Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Vorbereitungen innerhalb der Stadtverwaltung monatelang begleitet – Innenansichten eines einzigartigen logistischen Kraftaktes.
Bombenfund in Köln-MerheimAufwendigste Evakuierung seit Kriegsende – Hinter den Kulissen eines Ausnahme-Einsatzes
Die Bestätigung erhält Einsatzleiter Johannes Brauns gewissermaßen direkt aus dem Loch. 21 Stellen mit verdächtigen Objekten im Erdreich gräbt der Kampfmittelbeseitigungsdienst (KBD) seit dem frühen Morgen rund um das Krankenhaus Merheim vorsichtig auf, am Vormittag gibt einer der Entschärfer dem Ordnungsamt per Handy durch: amerikanische Zehn-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Mit Aufschlagzündern vorne und hinten.
Damit ist das ohnehin eher unwahrscheinliche Szenario 1 aus dem internen Einsatzplan der Stadtverwaltung endgültig Makulatur: „Kein Fund – keine Evakuierung – Einsatzende“. Stattdessen greift jetzt Szenario 2: „Aufschlagzünder – gestaffelte Evakuierung“. Immerhin ist es nur ein einziger Blindgänger, der entschärft werden muss. Gefunden wurden auch ein ungefährlicher „Zerscheller“, der schon im Krieg explodiert ist und drei Abwurfbehälter mit Stabbrandbomben. Aber das Wichtigste: Szenario 3 ist allen erspart geblieben: „Langzeitzünder – sofortige Räumung“. Langzeitzünder sind besonders unberechenbar, sie können jederzeit eine Explosion verursachen. Das hätte den Zeitplan für die Evakuierung deutlich verschärft.
Aber der ist auch so ambitioniert genug. Am frühen Freitagabend, hoffen die Verantwortlichen, kann die Entschärfung beginnen. Bis dahin muss das Krankenhaus mit 287 Patientinnen und Patienten geräumt sein, ebenso die Rehanova-Klinik mit 70 und die LVR-Klinik mit 285 Patienten. Keine der drei Kliniken musste jemals geräumt werden — und jetzt alle drei auf einmal. Dazu Kitas, Schulen, Büros, Gewerbebetriebe und 6400 Anwohner aus Merheim und Neubrück. Ein logistischer Kraftakt.
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Seit Mittwoch läuft in der Stadt die aufwändigste und teuerste Evakuierung wegen eines Bombenfundes seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Was große Teile des rechtsrheinischen Kölns bis voraussichtlich Freitagabend in Atem halten wird, haben weit mehr als hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden, Kliniken und anderen Institutionen seit Monaten akribisch geplant. Von der Errichtung eines bombensplittergeschützten „Safe Houses“ für die Intensivpatienten des Krankenhauses Merheim bis hin zur Frage: Wie viel Kaffee und belegte Brötchen muss man für mehr als 2000 Einsatzkräfte an drei Tagen einplanen? Und wo kriegt man überhaupt so viele her, Brötchen und Einsatzkräfte?
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Vorbereitungen hinter den Kulissen der Stadtverwaltung seit Juli begleitet. Unser Reporter hat an internen Besprechungsrunden des Ordnungsamtes teilgenommen, hat eine Schulung von Einsatzkräften besucht, mit dem Entschärfer-Team gesprochen und sich von den Notfallplanern des Krankenhauses Merheim die Bombenfundstellen auf dem Gelände zeigen lassen. Innenansichten eines Ausnahmeeinsatzes.
Probleme auf der Zielgeraden
Die schlechte Nachricht landet am Freitagmittag im E-Mail-Postfach von Johannes Brauns. Es ist der 27. September, zwei Wochen vor den geplanten Entschärfungen.
Brauns, seit 17 Jahren beim Ordnungsamt, wird den Großeinsatz leiten. Bei dem 42-Jährigen laufen alle Fäden zusammen. In den vergangenen drei Monaten – das hat er selbst hochgerechnet – haben er und sein Führungsassistent rund 1000 Arbeitsstunden in die Vorbereitung für Merheim investiert. 800 E-Mails geschrieben und 1200 Telefonate geführt. Dienstpläne gestaltet, To-Do-Listen erstellt, Ruf- und Bereitschaftsschichten geplant. Enorm viel Aufwand, aber alles scheint jetzt auf dem Gleis zu sein – und dann diese Mail.
Der Anbieter, der 1784 belegte Brötchen („Normaler Belag, kein Lachs, kein Schnickschnack“) für die Einsatzkräfte von Stadt, Polizei, Hilfsorganisationen und Feuerwehr liefern sollte sowie 1100 Liter Heißgetränke für Einsatzkräfte und evakuierte Anwohner ist kurzfristig abgesprungen. Schreibt, er könne nicht liefern, die Menge sei zu groß.
In der internen Besprechungsrunde des Ordnungsamtes vier Tage später sorgt das für ratlose Gesichter. Was nun? Kein Kaffee und keine Brötchen? Keine Option, denn „ohne Mampf kein Kampf“, sagt einer aus der Runde. Nur: Wie und wo findet sich so schnell ein anderer Anbieter, der 1100 Liter Kaffee und heißes Wasser liefern und 1784 Brötchen schmieren kann?
Man könnte den Kaffee selbst brühen, schlägt einer vor. Aber das hieße auch, 90 Warmhaltebehälter anzuschaffen, einer allein kostet mehrere hundert Euro. „Auf keinen Fall, machen wir nicht, viel zu teuer“, entscheidet Ordnungsamtschef Ralf Mayer. Und gewöhnliche Pumpkannen? „Nee, nicht gut isoliert, dann kriegen wir Kaltgetränke“, wendet einer aus der Runde ein.
Fazit: Womöglich kann die Bundeswehrküche aushelfen, ein Kollege will eine Anfrage stellen.
Der letzte Meter
Die Luftbilder der Alliierten, die das heutige Klinikgelände in Merheim zeigen, sind schon leicht verblichen. 1945 war Merheim größtenteils plattes Land. Neubrück gab es noch nicht. Felder und Wiesen, so weit das Auge reichte. Wo heute das Krankenhaus steht, betrieb die Wehrmacht vor 80 Jahren den Militärflugplatz Köln-Ostheim und eine Kaserne. Das Gelände wurde mehrfach von den Alliierten bombardiert.
Auf einem der Fotos sind mit geschultem Auge winzige Punkte zu erkennen. Aus heutiger Sicht: „Verdachtspunkte“. Keine großen Explosionskrater, sondern kleine, mögliche Einschlaglöcher. Ohne Vergrößerung kaum zu sehen.
Für die Bildauswerter des KBD bei der Bezirksregierung Düsseldorf ist ein solches Loch ein Hinweis darauf, dass an dieser Stelle eine Fliegerbombe ins Erdreich eingetaucht sein könnte, ohne detoniert zu sein. Die meisten Luftbilder haben die Alliierten im Zweiten Weltkrieg vor und nach ihren Luftangriffen aufgenommen – zum Beispiel um zu dokumentieren, welche Ziele getroffen wurden. Um die Jahrtausendwende haben Briten und Amerikaner der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahmen zur Suche nach Blindgängern überlassen.
„Wir können darauf aber nicht alles zu hundert Prozent erkennen“, sagt Gudela von Gronefeld von der Bezirksregierung. Um einen Verdachtspunkt näher zu untersuchen, misst der KBD daher das Erdmagnetfeld um die potenzielle Einschlagstelle. In einem Radius von fünf bis sieben Metern werden 37 Löcher gebohrt und durch ein Plastikrohr Magnetsonden in die Tiefe gelassen.
„Jeder Eisenkörper ruft eine Störung des Erdmagnetfeldes hervor“, erklärt von Gronefeld. „Aus den Messdaten können wir Rückschlüsse ziehen: Liegt da tatsächlich etwas? Wie groß ist das Objekt? In welcher Tiefe liegt es?“ Was es wirklich ist, steht erst fest, wenn das Objekt freiliegt.
Kleinbagger haben das Erdreich an den Verdachtspunkten rund um die Merheimer Klinik im September aufgegraben –bis auf den letzten Meter. Der ist besonders gefährlich. „Auf dem letzten Meter arbeiten wir nur noch vorsichtig per Hand mit der Schaufel, um keine Erschütterungen zu verursachen“, erklärt von Gronefeld.
Sand, Betten, Regenponchos
Ein Vormittag Ende Juli, 11 Uhr. Im Stadthaus in Deutz, Ostgebäude, Besprechungsraum 06.G61, treffen sich wie jeden Dienstag Beschäftigte des Amts 32 für öffentliche Ordnung zur „Merheimer Runde“. Eine Art Jour Fixe, bei dem es um die Planung des Großeinsatzes geht. Einsatzleiter Johannes Brauns ist dabei, dazu ein Experte aus dem „Fachbereich Kampfmittelangelegenheiten“, einer aus der Abteilung Vergabe und Beschaffungen, zwei aus dem Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Amtes. Insgesamt 16 Personen. An der Wand hängt ein Banner: „32 – Ordnung för ming Stadt“.
Zahlen schwirren durch den Raum. 500, 72, 350, 8500, 1800, 72, 275.
500 Regenponchos müssen beschafft werden für die Einsatzkräfte, die die Klingelrunden machen und an den Absperrungen stehen, 72 Tonnen Sand geordert werden – falls ein Blindgänger vor Ort nicht entschärft werden kann, sondern gesprengt werden muss; die Grube wird dann mit Sand gefüllt, um die Sprengwirkung abzumildern. 350 Meter Bauzaun zur Absperrung der Verdachtspunkte müssen bestellt, 8500 Informationsschreiben an die Anwohner verschickt, 1800 Lunchpakete in Auftrag gegeben werden.
275 Pflegebetten müssen angemietet und 275 Matratzen gekauft werden, um die Bewohner des Seniorenheims für zwei Tage in einem leer stehenden Gebäude der Sozialbetriebe Köln, ehemals Riehler Heimstätten, unterzubringen. Doch dazu wird es letztlich nicht kommen. Die 278 Bewohnerinnen und Bewohner können innerhalb des Heims in Sicherheit gebracht werden. „Allein der Umzug des Altenheims hätte acht bis neun Stunden gedauert – wenn alles glatt glaufen wäre“, sagt Einsatzleiter Brauns.
Das Nadelöhr beim geplanten Einzug in Riehl wäre der Aufzug gewesen. Wäre der ausgefallen, hätten sich Betten und Matratzen im Erdgeschoss gestaut, der Zeitplan wäre durcheinander geraten. Für diesen Fall war geplant, einen Techniker der Aufzugfirma in Rufbereitschaft zu halten – ist jetzt aber auch nicht nötig.
Eine Excel-Tabelle erscheint auf der Leinwand im Besprechungsraum. Fein säuberlich sind die geschätzten Kosten für jeden einzelnen Posten vermerkt. „Wir müssen auch genau draufgucken, was geliefert wird“, mahnt Mayer. Vor allem bei der Verpflegung könnte das unübersichtlich werden. „Wir können jetzt nicht anfangen, die Mandarinchen zu zählen, aber es muss plausibel sein.“
Und: Nichts soll verschwendet, falls möglich alles wiederverwertet werden. Die 275 Matratzen zum Beispiel könnten später an soziale Einrichtungen gehen, Obdachlosenheime oder Flüchtlingsunterkünfte. Nicht benötigter Sand soll auf Kinderspielplätze in der Stadt verteilt und für städtische Bauprojekte eingelagert werden.
Mehrfach weist Mayer daraufhin, alle Ausgaben genau zu dokumentieren. Eines aber ahnt er schon jetzt: „Leute“, fasst er zusammen, „das wird alles verdammt teuer hier. Aber es hilft ja nichts. Es ist ein historischer Einsatz.“
Ungefähr eine Million Euro wird er die Stadtkasse am Ende schätzungsweise kosten. Die Klinik rechnet wegen des reduzierten und zeitweise stillstehenden Betriebs, wegen Baumaßnahmen zur Gebäudesicherung und erhöhten Personalkosten durch Überstunden mit einem weiteren einstelligen Millionenbetrag – einen Teil übernehmen womöglich Versicherungen.
Ein Krankenhaus zieht aus
Georg Abel steht Mitte September auf dem Hubschrauberlandeplatz hoch oben auf dem Krankenhaus Merheim und zeigt auf ein Wäldchen neben dem Parkhaus: „Da unten“, sagt er, „irgendwo zwischen den Bäumen, da liegen die meisten Verdachtspunkte.“ Ginge bei einer Entschärfung etwas schief, wäre die Klinik mit Sicherheit betroffen. Also müssen ab Mittwoch sicherheitshalber alle raus, Patienten und Personal.
Für die Klinik sei das ein „Riesenaufwand“, sagt Abel. Er, seine Kollegin Lena Degenhardt und Ralf auf dem Graben bilden die so genannte „Krankenhausalarm- und -einsatzplanung“ des Klinikums Merheim. Sie haben unter anderem die Evakuierungspläne erstellt.
Größere Operationen, nach denen Patienten mehrere Tage auf der Intensivstation verbringen müssten, wurden verschoben, die Belegung auf den Normalstationen so weit heruntergefahren wie möglich. Wer frühzeitig entlassen werden konnte, wurde entlassen. Die verbliebenen Patienten werden mit Krankenwagen in andere Kölner Krankenhäuser verlegt und am Samstag zurückgebracht. Auch das Personal zieht vorübergehend mit um.
Aber es gibt eine Ausnahme: Im Gebäudeteil 20 A, auf der Rückseite des Haupteingangs, im Schatten anderer Gebäude und ein Stück entfernt von dem Wäldchen, hat die Klinik nach den Vorgaben eines Ingenieurbüros ein „Safe House“ eingerichtet. Der dreistöckige Bau wurde mit Holz ummantelt, um die Druckwelle einer möglichen Explosion abzufangen. Aufgestellte Container sollen zusätzlich Schutz vor Bombensplittern bieten.
In das „Safe House“ sollen am Freitag alle etwa 45 Intensivpatienten verlegt werden, Menschen, die einen Transport in ein anderes Krankenhaus möglicherweise nicht überleben würden. Schwer lungenkranke Patienten zum Beispiel oder solche mit gefährlichen Brandverletzungen. Außer den Entschärfern werden die Intensivpatienten und das Pflegepersonal im „Safe House“ die einzigen sein, die sich während der Entschärfung im Evakuierungsgebiet aufhalten.
Hilfe aus Düsseldorf
Dienstag, 8. Oktober, Schulungs- und Wissenszentrum des städtischen Ordnungsdienstes in Köln-Junkersdorf. 26 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verkehrsüberwachung und Ordnungsdienst, die vor einer Woche eingestellt wurden, sollen gleich mal beim Großeinsatz helfen. Heute bekommen sie einen Crash-Kurs in Straßenabsperrung und Evakuierung.
„Solche Einsätze gehen nicht selten bis tief in die Nacht“, steht auf einer Folie, die ein Beamer an die Wand wirft. Die Ausbilderinnen Sonja Bach und Natalie Riha schärfen den Neuen ein, ihre Taschenlampen noch einmal aufzuladen.
Dann geht es um die Evakuierung. Wenn Bach und Riha darüber sprechen, wie man Anwohnerinnen und Anwohner am besten aus ihren Wohnungen bittet, fallen immer wieder die Worte „sensibel“, „einfühlsam“ und „verständnisvoll“ – vor allem gegenüber älteren und kranken Menschen und solchen, die kaum oder kein Deutsch verstehen.
Die häufigste Frage an die Einsatzkräfte sei: „Wann kann ich wieder zurück in meine Wohnung?“, sagt Bach. Ein weiterer Klassiker: „Ich kann jetzt nicht raus, ich habe noch Essen auf dem Herd.“ Für solche Fälle empfiehlt Bach eine pragmatische Lösung: „Wenn da jemand nur seine Nudeln zu Ende essen will, ist das okay. Aber der Braten, der noch zwei Stunden im Ofen schmoren muss, geht natürlich nicht.“
Wer partout seine Wohnung nicht verlassen wolle, dem solle man deutlich machen, dass ein Bußgeld bis zu 1000 Euro drohe und er notfalls mit Zwang von Ordnungsamt und Polizei herausgeführt werde. Der gut gemeinte Satz „Regen Sie sich bitte nicht auf“ könne eine Situation übrigens beruhigen, sagt Bach, aber auch das Gegenteil bewirken: „Das ist dann wie Mentos und Cola“.
Insgesamt sind allein mehr als 300 Mitarbeiter der Stadtverwaltung für den Einsatz eingeplant, die allermeisten vom Ordnungsamt. 20 kommen zusätzlich aus Düsseldorf. Hunderte oft ehrenamtliche Helfer unterstützen zum Beispiel bei der Verlegung der Klinikpatienten, fahren die Krankenwagen.
Tickende Zeitbomben
Wenn es in der Kölner Stadtverwaltung einen gibt, der sich keine Sorgen um seinen Job machen muss, dann ist das womöglich Jan Leipertz. Der 26-Jährige arbeitet im Fachbereich Kampfmittelangelegenheiten, Sachgebiet Allgemeine Ordnungsangelegenheiten, und kann hier locker in Rente gehen – wenn er das will. Arbeit jedenfalls hat er auf Jahre genug.
Ungefähr 1,5 Millionen Bomben wurden im Zweiten Weltkrieg über Köln abgeworfen. 262-Mal wurde die Stadt aus der Luft bombardiert, so oft und so heftig wie kaum eine andere deutsche Stadt. Und längst nicht jede Bombe ist beim Aufschlag explodiert. Vermutet wird eine Blindgänger-Quote von bis zu 20 Prozent.
„Man geht davon aus“, sagt Leipertz, „dass wir nochmal mindestens so lange absuchen werden, wie wir schon gesucht haben. Also nochmal 70 bis 80 Jahre, bis man wahrscheinlich sagen kann: Wir haben den Großteil gefunden.“
Kaum einer weiß so viel über die Bomben im Kölner Boden wie Jan Leipertz. Er hat ein Dashboard erstellt, eine Art digitale Pinnwand mit Karten und Daten aller Kampfmittelfunde in Köln seit 2014. Jede Handgranate ist hier verzeichnet. Jeder Blindgänger. Ob er einen Aufschlag- oder einen Langzeitzünder hatte. Ob er gesprengt oder entschärft wurde. Wie viele Menschen evakuiert worden sind, wo und wie die Bombe gefunden wurde.
Pro Jahr explodieren in Deutschland ein bis zwei Blindgänger ohne äußeren Einfluss. Auch durch unsachte Bewegung können sie detonieren. Und die Gefahr steigt von Jahr zu Jahr. „Die Blindgänger liegen seit 80 Jahren im Boden, die kleinen Bauteile im Zünder können allmählich durchrosten“, sagt Leipertz.
Zwar ist in Köln seit Jahrzehnten keine Weltkriegsbombe unkontrolliert in die Luft gegangen, wohl aber in anderen Gegenden Deutschlands. Jan Leipertz jedenfalls kann jedem Bauherrn nur einen guten Rat geben – abgesehen davon, dass es dazu eine gesetzliche Verpflichtung gibt. „Niemand“, empfiehlt Leipertz, „sollte in Köln mit einer Baggerschaufel in den Boden graben, ohne sicher zu sein, dass das Gebiet vorher untersucht wurde.“
Letzte Worte
Dienstag, 8. Oktober, 11 Uhr. Abschlussbesprechung des Ordnungsamtes im Stadthaus. Es geht nur noch um Kleinigkeiten. Amtsleiter Ralf Mayer dankt allen Teilnehmern für ihren monatelangen Einsatz, er beendet die „Merheimer Runde“ hochzufrieden. „Ich finde es beeindruckend, wie wir das vorbereitet haben“, sagt er. Ein gutes Ergebnis sei, „wenn am Ende niemand zu Schaden kommt und wir im Zeitplan bleiben.“
Selbst das Brötchenproblem ist inzwischen gelöst. Der Anbieter, der 1784 belegte Brötchen und 1100 Liter Kaffee und Teewasser liefern wollte, dann aber kurzfristig abgesagt hatte, hat nun wieder zugesagt: Er lässt sich von einem Caterer unterstützen. Dafür hat die Polizei mitgeteilt, dass sie ihre Einsatzkräfte selbst verpflegt. Jetzt sind sogar noch 40 Lunchpakete übrig.