Beikircher über Beethoven„Hervorragender Netzwerker und Opfer der Doppelmoral“
- Mit dem Beethoven-Jahr feiert vor allem Ludwig van Beethovens Geburtsstadt Bonn den 250. Geburtstag des Künstlers.
- Der Bonner Kabarettist, Musiker und Autor Konrad Beikircher hat mit „Der Ludwig - jetzt mal so gesehen“ ein Buch über den Alltag des Künstlers geschrieben.
- Im Interview spricht Beikircher über die rheinischen Eigenschaften, das Temperament, die Essgewohnheiten und das Liebesleben Beethovens.
Köln – Große Sause: 2020 ist Beethoven-Jahr, denn der geniale Komponist wurde vor 250 Jahren geboren. Der Bonner Kabarettist, Musiker und Autor Konrad Beikircher hat sich aber nicht der Musik, sondern des Menschen angenommen und über Leben und Alltag Ludwig van Beethovens geschrieben. Im Interview spricht Beikircher über das Rheinische in dessen Wesen, Beethovens Familie, Geschäftssinn und Vorlieben – kulinarischer und in Liebesangelegenheiten. An seiner Heimatstadt Bonn hat er mit Blick auf Beethoven indes einiges zu kritisieren.
Herr Beikircher, Sie betonen in Ihrem Buch, dass Beethoven ein „Bönnsche Jung“ war – als wäre die Tatsache auch eine Schlüsselqualifikation für seine Karriere gewesen.
Konrad Beikircher: Das meine ich natürlich nicht ganz ernst. Allerdings: Die Musikwissenschaft hat ja jede seiner Noten untersucht, das Rheinische in seinem Wesen ist jedoch bei allen Betrachtungen etwas zu kurz gekommen. Beethoven war einer von hier und ein Republikaner, also kein Monarchist. Ganz unpolitisch im Sinne des heimischen Credos: Vor der Theke sind alle gleich. Wenn sich hier jemand nur auf seine Amts- oder Adelsautorität beruft, der stößt sofort auf Widerstand. In Österreich ist das anders.
Beethoven ging mit Anfang 20 nach Wien. Was hat denn seine Herkunft verraten?
Er hat stets wider den Stachel gelöckt. Eine sehr schöne Anekdote handelt von einem seiner Hauskonzerte. Da baggert so ein adeliger Schnösel ziemlich lautstark eine Baronesse an. Beethoven bittet um Ruhe, vergeblich. Daraufhin klappt er den Deckel zu und sagt, für solche Schweine spiele er nicht.
Das ist rheinisch?
Es hat sicher etwas mit seinem Temperament zu tun, aber es war auch der antiautoritäre Rheinländer in ihm. Er hat, auch köstlich, einem Erzherzog in aller Öffentlichkeit gesagt: „Denken Sie daran, Sie sind adelig. Das teilen Sie mit vielen tausend Menschen. Ich bin einzig.“
Spricht für ein starkes Selbstbewusstsein. Beethoven hat sich früh behaupten müssen. Er zerrte seinen betrunkenen Vater immer wieder aus den Kneipen nach Hause und kümmerte sich um seine Brüder. Was, glauben Sie, hat ihn trotzdem glücklich in Bonn gemacht?
Die Musik. Er arbeitete schon mit 13 Jahren als Hoforganist und bekam 100 Taler Gehalt. Das war schon eine herausragende Angelegenheit – auch wenn man damals als 13-Jähriger älter war als heute in dem Alter. Das hat ihn sicher mit Stolz erfüllt. Er war auch sehr glücklich in der Familie von Breuning, die ihn wie ein Mitglied behandelt und ihn gefördert hat. Außerdem war er Bratschist im Symphonieorchester Bonn. Und man darf nicht vergessen, dass dieses in der Zeit unter dem Kurfürsten führend im deutschsprachigen Raum war.
Sein geschäftssinniger Vater hat ihn tatsächlich unter Angabe eines falschen Alters auftreten lassen. Was an seinem musikalischen Werdegang hat Ludwig ihm zu verdanken?
Der Vater war eher eine arme Socke und unfähig. Er wollte eine Mozart-Tour wiederholen und seinen Sohn als Wunderkind verkaufen. Das hat nicht geklappt. Er hat die Leute sogar mitten in der Nacht ins Haus geholt und seinen Sohn vorspielen lassen. Das war jetzt auch nicht so toll. Andererseits macht es klar: Ludwig hatte damals schon ein großes Publikum. Das muss ihm gefallen haben.
Beethoven gilt als erster moderner Künstler: Es gab keine kurfürstliche Anstellung für ihn, sondern er ging als freischaffender Musiker und Komponist nach Wien. Was kann man heute noch von ihm lernen?
Wie man sich geschickt ins Gespräch und Geschäft bringt. Er war ein Netzwerker par excellence und hat seine Informationen ganz raffiniert lanciert. Zum Beispiel, dass er eigentlich gerne nur für die Kunst leben wolle, aber es leider kein Stipendium gebe, um ihm das zu ermöglichen. Jérôme Bonaparte, König von Westfalen in Kassel, bot ihm daraufhin an, für 600 Dukaten im Jahr das Opernhaus zu leiten. Das Angebot machte Beethoven publik, mit dem Hinweis, dass er sich ja eigentlich als österreichischer Künstler fühle. Das darf man hier gar nicht so laut sagen. Da taten sich drei Wiener Fürsten zusammen, um ihm jährlich 4000 Taler zu zahlen, nur damit er bleibt.
Erfolgreiches Crowdfunding. Arm war er nie?
Er war nicht reich, aber auch nie arm. Er hat sich immerhin einen Haushalt geleistet mit einer Köchin und mindestens einem Diener. Möbel hatte er keine, daran sparte er. Er war eher minimalistisch. Ein Bohemien.
Er ist in seiner Zeit in Wien mehr als 50 Mal umgezogen. Wie ist das zu erklären?
Als Mieter war er unerträglich. Den Mitmietern ist er tierisch auf die Nerven gegangen. Er war laut und polterte, was immer schlimmer wurde, je weniger er hörte. Er wusch sich an seinem Stehwaschbecken und sang oder brüllte vielmehr dabei. Er spielte Klavier bis spät in den Abend hinein und die Klaviere lagen ohne Beine immer direkt auf dem Boden.
Er selbst soll sehr empfindlich gewesen sein.
Ja. Er hat sehr sensibel auf soziale Disharmonie reagiert. Oft ist er ausgezogen, nur weil er von den Nachbarn gebeten wurde, leiser zu sein. Wenn er Widerstand spürte, ist er lieber gleich gegangen.
Er soll auch als Wirtshaus-Gast sehr gewöhnungsbedürftig gewesen sein.
Da gibt es die schöne Geschichte vom Lungenbratl. Als der Kellner mit dem Gericht kam, muss Ludwig irgendetwas daran nicht gefallen haben und warf ihm den Teller an den Kopf. Der Kellner hat sich die Brühe vom Gesicht geleckt und das Gasthaus ist in Lachen ausgebrochen. Beethoven auch. Er hat ihm dann noch ein großzügiges Trinkgeld gegeben. So war er. Impulsiv und explosiv – aber wollte keinen Streit stehen lassen.
Hatte er Humor?
Ja, einen etwas bärbeißigen, trockenen Musikerhumor. Es gibt Zeitzeugen, die berichten, dass er gerne gelacht hat und so ansteckend, dass er allein davon hätte leben können.
Sie haben ihn als, sagen wir mal, bewussten Esser porträtiert.
Er war nie ein Gourmet, das verbot sich allein bei seiner Herkunft. Beethoven, das weiß man, hatte chronische Darmbeschwerden. Verstopfung und Durchfall wechselten sich bei ihm ab. Es gibt sogar Spekulationen darüber, dass dies mit seiner Ohrenentzündung zu tun haben könnte. Darunter hat er wohl sehr gelitten. Er war sich bewusst, dass er aufpassen musste. Er aß wenig Gebratenes, lieber Gesottenes, sehr gerne Suppen, sehr gerne Fisch. Davon allerdings viel. Also, wenn die Köchin kochte, dann fünf Gänge. Er war ja ein kräftiger, athletisch gebauter Mann. Sehr viril mit fast animalischer Ausstrahlung. Jahrelang gab es mittwochs Brotsuppe, in die er zehn Eier geschlagen hat. Das hältst du auf Dauer nicht aus.
Dann kam noch der Alkohol dazu.
Täglich zwei Flaschen Rotwein und eine Flasche Weißwein. Allerdings hatte der Wein damals maximal acht Prozent. Beethoven wusste aber nicht, dass der Wein mit Blei haltbar gemacht wurde. Damit hat er sich allmählich vergiftet.
Woher kamen die Makkaroni mit Parmesan, die er angeblich so liebte?
Das finde ich ja auch witzig. 1750 fingen die Italiener an, nicht nur mit ihren Opern in Wien präsent zu sein. Wien war dank Paganini und Rossini im veritablen Italientaumel – mit einigen Kollateralschäden wie eben den Makkaroni mit Parmesan. Eine seiner Leibspeisen.
Wie ging denn der virile Beethoven mit der Prüderie dieser Zeit um?
Gespalten, nehme ich an. In dieser Zeit wurde das Ideal der Liebe propagiert. Beethoven war schon sehr testosterongesteuert, war nie verheiratet, aber ständig verliebt. Immer kurz und immer in die Falschen. In die verheirateten Gräfinnen, die in Wien jeder kannte. Oder in die Kellnerinnen, die im Stande zu niedrig waren. Sex ohne Liebe ging angesichts der neuen Moral nur mit schlechtem Gewissen. Er bat seinen Freund immer wieder mal, ihm Trottoir-Schwalben zuzuführen. Es ist sehr interessant, wie er das verklausulierte. Er konnte ja nicht sagen: Hole mir mal was Blondes. Er wusste, dass seine Briefe aufbewahrt würden und schrieb, er wolle mal wieder eine Festung erobern, aber bitte nicht eine, durch die schon viele Soldaten durchgeschritten sind.
Ach herrje.
Ja. Er war absolut Kind seiner Zeit und Opfer der damals beginnenden Doppelmoral, die ja alle nachfolgenden Generationen enorm geprägt hat. Die Überhöhung der Liebe – ich meine, ist das der richtige Weg, um für immer ein glückliches Paar zu sein?
Beethoven hat ein Testament geschrieben, das einem sehr ans Herz geht, weil er darin beschreibt, wie sehr er missverstanden wird. Dass er Angst vor der Gesellschaft hat, die er gleichzeitig vermisst. Haben Sie Mitleid?
Ja, absolut. Keine Frage. Weil Beethoven so breitbeinig und tollpatschig in seinem Leben und sich selbst im Wege stand. Von außen gesehen ist das traurig, aber ob er selbst darunter gelitten hat, weiß ich nicht. Er hat an sich die unglaubliche Forderung gestellt, nur für die Kunst leben zu wollen. Damit hat er sich Bretter auf den Kopf gelegt, mein lieber Herr Gesangsverein!
Sie meinen, das soziale Unglück war der Preis für sein Künstlerdasein?
Ein sehr hoher Preis. Aber andererseits: Wenn ich den letzten Schluss-Satz der Neunten hörte, denke ich mir auch, mehr hat kein anderer erreicht.
Er hörte immer schlechter, wurde misstrauischer und depressiver. Aus Ihren Beschreibungen seines Lebens liest man heraus, wie sehr Sie ihn für seine Disziplin bewundern.
Ja. Sie ist jenseits des Begreifbaren. Diese Fähigkeit, trotz des chaotischen, verwahrlosten Lebensstils weiter zu arbeiten, ist bewundernswert. Er ist nie ohne Notizblätter losgegangen. Man weiß, dass sein Komponieren ein ständiger Prozess war. Nicht so wie bei Mozart, der alles im Kopf hatte und es nur niederschreiben musste. Man muss sich nur einmal die Partituren Beethovens mit seinen handgeschriebenen Anmerkungen ansehen. Wie der gewühlt und gekämpft hat! Er war ein Ausnahmemensch, wer weiß da schon, welche Dinge für ihn jenseits der Musik das Leben lebenswert gemacht haben.
Gibt es eine Frage, die Sie ihm gerne stellen würden?
Ja, die nach den persönlichen Lebensbezügen. Von Katholik zu Katholik würde ich gerne mit ihm über die Schere der idealisierten Liebe und dem körperlichen Vollzug im Bett sprechen. Wie hat er das erlebt?
Sie fühlen sich gerade in diesem Aspekt mit ihm verbunden?
Das habe ich erst vor einigen Jahren gemerkt. Ich war Schüler in einem Franziskaner-Internat und ich werde niemals das Exerzitienbuch vergessen, das wir immer dabei hatten. Es hieß „Jugend zu Gott“. Ein grauenhaftes Ding. Darin stand alles, was einem ein schlechtes Gewissen machen musste – und am Ende machte es einem auch Angst davor, sich einer Frau zu nähern. Das hat mich furchtbar verunsichert und Beethoven muss es da ähnlich ergangen sein. Er war ziemlich ungeschickt im Umgang mit Frauen.
Gibt es besondere Momente, in denen Sie Beethoven hören?
Oh ja. Wenn ich zum Beispiel seine Briefe lese oder meine Sendungen vorbereite, also arbeite – dann höre ich die Klaviersonaten, am liebsten gespielt von Emil Gilels. Da kenne ich jede Note, muss nicht so genau hinhören und kann sie als Wolke um mich haben. Und manchmal sitze ich im Bett, höre einfach nur so das Streichquartett aus Opus 131 und denke, eigentlich müsste ich jetzt was tun.
Sie sind als Beethoven-Fan und Bonner ziemlich unglücklich damit, wie die Stadt mit ihrem Erbe umgeht. Was läuft denn in Ihren Augen schief?
Ich habe das Gefühl, dass die politischen Verantwortlichen sich nicht darüber bewusst sind, was für ein Pfund sie mit Beethoven haben. Sie gehen mir zu wenig ernsthaft damit um. Nun hat beispielsweise ein Lokalpolitiker gesagt, er freue sich im kommenden Festspieljahr vor allem darauf, dass bald das Dreigestirn aus Köln nach Bonn komme. Also bitte.
Was fehlt?
Schauen Sie mal nach Pesaro. Die Stadt ist ein bisschen kleiner als Bonn, feiert aber Rossini mit großem Stolz. In Salzburg stößt du überall auf Mozart-Begeisterung. Oder ein anderes Beispiel: Ich war vor 20 Jahren in München mal im Bahnhof bei einem Friseur, der legt mir seinen Plastik-Umhang um und fragt mich: „Was sagen Sie denn zu der Freischütz-Inszenierung?“ Das hat mich vom Sessel gehauen. Mit fehlt dieser allgemeine Tenor.
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Was läuft denn in Bonn gut?
In Bonn ist toll, dass sich heute eine ganze Reihe von privaten kleinen und mittelgroßen Initiativen um Beethoven kümmern. Das Augustinum zum Beispiel organisiert ein tolles Programm. Aber diese kleinen Beethoven-Statuen von dem Nürnberger Künstler. Naja. Wieso nicht gleich Beethoven als Gummibärchen? Das ist so kleinkariert, und deshalb tue ich mich damit schwer.
Und Ihre Idee, Ludwigs Muzen-Mandeln einzuführen?
War nicht ernst gemeint. Mozartkugeln sind jetzt auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Es wäre einfach schön, wenn mehr Geschmack und mehr Stil ins Gedenken gebracht würde. Wie zum Beispiel ist die Resonanz auf Beethoven bei den heutigen Kunstschaffenden, Komponisten und Filmemachern? Das herauszufinden, fände ich interessanter als zum 100. Mal die Neunte aufzuführen. Aber nun denn. Jetzt haben wir mit 2027 noch eine Chance, dann feiern wir den 200. Todestag Beethovens. Vielleicht packen wir’s dann zumindest mit dem Festspielhaus.