AboAbonnieren

Kölner Nachtleben im PodcastAls die ersten „Gruftis“ im Rotlichtviertel ausgingen

Lesezeit 4 Minuten
Martin Steuer in Ehrenfeld

Autor und Journalist Martin Steuer von der Klubkomm beim Gespräch in Ehrenfeld.

Köln – Einer der, wenn nicht sogar der dienstälteste DJ in Köln, Claus Bachor, spult mal eben 40 Jahre Nachtleben zurück. Ende der 70er schwingt der Erfinder der Partyreihe „Psycho Thrill“ das Tanzbein, wo heute das Hauptgebäude der Sparkasse steht: im Pimpernel am Rudolfplatz. Die ersten Abstecher des heute 61-Jährigen ins Kölner Nachtleben. „Das Pimpernel war eine Hochburg und DER Gay- und Lesbian-Club, wo eine Mischung aus fortschrittlichem Funk und Disco lief. Das war Voguing (Tanzstil, der in 70ern in New York entstand, Anm. d. Red.), bevor man überhaupt von Voguing sprach: extrem tolles Tanzen zu toller Musik“, erzählt Bachor im Gespräch mit Nachtleben-Experte und Journalist Martin Steuer, dem Autor des neuen Podcasts „Kölner Klubgeschichten – 10 Jahre Klubkomm“.

In der ersten Folge der zehnteiligen Serie vom Interessenverband der Kölner Clubs und Veranstalter geht es um die Keimzellen der Kölner Clubkultur in einer Phase, in der klassische Discothekenbetriebe immer mehr Clubs mit kuratiertem Musikprogramm wichen. Auch Blue-Shell-Chef Rolf Kistenich erzählt darin, wie er in den 80ern als DJ unterwegs war, bevor er 1994 als Partner im Blue Shell einstieg. Allerdings stand Kistenich mit seinen musikalischen Vorlieben wie New Wave und Punk abseits des bunten Disco-Mainstreams. Er legte im Gasclub am Hildeboldplatz auf, mitten im Rotlichtviertel, wo der Anblick „der ersten Gruftis“ wohl für Irritation sorgte.

Podcast entstand anlässlich zehn Jahre Kölner Klubkomm

Und c/o-Pop-Gründer Norbert Oberhaus schwärmt noch immer vom Kakao mit Sahne im legendären Club „Gypsies“ auf den Ringen, der so gar nicht „Ringe-mäßig“ gewesen sei. „Heute würde man ihn einen Hipster-Club nennen. Dort lief Black music“. Alle drei sind auch heute noch aktiv. Das erklärt auch, weshalb die Klubkomm so weit in die Geschichte zurückgehen wollte: auf den Spuren derjenigen, die auch noch die gegenwärtige Clublandschaft aufmischen.

„Die Idee zum Podcast entstand 2019 im Hinblick auf zehn Jahre Klubkomm. Wir haben überlegt, ob wir mit dem Gründungsjahr 2010 anfangen sollen, das hätte aber nicht geklappt“, so Steuer. Nun sei eben ein Stück Geschichtsschreibung entstanden. Erzählungen, die in Zeiten verwaister Clubs und Bars die Sehnsucht nach kollektiver Nachterfahrung ein bisschen zu stillen vermögen. Dabei geht Steuer nicht streng chronologisch, sondern eher thematisch vor: In der zweiten Folge stehen Musikkneipen und -Bars im Fokus, die in den 90ern Hochkonjunktur hatten. „In einer Folge beleuchten wir auch die Kölner Festivals. Einmal wird es auch um die Entstehung der Hip-Hop-Szene gehen, und ganz am Ende im Februar sprechen wir nochmal sehr konkret über die Krise“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Stimmung bei den Veranstaltern oszilliere derzeit zwischen Pessimismus und Galgenhumor. „Manchen steht das Wasser bis weiter über der Kinnlade. Wenn sie nicht mit nächstem Frühjahr planen können, dann ist es bei einigen vorbei.“ Wobei er bewusst auf Namen verzichtet. Dass die Branche fragil ist, ist aber nicht erst seit dem „Katastrophenfall“ Corona so: Stadtplanung, Auflagen, finanzielle Unsicherheit. Das sind seit jeher Herausforderungen. Diese Fragilität zeigt nirgendwo so deutlich ihr Gesicht wie in Ehrenfeld, wo zahlreiche Clubs und Kreativorte der Gentrifizierung zum Opfer gefallen sind. Nicht umsonst treffen wir Martin Steuer in der Heliosstraße, nahe der Fläche, auf der vor drei Jahren der Club „Underground“ abgerissen wurde. Im ohrenbetäubenden Baustellenlärm liegt hier quasi eine Clubmeile begraben, deren letzte Ausläufer das Barinton am Grünen Weg und das Helios37 in der Heliosstraße sind.

Steuer war Booker im abgerissenen Kölner Club Underground

Mit dem ehemaligen Underground war Steuer eng verbunden: von 1989 bis 1991 machte er das Booking. Er legte hier auch als DJ auf, so wie unter anderem im ehemaligen Rose Club auf der Luxemburger Straße. Auch als Autor begleitet er das Nachtleben seit 30 Jahren aktiv: Er schrieb für die Stadtrevue die Kolumne „Clubland Cologne“ und war Redaktionsleiter der Kölner Ausgabe des Magazins „Prinz“.

Nicht nur eine ganze Kulturszene liege gerade brach, sagt Steuer, sondern auch das soziale Miteinander. „Wenn ich mich an die Phase zwischen 18 und 25 erinnere, dann war Ausgehen so wichtig. Bars, Musikkneipen und Clubs sind soziale Institutionen. Wie lernen Menschen sich seit März kennen? Ich mit meinen 50 Jahren brauche das nicht mehr so, aber ich frage mich schon, was die Liebe gerade eigentlich macht?“

Die ersten zwei von zehn Folgen à 60 Minuten von „Kölner Klubgeschichten“ gibt es auf Spotify. Die dritte Folge erscheint am Donnerstag, 19. November.