AboAbonnieren

Akkordeonwerkstadt in der SüdstadtOhne ihn wäre manch Kölsche Band aufgeschmissen

Lesezeit 4 Minuten
Akkordeon

Mehr als 450 Einzelteile hat solch ein Instrument

Köln – Dieser Mann geht regelmäßig fremd. Und das schon seit Jahren. Wenn kein Kunde in Sicht ist, greift er unter der Arbeitsplatte seiner Werkstatt zu dem Instrument, das man mit seinem Namen nur schwer in Verbindung bringen kann, zur Trompete. Denn Michael Rheinländer ist wohl der einzige in Köln, der Akkordeons reparieren, stimmen oder rekonstruieren kann. Ohne den Handzuginstrumentenmachermeister aus der Südstadt wären Kai Engel, Micki Schläger oder Simon Kurtenbach aufgeschmissen. Denn jeder, der in einer kölschen Band (oder auch sonst) Akkordeon spielt, braucht regelmäßig Support für seine Quetsch.

Instrumente stimmen tue er heute noch immer „unwahrscheinlich gern“, betont der Mann mit dem charakteristischen Wuschelkopf. „Und ich werde auch immer besser“. Seit Jahrzehnten hat der 61-Jährige ein enges Verhältnis zu Akkordeon, Schwyzerörgli, Bandoneon oder zur Steirischen Harmonika hat.

Da lief da Fass über

Doch dann passierte es. 2010 kam ein Kunde in die Werkstatt; ein älterer Mann, dem es zwar deutlich an Virtuosität aber nicht an Ausdauer fehlte. Dieser Mann griff sich ein Instrument nach dem anderem aus dem Regal und ließ auf jedem ein erbärmliches „Oh, du Fröhliche“ erklingen. Das war der Moment, als bei Michael Rheinländer das berühmte Fass überlief und er beschloss, selber nie wieder Akkordeon zu spielen.

Nun ist das mit dem Nie bekanntlich so eine Sache, und inzwischen setzt er den Balg auch zum persönlichen Vergnügen wieder in Bewegung. Doch seitdem er bei Yavuz Duman Trompetenunterricht nahm, einem Musiker, der auch schon mal bei der Stunksitzung aushilft, ist Rheinländer diesem Blechblasinstrument verfallen, spielt in einer Big Band und anderen Formationen.

Als Puppenspieler mit der Concertina begonnen

Wer den Allround-Handwerker fragt, wie er zu seiner Werkstatt gekommen sei, bekommt eine Geschichte serviert, die sich ausführlicher aufzuschreiben lohnte. Angefangen hat es nämlich damit, dass er Anfang der 80er Jahre ums nördliche Mittelmeer wanderte. Um etwas Geld zu verdienen, verdingte er sich während dieser Zeit als Puppenspieler und begleitete sich mit einer kleinen Concertina, jenem sechseckigen Instrument, das zum Markenzeichen des berühmten Clowns Grock wurde.

Akkordeon_1

Michael Rheinländer hat anfangs Schrottinstrumente auf Flohmärkten aufgekauft, zerlegt und wieder zusammengebaut. So lernte er jedes einzelne Teil kennen. Später begann er, auch eigene Instrumente zu bauen.  

Etwas später lernte der gelernte Koch, der in der Nähe von Bad Kreuznach mehr oder weniger in der elterlichen Kneipe aufwuchs, bei einem Straßenfestival im Hunsrück Klaus den Geiger „und die ganzen Kölner Straßenmusiker kennen“. Diese wiederum luden ihn ein, nach Köln zu kommen und mit ihnen Musik zu machen. So kam Rheinländer nicht nur an den Rhein, sondern erstmals auch mit dem Akkordeon in Berührung.

Auf Flohmärkten Schrottinstrumente aufgekauft

Irgendwann, erzählt er, sei eine Stimmzunge abgebrochen. „Das ist in etwa so, wie wenn bei der Gitarre eine Saite reißt“. Rheinländer, auf das Instrument angewiesen war, suchte händeringend nach einem einem Reparateur, fand keinen, erfuhr jedoch dass die Firma Hohner damals selber Reparaturkurse anbot. Allerdings nur für technisch versierte Orchestermitglieder oder kaufmännische Angestellte. Es gelang ihm dennoch, dort unterzukommen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Anschließend kaufte er auf Flohmärkten sämtliche Schrotthaufen-Instrumente, die er aufstöbern konnte, zerlegte sie in ihre rund 450 Einzelteile und baute sie wieder zusammen, bis er das quasi im Schlaf konnte. So wurde aus dem Straßenmusiker und ehemaligen Mitglied der Kölner Hausbesetzer-Szene ein Selfmade-Instrumentenbauer, der allerdings auch noch eine richtige Meisterprüfung absolvierte und seit 1994 eine eigene Werkstatt betreut.

„Regelmäßig bei René Schwiers das Konfetti rauspulen“

Anfangs war die in einem für hundert Mark gemieteten Zimmer in der Maria-Hilf-Straße. Doch spätestens als der inzwischen verstorbene Willy Schnitzler von den Bläck Fööss bei ihm auftauchte und sagte: „Ich habe gehört, du kannst Akkordeons reparieren“, sprach sich das in der Szene rum, und der Raum reichte nicht mehr.

Akkordeonwerkstatt

Heute befindet sich die Werkstatt in einem Südstadt-Hinterhof in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Pferdeschlachterei. Abgesehen von der Pandemie-Zeit hat Rheinländer im Winter immer am meisten zu tun. Da falle den Karnevalisten urplötzlich ein, dass ihnen letztes Jahr jemand eine Cola übers Instrument geschüttet hatte; ein Malheur, welches Rheinländer – „ich bin ja ein ganz gewiefter Hund“ – mit warmem Prilwasser behebt. Dass er bei René Schwiers von Kasalla nach der Session „regelmäßig das Konfetti rauspulen“ muss, gehört in Köln zu den Standards eines Akkordeon-Wiedergutmachers – genauso wie das Erneuern von Dichtungen und oder Austausch von Verschleißteilen. Trotz des täglichen Griffs zur Trompete ist Rheinländer nach wie vor Akkordeon-Fan. Nur sollte niemand mehr bei ihm „Oh, du Fröhliche“ anstimmen.