Köln – Die Zeit drängt, es muss jetzt schnell gehen: Bei einer Telefonüberwachung haben Ermittler in Echtzeit mitgehört, wie falsche Polizisten einen Rentner nach stundenlangem verbalen Dauerfeuer so weit gebracht haben, dass er nun bereit ist, zur Bank zu fahren und Geld abzuheben. Echte Beamte eilen zur Anschrift des Opfers, kommen aber zu spät. Der Mann ist schon unterwegs.
Joachim Ludwig, Kriminalhauptkommissar bei der Kölner Polizei, erreicht den Erftstädter im Auto auf dem Handy. Es ist die letzte Chance. „Hier ist die Polizei“, meldet sich Ludwig. Schon wieder Polizei. Ludwig fragt: „Haben Sie schon mal in der Zeitung gelesen, dass es auch falsche Polizisten gibt?“ – „Ja, kenn ich“, antwortet der Mann, „fall ich nicht drauf rein.“ – „Dann überlegen Sie doch mal genau, was Sie da gerade machen“, entgegnet der Hauptkommissar mit ruhiger Stimme, „und wer Ihnen gesagt hat, dass Sie Geld abheben sollen.“Der Rentner stutzt und sagt nach kurzem Schweigen: „Stimmt, ich mache das ja gerade.“ Und statt zur Bank fährt er zur nächsten Polizeiwache.
344-Mal waren Täter voriges Jahr in Köln erfolgreich
Dieser Fall ist gerade noch gut ausgegangen, aber 344-Mal hatten Trickbetrüger voriges Jahr in Köln Erfolg. Mal mit der Enkelmasche, mal als falsche Polizisten, mal als vermeintliche Glücksboten, die ihren Opfern einen hohen Lotteriegewinn versprechen, wenn sie vorab eine Gebühr von mehreren tausend Euro überweisen. Gesamtschaden 2020: mehr als drei Millionen Euro.
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Dem gegenüber gelangen nur selten Festnahmen, und wenn, dann sind es in der Regel die Abholer, die den Ermittlern ins Netz gehen. Die kleinsten Lichter in einer Kette von Beteiligten. Die Hintermänner rufen vorwiegend aus Polen oder der Türkei an, und das aus gutem Grund: Je mehr Staatsgrenzen zwischen ihnen und ihren Opfern liegen, bestenfalls noch eine EU-Außengrenze, desto komplizierter die Ermittlungen für die Polizei.Das Problem: Auskünfte ausländischer Behörden gibt es in der Regel nur über Rechtshilfeersuchen, und das dauert. Die Polizei in Berlin und in München hat daher feste „Joint Investigation Teams“ (JIT) mit Ermittlern in Polen und in der Türkei gegründet – gemeinsame Ermittlungsgruppen, die auf Verträgen beruhen und den Informationsaustausch beschleunigen. Die Kölner Polizei beteiligt sich derzeit nicht an einem JIT. Warum?
Ermittungsgruppen mit Polizisten in Polen und der Türkei
„Polizei und Justiz in der Türkei wollen nicht mit vielen Behörden zusammenarbeiten und beschränken sich auf bestehende Kanäle“, sagt Kriminaldirektor Michael Esser, stellvertretender Kripochef. Also kooperiere man zum Beispiel in Verfahren gegen falsche Polizeibeamte eng mit Staatsanwaltschaft und Polizei in München.
Ein weiteres Problem aus Ermittlersicht ist die strenge Datenschutzverordnung hierzulande. Könnten die Fahnder so, wie sie wollten, wäre die Aufklärungsquote ihrer Überzeugung nach höher. Aber: Die strikten gesetzlichen Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung erschweren die Ermittlungen enorm, klagen Kripo-Gewerkschafter. Gerade beim Delikt Telefonbetrug spiele die Auswertung von Standort- und Verbindungsdaten eine elementare Rolle, aber deren Nutzung ist in Deutschland streng reglementiert. Zu streng?
Keine zentralen Ermittlungen in Deutschland
In einem internen Strategiepapier beklagt das Landeskriminalamt NRW zudem, dass es an zentralen Ermittlungen in Deutschland fehle. Stattdessen ermitteln manchmal verschiedene Polizeibehörden in verschiedenen Bundesländern gegen dieselben Täter, ohne voneinander zu wissen. Michael Esser räumt ein: „Ich sage auch durchaus selbstkritisch: Die Bevölkerung kann erwarten, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen.“ Erfolge bei der Bekämpfung von SÄM-Delikten (Straftaten zum Nachteil älterer Menschen) lägen aber nicht alleine in der Hand der Polizei, ist Esser überzeugt. „Wir müssen uns noch mehr für das Thema starkmachen und aufklären.“ Die Polizei Köln hat Straftaten gegen Senioren daher zum „behördenstrategischen Schwerpunkt“ erklärt. Das bedeutet: Neben klassischer Ermittlungsarbeit gilt das Augenmerk auch verstärkt der Prävention.
An einem warmen Tag dieser Woche steht Stefan Eickhoff, Leiter der Sparkasse in Klettenberg, in seiner Filiale an der Sülzburgstraße. Es ist Mittagspause, Kunden sind gerade nicht da. Geldinstitute spielen bei der Verhinderung der Betrugstaten eine wichtige Rolle. In internen Vorträgen werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Jahren geschult, mögliche Taten zu erkennen. Das Servicepersonal der Sparkasse Köln-Bonn habe allein in den vergangenen zwölf Monaten 22 Betrugsfälle aufgedeckt, berichtet ein Sprecher. Von den Tätern veranlasste Abhebungen in Höhe von insgesamt 500 000 Euro seien so verhindert worden.
„Der Kollege hat germerkt, dass da etwas nicht stimmt“
Filialleiter Eickhoff schildert den Fall einer 93 Jahre alten, langjährigen Kundin, die in Klettenberg 25.000 Euro in bar abheben wollte. Ab einem Auszahlungsbetrag von 10.000 Euro werde das Servicepersonal hellhörig, sagt Eickhoff.
Der Kollege am Schalter habe die Kundin gefragt, ob sie schon einmal vom Enkeltrick gehört habe. „Die Dame hat kurz gezögert, Luft geholt, und der Kollege merkte schon, dass da etwas nicht stimmte.“ Die 93-Jährige habe geantwortet: „Ja, ich glaube, das ist bei mir so.“ Der Mitarbeiter führte sie ins Büro und rief die Polizei. Neuerdings machen Sparkasse und Kreissparkasse ihre Kunden auch mit Warnhinweisen auf Geldausgabeumschlägen auf die Tricks der Täter aufmerksam.
Prävention sei bei diesem Delikt ungeheuer schwierig, weiß der Neurologe Juraj Kukolja. Wer sich bis ins hohe Alter geistig und körperlich fit halte und auf Unterstützung durch ein intaktes soziales Umfeld bauen könne, sei besser geschützt als vereinsamte Senioren ohne große Kontakt zur Außenwelt. Die Bäckerinnung lässt demnächst 300 000 Brötchentüten mit Warnhinweisen an 30 Bäckereien in Köln ausliefern. Und das Freie Werkstatt Theater, das seit einigen Jahren in Zusammenarbeit mit der Polizei ein Präventionsstück auf die Bühne bringt, hat kürzlich zusätzlich den 20-minütigen Film „Ausgetrickst? Nicht mit uns“ erstellt, zu sehen bei Youtube.
Tipps zum Schutz vor den Betrügern
In einem schmucklosen Besprechungsraum im Kölner Polizeipräsidium sitzt Hauptkommissar Joachim Ludwig und berichtet vom Fall eines Rentners, den seine Tochter so häufig vor dem Enkeltrick warnte, bis er mit ihr in einen Streit darüber geriet. Für wie blöd sie ihn eigentlich halte, herrschte er seine Tochter an. Einen Tag später fiel er auf den Enkeltrick herein – und verlor 20 000 Euro. Seitdem sei er ein seelisches Wrack, berichtet die Tochter. Sie finde keinen Zugang mehr zu ihm. Er spreche mit niemandem mehr, so groß sei die Scham.
Auch Ludwig, der die Tricks der Täter seit 20 Jahren in- und auswendig kennt, der Betrüger vernommen und weinende Opfer erlebt hat, der europaweit als Experte für SÄM-Delikte gilt, ist überzeugt, er müsse nur ins „richtige Alter“ kommen, dann sei auch er anfällig für die psychologisch gewieften Betrüger. Zu behaupten, man falle nicht darauf herein, reiche nicht, sagt er. Besser man spiele einen solchen Anruf zu Hause konkret mit dem Ehepartner oder den Kindern durch: Was tue ich, wenn sich ein Verwandter meldet und Geld leihen will? Wenn ein Polizist die Wertsachen verlangt, um sie in Sicherheit zu bringen?
Die Antwort lautet immer gleich: auflegen und umgehend eine Vertrauensperson und die Polizei informieren. „Egal wie die Geschichte am Telefon lautet“, sagt Ludwig. Der Satz »Sprechen Sie mit niemandem darüber« falle immer. „Das ist das Alarmzeichen.“