf physische Attraktivität – und Alter. Sie meiden mehrheitlich Frauen in höheren Gewichtsklassen, Frauen, die größer sind als sie selbst – und älter. Vor allem kontaktieren sie am liebsten blonde und wesentlich jüngere Frauen. Männer klicken beim Durchblättern der Profile erst aufs Foto, dann auf Gewicht, Größe und Alter der Frau. Auch Frauen klicken zuerst auf das Foto, dann aber sofort auf den Beruf. Sie achten in der Regel nur darauf, dass der Mann größer ist als sie selbst – und gleichaltrig oder älter. Frauen interessieren sich also mehr für den Bildungs- und Berufsstatus des Mannes.

Umgekehrt werden Frauen reduziert und zurückgeworfen auf ihr äußeres Erscheinungsbild.

Das ist online aufgrund der Konkurrenz eindeutig stärker der Fall als offline. Wer ein Profil anlegt, zerlegt sich in festgelegte, einzelne Merkmale, ist nicht mehr eine Person in ihrer gesamten Einzigartigkeit und Besonderheit. Wird zum Suchobjekt, zur Ware: Messbar, vergleichbar, bewertbar. Denn nur so kann man im digitalen Dating-Markt gefunden werden. Umgekehrt wird man ja nicht nur selbst bewertet, man kann auch andere bewerten. Was dazu führt, dass man sich selbst stärker hinter- und befragt: Wer bin ich? Was, welchen Partner will ich? Was sind meine Ziele, Wünsche und Bedürfnisse? Welche sollte ein Partner erfüllen?

Womit wir wieder bei der Zweckrationalität, Konkurrenz, beim Warencharakter des Online-Datings wären. Ändert sich dadurch auch unsere Art zu lieben und leben?

Ganz klar: Nein. Online-Dating ist lediglich eine neue Technik der Initiierung, also Begegnung und Kontaktaufnahme. Es ist selbst Ausdruck von Veränderungen unserer Gesellschaft. Von Technisierung, Digitalisierung und Individualisierung. Was aber nach der Kontaktaufnahme passiert, folgt jahrhundertealten Mustern. Hat sich das passende Paar gefunden, ändert das Kennenlernen via Internet doch nichts am sozialen Miteinander, an der Art zu lieben. Niemand würde sagen: Den habe ich aus dem Netz, demgegenüber kann ich mich schäbig verhalten.

Und wie steht es um das Ansehen einer Beziehung, die online entstanden ist?

Es gibt noch immer viele Vorurteile. Die meisten lassen sich empirisch widerlegen. Noch vor zehn Jahren, zu Beginn unserer Forschungen, haftete diesen Partnerschaften das Stigma des Versagens an: Nach landläufigen Vorstellungen waren es Paare, die bei der Partnersuche im „echten“ Leben gescheitert sind – aufgrund äußerlicher oder charakterlicher Makel. Tatsächlich lassen sich Online-Paare hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung – zum Beispiel ihrer Verliebtheit – nicht von Paaren unterscheiden, die sich offline kennengelernt haben. Viele Online-Dater schätzen sich außerdem selbst als sehr attraktiv und auch offline durchaus erfolgreich ein.

Online-Dating wird oft als unromantisch abgetan, weil es Liebe nicht mehr dem Zufall überlasst.

Auch so ein Mythos, der vielleicht zurückzuführen ist auf den Konsum vieler Hollywoodfilme – in denen Liebe mit Zufall und Schicksal assoziiert wird. Dabei ist, ganz im Gegenteil, der relevanteste Grund, dass sich zwei Menschen kennenlernen, die räumliche Nähe. Wer mit wem zusammenkommt ist längst nicht so sehr vom Zufall abhängig wie von soziologischen Faktoren – ähnliche Lebensstile zum Beispiel, gleiche Klassenlage oder geschlechtsspezifische Unterschiede – etwa dass der Mann größer, älter, gebildeter ist als die Frau. Diese Prinzipien werden durchs Internet sehr transparent – aber sie ändern deshalb weder etwas an der Intensität der Beziehung noch an ihrer Qualität.

Welche Chancen, welche Risiken birgt Online-Dating?

Das kommt auf das kulturelle Kapital des Users an. Der einen Klasse von Nutzern eröffnet es viele Chancen, der anderen viele Risiken. Frauen zum Beispiel, deren Körperlichkeit von vielen Männern als attraktiv empfunden wird, haben große Chancen, nach einem Monat erfolgreich zu sein. Bei Frauen dagegen, die als unattraktiv eingestuft werden, ist das Risiko groß, wieder und wieder abgelehnt, vom Markt herabgesetzt zu werden. Das ist ein brutaler Prozess. Auch die Bildung, vor allem die Schriftlichkeit ist von Bedeutung. Ein Mann, der mit intelligentem Witz, ein paar Fremdwörtern und guter Rechtschreibung Kontakt aufnimmt, hat größere Chancen bei bestimmten Frauen als einer, der all das nicht beherrscht.

Zementieren Partnerbörsen also soziale Schichten?

Definitiv: Ja!

Dennoch: Die Erfolgsquote ist beachtlich, mit der Singles online den richtigen Partner finden – und damit auch eine berechenbare Beziehung?

Ob aus dem am PC entstandenen Kontakt eine Beziehung wird, entscheidet sich an exakt den gleichen Kriterien wie beim klassischen Kennenlernen. Während dort vor allem die geografische Nähe, gleiche soziale und kulturelle Netzwerke von Bedeutung sind, spielt auf Partnerbörsen im Netz die Frage nach der Vereinbarkeit der Lebensstile eine größere Rolle. Es geht dort also weniger um Gleichheit als um Kompatibilität.

Braucht es einen (Online-)Dating-Knigge, eine Kennenlern-Ethik?

Ich denke, man könnte kein allgemeingültiges Regelwerk ersinnen. Solch generelle Regeln wären nur Ausdruck der Moralvorstellung einer speziellen Klasse und damit eher ein Herrschaftsinstrument für einige wenige als ein Segen für alle.

Das Gespräch führte Caroline Kron

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