Fühlingen – Sie tun’s im Hellen, sie tun’s bei Dunkelheit. Sie ziehen sich aus. Komplett. „Und das völlig schamlos“, gesteht einer von ihnen und grinst. Wahrscheinlich gibt es keinen anderen Parkplatz in Köln, wo öfter zu beobachten ist, wie Männer die Hosen runterlassen. Was, wenn da Kinder zusehen würden!
Schamlos umziehen für das nasse Hobby
Falscher Konjunktiv. Da sehen Kinder zu. Der kleine Damian zum Beispiel. Aufmerksam beobachtet er, wie sein Papa die etwas sperrige schwarze Haut über den Oberkörper streift, die Pressluftflaschen wie einen Rucksack schultert und mit den Schwimmflossen in der Hand Richtung See-Ufer verschwindet. Gleich wird er abtauchen – wie viele andere, die wir an diesem Spätnachmittag auf dem Parkplatz an der Regattabahn des Fühlinger Sees treffen: Männer und Frauen, die in Straßenkleidung aus ihren Autos steigen und wenig später in ihren Neoprenanzügen wie überdimensionale Teletubbies von dannen ziehen.
Dieter ist einer von ihnen. „Der kennt den Boden zentimetergenau“, behauptet Rosi (56) über ihren 63-jährigen Mittaucher aus Rommerskirchen. Dieter kommt seit vielen Jahren einmal in der Woche an den Fühlinger See. Seine Beweggründe sind nachvollziehbar: „Da unten kann Ihnen keiner was vom Pferd erzählen, da haben Sie Ruhe, da schweben Sie dahin.“ Die beiden anderen Männer aus der insgesamt vierköpfigen Gruppe stimmen zu. „Und was kann es Schöneres geben, als eine Frau neben sich zu haben, die kein Wort von sich gibt“, witzelt Manfred. Alle lachen, auch Rosi.
An den Schwänen vorbei paddeln
Rolf Bogdahn ist ebenfalls im Wasser unterwegs. Er halte es „maximal sechs bis acht Stunden“ ohne Bewegung aus, erklärt der frühere Diplom-Sportlehrer aus seinem Paddelboot heraus. Ein Schwan hat ihn im Visier.
20.30 Uhr: Im „Bistro am See“ sitzt ein halbes Dutzend Leute. Es duftet nach Pommes. Ralf Peukert und Michael Engstfeld haben ihren Tauchgang hinter sich und freuen sich jetzt auf ihre Bockwurst. Fanny, meine Berner Sennenhündin, lässt die Teller der beiden Männer aus Wuppertal nicht aus den Augen. Peukert und Engstfeld tauchen hier seit seit 33 Jahren. „Auch im Winter, solange der See nicht gefroren ist. Da kann es draußen minus 15 Grad sein.“ Als Raumausstatter führe er den ganzen Tag Kundengespräche, deswegen liebe er die Ruhe, „die man da unten hat“. Beide Männer fotografieren und filmen unter Wasser. „Auch wenn's dunkel ist?“, frage ich. „Im Winter ha'm wir die Lampen an“, sagt Peukert. Wir lachen.
Selbst gebaute Pommes-Bude
„Die Pommes ruut-wieß!“, ruft Karl Heinz Zillich und schiebt zwei Portionen auf die Theke, die Küche und Gastraum trennt. Der 68-Jährige ist von morgens halb neun an bis spätabends anzutreffen. Der Biergarten, der an allen 365 Tagen des Jahres geöffnet hat, sei sein Leben. Zillich hat das hölzerne Freiluftlokal seinerzeit eigenhändig gezimmert. Seit 15 Jahren beehren ihn morgens die kaffeedurstigen Rentner, und dann über den Tag verteilt Ruderer, Kanuten, Inline-Skater, Fahrradfahrer und Spaziergänger.
Für die Sommerserie „Ein Tag am See“ fährt Redakteurin Susanne Hengesbach an einem Tag mit dem Campingbus zu einem Kölner See, Weiher oder Baggerloch und beschreibt ihre Erlebnisse bei Tag und bei Nacht. Begleitet wird sie von Berner Sennenhündin Fanny und Fotografin Martina Goyert.
Ich spendiere Fanny eine Bockwurst als Betthupferl und gehe in der Abenddämmerung noch ein Stück mit ihr am See entlang. Wir fühlen uns wie die letzten Mohikaner, weit und breit ist kein Mensch mehr unterwegs. Auch der große Parkplatz 2, wo unser Bus steht, ist verwaist. Hinter der schmalen Abgrenzung aus Bäumen kann ich die Wasserfläche schimmern sehen. Endlich geschafft, ein Bett mit Seeblick, frohlocke ich, während ich das Kopfkissen zurechtrücke.
Warum unsere Autorin plötzlich denkt, sie wäre am Nürburgring gelandet, lesen Sie im nächsten Abschnitt.
Zeugin eines Autorennens am Fühlinger See
Irgendwann schrecke ich aus dem Tiefschlaf hoch. Da ist Lärm. Ich höre ein penetrantes Quietschen. Im Moment weiß ich nicht, wo ich bin. Nürburgring? So hört es sich jedenfalls an. Etwas rast nah an unserem Bus vorbei. Dann wieder dieses Quietschen. Allmählich dämmert mir, dass wir Zeugen eines nächtlichen Autorennens auf dem Parkplatz sind. Mein Herz rast mit. Dann ist wieder Stille. „Ach, das machen die da regelmäßig, das ist der Polizei im Grunde auch bekannt“, sagt Boris Martensen. Der Inhaber des direkt am Fühlinger See gelegenen Outdoor-Camps „Blackfoot Beach“ ist nicht überrascht, als ich ihm am nächsten Tag von unserem nächtlichen Erlebnis erzähle.
Hochseilgarten, Strandbar und karibisches Flair
Angesichts des wechselhaften Wetters klettern nur wenige Besucher durch seinen Hochseilgarten. Rund 40 Mitglieder einer Kirchengemeinde mit Sitz in Salt Lake City amüsieren sich ein paar Meter entfernt beim Volleyballspiel im Sand. Heißester Ort an diesem Tag ist definitiv die Strandbar, wo sieben mannshohe Kühlschränke die Getränke für die heute bevorstehende karibische Nacht auf Erfrischungstemperatur halten.
Wie erfrischen geht, das wissen auch Clowdy, Stormy, Rainy und Sunny. Die vier Golden Retriever sind gewissermaßen die Stars auf dem Gelände. Entweder sieht man sie im Wasser toben oder adrett nebeneinander aufgereiht wie Sofakissen im offenen Kofferraum von Herrchens werbewirksamen Auto sitzen – das Fahrzeug mit der pinkfarbigen Kuh.
An keinem anderen Kölner Gewässer kommen Sport-Liebhaber so umfangreich auf ihre Kosten wie am Fühlinger See. Dank der Regattabahn und dem Outdoor-Camp „Blackfoot Beach“ mit Strandbad, Tauchbasis und Kanuverleih sind fast alle Wassersportmöglichkeiten gegeben.
Herrchen selbst ist dank seiner Körpergröße von 2,05 Meter aber auch nicht zu übersehen, was durchaus von Vorteil ist. Gisbert Hiller ist nämlich der Chef des „Mittelalterlichen Spectaculums“, das seit neun Jahren im Sommer am Fühlinger See stattfindet. 25 Lkw beladen mit Holzpferden, Sonnensegeln, Ritterzelten, Pestkarren, Stehtischen und Barhockern sind bereits vor Ort. „Ich kann bestätigen, dass dieser Veranstalter das Gelände immer tadellos hinterlässt“, sagt Lutz Gümpel von der Stadt Köln.
Taucher fischen den Müll der Summerjam-Gäste aus dem See
Noch immer sind Taucher damit beschäftigt, Müll aus dem See zu fischen, den Summerjam-Gäste hineingeworfen haben. Etwas können sie allerdings nicht mit eigenen Händen bergen: ein Wegwerfartikel besonderer Art – ein stattlicher Tresor. Ich sehe bereits die Goldbarren-Schlagzeile vor mir, als die Taucher abends bei Karl Heinz Zillich von ihrem Fund erzählen. Als sie den Inhalt des bereits geöffneten Strahlschranks beschreiben, fällt mir jedoch das Kinn runter: Drittzähne und Prothesen sollen drin sein.