AboAbonnieren

50 Jahre Bläck Fööss„Wir haben die Popmusik auf die kölschen Bühnen gebracht“

Lesezeit 9 Minuten
Unbenannt

„Männer“ sangen die Bläck Fööss, jetzt mit Willi Schnitzler (l.), zum 20. Geburtstag im Millowitsch  a capella.

  1. 50 Jahre Bläck Fööss – mit einer Serie feiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Geburtstag der „Mutter aller kölschen Bands“.
  2. Wir liefern Geschichten, Hintergründe und Auswirkungen einer einmaligen Erfolgsgeschichte.
  3. Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen Erry Stoklosa und Bömmel Lückerath über Tommy Engels Ausstieg und die Zukunft der Bläck Fööss.

KölnDer mehrstimmige Gesang der Bläck Fööss war und ist der Unterschied zu allen anderen Bands. Vorher gab es die Vier Botze, ansonsten waren maximal drei Leute auf der Bühne wie beim Eilemann-Trio. Und dann kamen Sie zu sechst – wegen des Sounds?

Erry: Nur in der Session 1971 waren wir zu dritt, danach traten wir zu sechst auf. Die anderen hat man nur nicht gesehen, weil die im Orchester standen (lacht).

Bömmel: Die drei hatten mit ihren zwei akustischen Gitarren überhaupt keinen Klangkörper. Und nicht bei jedem Auftritt gab es ein Orchester. Der Joko spielte dann Quetsch, Hartmut und ich haben über einen Kofferverstärker Bass und Sologitarre gespielt. Und das klang gut, wenn man sich alte TV-Aufnahmen ansieht. Im Karneval waren wir die Ersten, die mit E-Gitarre und später E-Piano auftraten. Wir haben die Popmusik auf die kölschen Bühnen gebracht.

Alles zum Thema Bläck Fööss

Erry: Das war für die Sänger schon ’ne Quälerei. Anfangs gab es für alle drei nur ein Mikro. Der arme Tommy musste fast immer die Verse singen, Peter und ich haben mitgesungen. Bei den Anlagen warst du sehr schnell heiser gesungen. Eine Session, ich glaube 1985, hatten wir „Wasser“, „Kathrin“ und „Kaczmarek“ – da war der Tommy nach zehn Tagen platt. Das hält kein Stimmband aus. Heute hast du In-Ear-Monitoring (kleine Kopfhörer, mit denen Musiker die eigene Musik hören, Anm. d. Red.), das ist der totale Luxus. Ich benutze die seit drei Jahren und war nie wieder heiser. Wenn du siehst, wie die jungen Bands heute ihre Kraftwerke aufbauen – hallo? Im Gürzenich hingen ein paar Siemens-Boxen, reine Sprach-Anlagen. Man muss allerdings dazu sagen: Im Saal war es auch mucksmäuschenstill. Die Leute haben zugehört – das war eine andere Welt. Bei dem Krach heute wäre das nicht mehr machbar mit der Technik von damals.

Irgendwann wurde aus der Konstellation drei vorne, drei hinten dann eine gleichberechtigte Sechserformation.

Bömmel: Die Band hat sich breiter aufgestellt, ein Schlagzeug kam dazu, das hatten wir lange nicht, obwohl der Tommy Schlagzeuger war.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Alben werden heute weitgehend selber eingespielt. Das war früher anders.

Erry: Bestimmt 15 Jahre lang spielten das Studiomusiker, und wir haben nur unsere Overdubs draufgesetzt. Der Werner Dies, unser damaliger Arrangeur, hat die Noten geschrieben. Dann spielte im Studio eine so genannte „Grundcrew“ das Grundplayback an einem Tag ein: Bass, Schlagzeug, Gitarre, Klavier. Die haben rein nach Noten gespielt. Das klang oft sehr nüchtern. Vielleicht ist da durch unsere Unprofessionalität Leben reingekommen (lacht). Der Bömmel hat dann beispielsweise Banjo oder Flitsch drüber gelegt.

Bömmel: Der erfolgreichste Longplayer „Links eröm, rächs eröm“ wurde 1977 bei Conny Plank in 14 Tagen komplett eingespielt, die Zeit braucht man heute nur für eine Single.

Deswegen hieß es dann bei der Plattenpräsentation auch schon mal: Ne, das können wir gar nicht live spielen?

Erry: Hör dir die „Kaffebud“ an: Ein Playback mit vollem Blech – (Erry improvisiert den Bläsersatz mit Stimme) – das rappelt und wackelt von vorne bis hinten. Wir mussten das dann mit vorhandenen Instrumenten auf die Bühne bringen. Das hat den Hit nicht verhindern können.

Bömmel: Der Gesang ist das unverkennbare Merkmal, die Melodie ist erkennbar, das reicht de Lück.

Erry: Der Hartmut hat immer gesagt: „Die Musik ist bei uns nur Transportmittel für die Geschichte.“ Da ist was dran.

Wer hat denn die Musik geschrieben? Wenn da Priess/Knipp draufsteht, waren die das dann auch?

Erry: Der Hartmut und der Fred Hook waren zu Stowaways-Zeiten die einzigen, die bei der Gema eingetragen waren. Wir hatten da keine Ahnung von. Wenn dann der Hans einen Text geschrieben hatte, stand eben Priess/Knipp auf der Platte. Das Geld wurde aber ganz gerecht aufgeteilt. Da waren wir schon immer ein sozialistisches Kollektiv. Irgendwann hat der Joko dann dagegen opponiert und wollte, dass unter seinen Titeln auch sein Name steht. Aber auf den ersten zwei Alben war das noch nicht so.

Bömmel: Es gab, was das betrifft, immer mehr oder weniger Fleißige in der Band. Der Erry war innerhalb der Band der einzige, der richtig getextet hat.

Erry: Der Hartmut war immer ein wichtiger Ideengeber. Der kam an und fragte, ob ich „Doctor Robert“ von den Beatles kennen würde. Kannte ich, wusste aber nicht, worum es ging. Mein Englisch war eher schlecht. Dann erzählte er vom Doktor, der nur Pillen verschreibt. Das hat mir gereicht, um einen Text draus zu machen. Wir waren ein ideales Gespann: Er der Architekt, ich der Polier. Aber irgendwann hat es genervt, dass die Präsidenten sagten: „He steiht der Mann, der all die herrliche Leedcher jeschrieven hätt.“ Woher sollte der das auch wissen. Das ist das Einzige nach all den Jahren, was ich dem Hartmut vorwerfen würde: Dass er das nie öffentlich richtig gestellt hat. Da bin ich etwas enttäuscht drüber.

Bömmel: Der hat schon gesagt, dass die Lieder im Verbund entstanden sind.

Erry: Aber nur, wenn er drauf angesprochen wurde. Naja, der Fairness halber muss man sagen, wir haben das nachträglich bei der Gema geändert. Aber auf den Alben bleibt das. Wie ein Denkmal – forever.

Wie sind die Songs denn entstanden?

Erry: Da gibt es keine Norm für. Man sitzt im Auto und bekommt eine Melodie in den Kopf. Dann wird das als Memo zu Hause auf dem Küchenrekorder aufgenommen. So kann ein Song bei einem ganz alleine entstehen, bei anderen hast du mit der ganzen Band dran gearbeitet. Und kommst trotzdem nicht weiter. Kann passieren, dass der dann jahrelang liegen bleibt, bis plötzlich einer ’ne Idee hat.

Bömmel: „Wasser vun Kölle“ war so eine Nummer. Der Text stand, aber musikalisch gab es X Varianten. Bis wir die Idee mit dem Gospel hatten. Der Choral am Anfang, die Schöpfungsgeschichte, ist dazugekommen.

Erry: Ich habe noch die gesamten Ur-Demos. Da könnte ich drei CDs von brennen. Bei einer Gartensession mit Hartmut sind an einem Mai-Nachmittag 1977 „En minger Bud’“, „Volksjade“ und „Sirtaki“ entstanden. Der Beckers-Karl war unser Nachbar, und der hatte eine Bouzouki an der Wand hängen. Die hat sich Hartmut genommen, gestimmt und dann drauf rumgeklimpert. Ich wusste gar nicht, dass der sowas spielen kann.

Bömmel: Ich auch nicht (lacht).

Erry: So ist „Sirtaki“ entstanden. Der Joko hatte eine andere Melodie vorgeschlagen, aber die Mehrheit der Band hat sich für unsere Version entschieden. Man redet immer vom „Stammbaum“, aber das war das erste Lied, das sich mit Ausländern und Integration beschäftigt hat.

Das Buch

Parallel zu einer Ausstellung im Kölner Stadtmuseum ist die Geschichte der Bläck Fööss auch in einem großen Bildband erschienen, das in enger Abstimmung mit dem Museum entstanden ist. Neben zahlreichen Bildern erzählen darin mehr oder weniger Prominente ihre besonderen Erlebnisse mit den Fööss. „50 Johr Bläck Fööss – Kölle es un bliev uns Heimat“, hrsg. von Peter Feierabend, kostet 29,95 Euro und ist im KStA-Shop erhältlich.

www.ksta.de/shop

Stichwort Mehrheit. Demokratie war in der Band immer wichtig.

Bömmel: Absolut, auch wenn das nicht immer einfach war. Mit der sozialistischen Grundidee von Hartmut „Alles wird geteilt“ und ohne Superstar – das ist das eigentliche Geheimnis der Band. Die Neuen haben sich dieser Idee jeweils untergeordnet, das ist die Bedingung.

Erry: Ich wage sogar zu behaupten, wenn es die Demokratie nicht gegeben hätte, hätten wir nicht überlebt. Bömmel hat ja eben gesagt, der eine hat mehr gemacht, der andere weniger. Deswegen hat auch die DDR nicht funktioniert. Auf Dauer ist das schwierig, wenn das so ungleich verteilt ist. Wir haben dann 1980 den Willi Schnitzler als Keyboarder reingeholt. Der war eher ein Beamter, ganz straight, sehr zuverlässig. Der hat auch das Management übernommen. Die Stimme war Gold wert, diese hohe Kastratenstimme, der hat dann immer die Mädchenrolle gespielt und gesungen. Er war kein Virtuose wie seine Vorgänger Rolf Lammers oder Joko Jänisch, aber das, was er gemacht hat, war konstant, band-dienlich – und wir anderen waren auch nicht viel besser. Und er konnte komponieren. Für mich passte er wunderbar zu uns – ein Teamworker.

Tommy Engels Ausstieg 1994 hat die Band verändert.

Bömmel: Die Konstellation war so zerstört, da war keine Zusammenarbeit mehr möglich.

Erry: Tommy ist schon drei Jahre vorher aus dem Karneval ausgestiegen. Wir sind dann ohne ihn durch die Säle gezogen. Total bescheuert, das kannst du eigentlich nicht machen. Und viele Leute haben ihm das bis heute nicht verziehen. Er hat jüngst in einem Gespräch zugegeben, das er sich anfangs im Vringsveedel nicht auf die Straße getraut hat. Das war sehr schwer auch für uns. Beim ersten Auftritt ohne ihn habe ich mir fast in die Hose gemacht. Frontmann muss man können.

Bömmel: Erst mit dem Einstieg von Kafi Biermann hat sich das wieder normalisiert.

Erry: Das Album „Rheinhotel“ war dann der Abschluss für Tommy. Dort hatte alles angefangen, da habe ich ihn angesprochen, ob er bei uns mitmachen will. Er hat sich aber am Album kaum noch beteiligt. Gesungen hat er nur „Et Engk vum Leed“ mit Shary Reeves – der Titel sagt alles. Das war’s. Wir beide sind immer noch befreundet. Aber die letzten 25 Jahre haben eindrucksvoll belegt, dass allen Unkenrufen zum Trotz Bläck Fööss auch ohne Engel geht.

Wann wurde denn entschieden, dass es die Bläck Fööss auch in Zukunft geben wird?

Erry: Ich hätte mir vorstellen können, mit dem 50-Jährigen aufzuhören. Der Hartmut hat beim Vierzigsten schon drüber nachgedacht. Als vor drei Jahren klar war, dass Peter und Kafi aufhören und Hartmut wohl bald nachziehen würde, habe ich gedacht: Dat wor et. Aber mit 47 aufzuhören, macht auch keinen Sinn. Was wird aus dem Liedgut? Dann haben wir da plötzlich 25 Coverbands aus der Eifel vür d’r Düür stonn. Deshalb haben wir angefangen, uns umzugucken.

Bömmel: Konnte ja keiner wissen, dass wir so gute Leute finden würden. Und die können wirklich was, alle.

Erry: Das Corona-Jahr ist eine Katastrophe für uns. Du hast Geburtstag, der Kuchen ist gebacken – und keiner kütt! Zwar hatten wir den Hit der Session mit „Die letzte Rund’“. Aber das aufgeschobene Jubiläum und alles, was dranhängt – Domkonzerte, NRW-Tour, Fernsehauftritte – wäre das ideale Sprungbrett für die Jungs gewesen, sich endgültig zu etablieren.