Ankunft vor 60 JahrenFidel Bravo Palacios war einer der ersten Gastarbeiter in Köln
- 1960 schloss Deutschland ein Anwerbeabkommen mit Spanien. Noch im selben Jahr kam Fidel Bravo Palacios nach Köln.
- Im Gegensatz zu vielen anderen Gastarbeiter blieb Palacios in Deutschland. Er heiratete, wurde Schreiner und Vater von zwei Kindern.
- Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erzählt er, wie er ohne ein Wort deutsch zu sprechen in Köln anfing zu arbeiten - und wieso er besonders stolz darauf ist, in Deutschland Steuern zu zahlen.
Köln – 18 Jahre alt war Fidel Bravo Palacios, als sein Leben eine entscheidende Wende nahm. Mit einem Freund beschloss er, Spanien zu verlassen und für einige Zeit nach Australien zu gehen. „Wir waren ein bisschen verrückt und wollten was erleben“, erzählt er. Doch er und Gregorio, wie der Freund hieß, scheiterten am Gesundheitstest, den Australien für die Einwanderung vorschrieb: „Jedem von uns fehlten zwei Zähne.“ So fiel die Wahl auf Westdeutschland, das dringend Arbeitskräfte brauchte und im März 1960 mit der Franco-Diktatur ein Anwerbeabkommen geschlossen hatte.
Im Herbst 1960 kamen die beiden Spanier mit weiteren Landsleuten in Köln an. Anders als die meisten spanischen „Gastarbeiter“ ist Bravo Palacios in Deutschland geblieben. Am Samstag feiert er mit seiner Familie den 60. Jahrestag seiner Ankunft in dem Land, das ihm zur neuen Heimat wurde.
Bravo Palacios kam mit neun in ein Benediktinerkloster
Geplant war dies nicht. Der 18-Jährige wollte nur ein Jahr lang Erfahrungen als Schreiner sammeln und nach Spanien zurückkehren, um Architektur zu studieren. Geboren wurde er im April 1942 als jüngstes von sechs Geschwistern in Carcedo de Burgos, einem Ort in der Region Kastilien und León im Nordwesten Spaniens.
Seine tief katholischen Eltern waren Bauern. Als er sieben war, starb die Mutter an Krebs. Neun Jahre war er alt, als der Vater, der „für mich das Beste wollte“, ihn in die Abtei Santo Domingo de Silos gab, ein Benediktinerkloster in der Provinz Burgos. Vier Jahre später entschied der Junge, dass die geistliche Laufbahn nichts für ihn war. Mit Einwilligung des Vaters wechselte er auf eine jesuitische Berufsfachschule.
Stundenlohn: 1,80 Mark
Kein Wort Deutsch konnte Bravo Palacios, als er in Köln ankam. Die Startbedingungen seien viel schwieriger gewesen als für heutige spanische Auswanderer, die in der Regel Englisch könnten, sagt er. In der Tasche hatte er einen Ein-Jahres-Vertrag, geschlossen mit einer Schreinerei im damals zu Frechen gehörenden Marsdorf. „Der Vertrag wurde nicht erfüllt“, sagt er. Vom vereinbarten Stundenlohn – 2,80 D-Mark – habe der Chef mit einer fadenscheinigen Begründung eine Mark abgezogen. Im März 1961 gelang es, das Arbeitsverhältnis zu lösen.
Wenn der 78-Jährige über die Firma spricht, bei der er anschließend beschäftigt war, gerät er ins Schwärmen, so sehr erfüllte ihn die Arbeit in den Schreinerwerkstätten. Nach Maß fertigte er Möbel an, mit denen zum Beispiel Ministerien und Krankenhäuser ausgestattet wurden. Doch 1969 kündigte er, weil er inzwischen mit seiner Frau Magdalena ein Reihenhaus in Lind erworben hatte und die Pendelei zum Arbeitsplatz zu beschwerlich war.
Magdalena Bravo Palacios heiratete gegen den Willen ihrer Eltern
1962 hatte sich das Paar in einem Tanzlokal kennen gelernt – in Kalk, wo Bravo Palacios damals wohnte. Seine künftige Frau, die aus Ostwestfalen stammt, arbeitete als Erzieherin in einem Privathaushalt in Kleineichen, einem Stadtteil von Rösrath. Mit der Absicht der Tochter, einen Ausländer zu heiraten, waren die Eltern „nicht einverstanden“, erzählt die 77-Jährige. Sie setzte sich durch.
1966 wurde Hochzeit gefeiert; im selben Jahr zog das Ehepaar in das gerade fertiggestellte Reihenhaus ein. Es war nicht leicht gewesen, einen Kredit für den Kauf eines Eigenheims zu bekommen; auch da hatte Bravo Palacios' ausländische Herkunft eine Rolle gespielt. Der 1974 geborene Sohn Christoph ist Sparkassenbetriebswirt geworden. Tochter Ramona, vier Jahre zuvor auf die Welt gekommen, ist Sekretärin an einer Schule.
Engagement im Ausländerbeirat
In einer Schreinerei in Libur fand Bravo Palacios eine neue Beschäftigung; dort arbeitete er mit einem Jahr Unterbrechung, in dem er für einen Küchenmöbelhersteller tätig war, bis 1977. Die letzten 25 Jahre seines Berufslebens schreinerte er in einer Firma für Laden- und Innenausbau in Eil.
Stolz ist er darauf, in Deutschland von Anfang an „Steuern gezahlt“ zu haben, Geld „für den Bau von Schulen und Straßen“. In dieser Hinsicht könnte man ihn als „Deutschen“ bezeichnen, sagt er, denn entscheidend sei nicht, „was auf dem Papier steht“, sondern „was ein Mensch für das Land getan hat, in dem er lebt“.
Zu den fremdenfeindlichen Reaktionen, die er immer mal wieder erlebt hat, sagt der 78-Jährige, der das – nicht mehr existierende – Spanische Zentrum in Porz mitgegründet und im Ausländerbeirat mitgewirkt hat, bilanzierend: „Es ist wie bei einem Blumenstrauß: Ein paar Blumen muss man rausnehmen, weil sie nicht so schön sind, wie sie sein sollten.“
Heimweh hatte er nicht
Magdalena Bravo Palacios hat schnell Spanisch gelernt. Die Kinder sind jedoch nicht zweisprachig aufgewachsen. Sohn Christoph hat Spanisch als Schulfach gehabt und ein Jahr lang in einer Bank auf Mallorca gearbeitet; Tochter Ramona hat sich wie die Mutter in der Volkshochschule Sprachkenntnisse angeeignet. Die Enkelinnen Alina und Denise – die eine Krankenschwester, die andere Industriekauffrau – sprechen kein Spanisch.
Mit seiner Frau hat Fidel Bravo Palacios nicht nur viele Reisen nach Spanien unternommen, sondern auch in andere Länder. Beide haben Krebserkrankungen hinter sich, gehören also nicht nur wegen ihres Alters zu einer Risikogruppe. Der 78-Jährige hat Sorge, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren; in der spanischen Verwandtschaft habe es schon Todesfälle gegeben.Zu seinen Hobbys zählt, Intarsienarbeiten aus Holz und Schnitzwerk zu gestalten, Gitarren zu bauen, sich um den häuslichen Garten zu kümmern und Gemüse anzupflanzen. Er spielt Skat, kegelt, fährt Rad und geht häufig mit seiner Frau spazieren.
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Heimweh habe er in all den Jahren nicht gehabt, sagt er; es liegt mit daran, dass sein Vater schon Anfang der 60er Jahre gestorben ist. Von den Geschwistern lebt nur eine 90-jährige Schwester, eine Nonne. Gelegentlich geht Fidel Bravo Palacios in die Kirche. Er glaube an „ein Wesen, das am Ende des Lebens die Bösen bestraft und die Guten belohnt“, sagt er. Mit anderen Worten: „Ich glaube an Gerechtigkeit.“
Spanier in Köln
Zwischen 1955 und 1968 schloss Deutschland neun Anwerbeabkommen mit anderen Staaten. Erster Vertragspartner war Italien; 1960 folgten Spanien und Griechenland. Zweck war, Arbeitskräfte für die boomende Wirtschaft zu gewinnen. „Gastarbeiter“ wurden sie genannt, weil ursprünglich nur ein befristeter Aufenthalt geplant war. Bis die Anwerbung 1973 vor dem Hintergrund der Ölkrise gestoppt wurde, kamen rund 600 000 Spanier nach Deutschland. Die Mehrheit stammte aus wirtschaftlich benachteiligten Regionen Spaniens wie Galicien und Andalusien. 50 Jahre später waren rund 70 Prozent der spanischen Arbeitskräfte in ihre Heimat zurückgekehrt.
Die Gastarbeiter aus Spanien und Portugal, mit dem die Bundesrepublik 1964 ebenfalls ein Abkommen geschlossen hatte, wurden in der Regel am Bahnhof Deutz in Empfang genommen und mit „Sammeltransporten“ über ganz Westdeutschland verteilt. Dagegen kamen die italienischen, griechischen, türkischen und jugoslawischen Arbeiter am Münchner Hauptbahnhof an. Bekannt geworden ist der Portugiese Armando Rodrigues de Sá, der 1964 am Bahnhof Deutz als millionster Gastarbeiter Deutschlands begrüßt wurde und ein Moped geschenkt bekam. Das Statistische Jahrbuch der Stadt Köln für 1973 weist 4734 Ausländer aus, die aus Spanien stammten. Im Jahrbuch 2019 ist festgehalten, dass in Köln 3931 Spanier lebten, zudem 1606 Deutsche, die zusätzlich die spanische Staatsangehörigkeit hatten.