AboAbonnieren

Geschichte der PhilharmonieÜber Husten im Konzertsaal und Feldbetten im Foyer

Lesezeit 4 Minuten

Alfred Brendel ärgerte sich über Huster im Publikum und verewigte die Philharmonie in seinem Gedicht „Die Huster von Köln“.

Köln – Den Einweihungsakt an jenem Sonntagmorgen des 14. September musste er zu Hause am Bildschirm verfolgen: Mauricio Kagels Festrede auf die Kölner Philharmonie, die in dem Satz „Wir gratulieren uns alle “ gipfelte, dazu Zimmermanns „Photoptosis“ und Schumanns Rheinische Sinfonie als rahmende Musikstücke, dargeboten vom Gürzenich-Orchester unter dem neuen Kölner Generalmusikdirektor Marek Janowski.

Aber am Abend jenes initialen Philharmonietages durfte der Verfasser dieser Zeilen an einem der ersten Großereignisse im neuen Musentempel mitwirken: als einer von 600 Kölner Chorsängern, die – wiederum mit dem Gürzenich-Orchester unter Janowski – Mahlers achte Sinfonie aufführten.

Der nüchterne Mann am Pult hatte das von ihm nicht sehr geschätzte Werk ausgewählt, um die akustischen Möglichkeiten des Raumes zu testen (von denen er bis zum Schluss seiner kurzen Amtszeit nicht überzeugt war). Das Publikum teilte diese Kritik nicht:

Es war begeistert, enthusiastisch, dankbar – und der Funke sprang sofort auf die Kulturbürgerschaft über. Trotz eines auch quantitativ gigantischen Programms für die Eröffnungssaison, das Gründungsintendant Franz Xaver Ohnesorg aufgelegt hatte, konnte die Kartennachfrage nicht befriedigt werden.

Das Eröffnungskonzert mit Mahlers achter Sinfonie

Reichlich Prominenz

Die Begeisterung über das neue kulturelle Zentrum rührte freilich auch daher, dass hier von Anfang Kunst auf internationalem Niveau präsentiert wurde. Orchester, Solisten und Dirigenten, die bislang um Köln wegen der unzureichenden Aufführungsbedingungen einen Bogen gemacht hatten, musste man jetzt nicht mehr lange bitten.

Gipfeltreffen: Mauricio Pollini und Pierre Boulez in der Philharmonie.

Die Münchner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache, die Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado, das Chicago Symphony Orchestra unter Daniel Barenboim, das New York Philharmonic unter Kurt Masur. Cecilia Bartoli, Mauricio Pollini, das Amadeus-Quartett, Sjatoslav Richter – die Liste der Weltstars, die in der Philharmonie gastierten, ist lang.

Und sie kamen immer wieder – auch Alfred Brendel, obwohl er sich über den gut hörbaren Konzerthusten ärgerte und die Philharmonie in seinem Gedicht „Die Huster von Köln“ verewigte. Manche Künstler, etwa der britische Dirigent Daniel Harding, erscheinen mit unterschiedlichen Partnern so oft in Köln, dass sie im philharmonischen Foyer ein Feldbett aufschlagen könnten.

Heimstätte für viele städtische Verwandschaften

Freilich spielte das Haus von Anfang an auch die lokale Karte – und vermied so die Verwechselbarkeit mit anderen global orientierten Konzerthäusern: Nicht nur dem Gürzenich- und dem WDR-Sinfonieorchester, sondern auch etwa den zahlreichen ambitionierten Chören der Stadt bot der Saal von Anfang an eine Heimstatt.

Yannick Nézet-Séguin

Der Zusammenbruch des Bildungsbürgertums

An der Qualität der Agenda hat sich seit 30 Jahren nichts geändert, und dennoch ist die Philharmonie heute nicht mehr dieselbe wie damals. Schwindende Subventionen, der Zusammenbruch des Bildungsbürgertums von ehedem und das Ablenkungspotenzial eines riesigen Freizeitangebots in der Umgebung erzwangen Veränderung.

An der „Politik“ der bisherigen drei Intendanten – Ohnesorg (bis 1999), Albin Hänseroth (bis 2004) und Louwrens Langevoort (seit 2005) – ist der Wandel ablesbar: Ohnesorg gründete zwecks Ressourcensteigerung das Kuratorium Köln-Musik e.V. und rief 1994 die Kölner Musik-Triennale für den „Klang des (20.) Jahrhunderts“ ins Leben. Sie fand später im „Acht Brücken“-Festival unter stark veränderten Bedingungen einen alljährlich platzierten, mittlerweile weithin beachteten Nachfolger.

Jazz und neue Musik

Hänseroth forcierte den Jazz und die Neue Musik, auch die Weltmusik, Langevoort öffnete mit innovativen Formaten wie „Philharmonie-Lunch“ und „Philharmonie-Veedel“ konsequent das Haus zur Stadt hin, stärkte das Vermittlungsprogramm.

Den Draht zum Publikum zu halten, scheint in der Tat wichtiger denn je zu sein – wenn Zuhörer ihre Interessen beschädigt sehen, erzwingen sie heute schon mal den Abbruch eines Konzerts. Wie im Februar dieses Jahres beim Auftritt des Cembalisten Mahan Esfahani geschehen.

Über die Jahre „Höhepunkte“ im philharmonischen Konzertreigen zu benennen, ist naturgemäß schwierig. Die Prämierung ist stark subjektiv und auch insofern ungerecht, als der Juror unmöglich alle fraglichen Konzerte besuchen konnte. Der Verfasser dieses Artikels benennt also im Anschluss ohne jeden Anspruch auf Verbindlichkeit einige „seiner“ Sternstunden:

Thomas Hengelbrocks Aufführung von Purcells „King Arthur“ im Oktober 2005, Mozart-Arien mit Magdalena Kozena im Dezember 2006, Messiaen und Bruckner mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle im Februar 2009, Mozart-Konzerte mit András Schiff im Februar 2014, Schostakowitsch mit der Geigerin Lisa Batiashvili und dem Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin im Mai 2015. So könnte er weitermachen...