Köln – Vom Schwarzfahren in Bus oder Bahn bis ins Gefängnis ist manchmal ein kurzer Weg. Besonders arme und besonders wohnungslose Menschen können sich die Tickets im öffentlichen Nachverkehr nicht leisten und kaufen daher keinen Fahrschein. Werden sie mehrmals erwischt und müssen eine Geldbuße von jeweils 60 Euro zahlen, beginnt ein „Teufelskreislauf“, wie Markus Kühn vom Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) sagt. Denn die Betroffenen können schnell vor Gericht landen, und nicht selten werden hohe Geldbußen in vierstelliger Höhe verhängt. Wer die nicht zahlen kann, muss mehrere Wochen in Ersatzhaft, so Kühn.
SKM, der Sozialdienst katholischer Frauen (SKF) und der Kölner Gefängnisfürsorgeverein (KGFV) wollen jetzt mit einer Aktion auf die Betroffenen aufmerksam machen. In den Monaten Juli und August verteilen sie jeweils 100 9-Euro-Tickets an wohnungslose Menschen. „Menschen, die aufgrund von Armut, Wohnungslosigkeit, Suchterkrankungen oder anderen psychischen Erkrankungen nicht in der Lage sind, ein Ticket für den ÖPNV zu kaufen, sind ständig in der Gefahr, bei Kontrollen öffentlich aufzufallen, stigmatisiert und im Wiederholungsfall sogar inhaftiert zu werden“, sagt SKF-Geschäftsführerin Monika Kleine.
7000 Wohnungslose in Köln
Arme und kranke Menschen seien aber besonders auf Busse und Bahnen angewiesen, weil sie meist weder Auto noch Rad besitzen. „Das seit Anfang Juni geltende 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass es möglich ist, auch einkommensarmen Menschen Teilhabe zu ermöglichen und drohende Sanktionen wegen eines fehlenden Tickets abzuwenden“, sagt SKM-Vorstand Markus Peters, der mit Kleine auch den Vorstand des KGFV bildet. Von der Aktion sollen nicht nur obdachlose Menschen profitieren, von denen es einige Hundert in der Stadt gibt, sondern auch ein Teil der 7000 sogenannten Wohnungslosen, die bei Freunden auf der Couch oder in Sozialhäusern ohne Mietverträge leben.
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Mit dem Freiheitsentzug begännen die Probleme oft erst richtig, so Peters. Denn wer im Gefängnis sitzt, verliert womöglich einen Job oder auch die Wohnung. Zudem kämen die Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt schnell in Kontakt mit Insassen, die sich wesentlich mehr zu Schulden kommen gelassen haben. Nicht zuletzt koste den Staat der Freiheitsentzug im Schnitt 150 Euro pro Tag, Gerichtskosten nicht eingerechnet. „Im Jahr 2018 summierten sich die Kosten für die Durchsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe deutschlandweit laut einer Schätzung auf über 200 Millionen Euro“, heißt es in einem Bericht der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Entscheidung zwischen Brot und Ticket
Mehrere Tausend Menschen seien bundesweit wegen Schwarzfahrens im Gefängnis, sagt Kühn. „Betroffen ist, wer arm ist.” Das Problem werde zunehmen, weil derzeit die Preise für Lebensmittel und Energie explodierten. Arme Menschen wüssten oft am Monatsende nicht mehr, wie sie alles bezahlen können. Und wer sich zwischen Brot und Ticket entscheiden müsse, lasse lieber den Fahrschein weg. „Wir plädieren daher dafür, dass Schwarzfahren entkriminalisiert wird.“
Italien macht es anders
Kühn weist darauf hin, dass in zahlreichen Staaten wie Italien, Bulgarien oder Schweden die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft worden sei. In Italien habe sogar das Verfassungsgericht in den 1970er Jahren die Strafe als verfassungswidrig eingestuft. Kühn zeigt sich froh, dass das Thema im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-grünen Landesregierung in NRW berücksichtigt worden sei. „Wir sind froh, dass sich in NRW etwas bewegt.“
Jeder Fünfte sitzt wegen Bagatelle-Delikten ein
In einem Papier des Instituts für Kriminologie der Uni Köln kommt Autorin Nicole Bögelein zum Ergebnis, dass in den Jahren 2017 bis 2019 insgesamt 21,7 Prozent der Insassen in der JVA Ossendorf eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten. Freilich wurden die Ersatzfreiheitsstrafen nicht nur wegen Schwarzfahrens, sondern auch wegen Körperverletzung, Straßenverkehrsdelikten, Eigentumsdelikten oder Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängt. 18 Prozent saßen wegen Leistungserschleichung ein.