Die Kraft der KälteWarum ein Kölner jeden Tag bis zum Hals im See sitzt
- Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt.
- Dieser Frage geht Susanne Hengesbach regelmäßig nach. Diesmal geht es um einen Kölner, der auf die heilsame Wirkung eiskalter Bade-Sessions schwört.
- Das erste Mal bei gerade mal sechs Grad sei schon nicht einfach gewesen, gibt der 26-Jährige zu.
Köln – Paare mögen in vielerlei Hinsicht kompatibel sein, in einem Punkt sind es die meisten nicht: Beim Wärme und Kälteempfinden. Dass Männer und Frauen diesbezüglich nicht zusammenpassen, ist keine These des wunderbaren Loriot, sondern eine Erfahrung, die einem jeder Ofenverkäufer bestätigen kann. Der junge Mann, der genauso wie ich am Sonntag ein vorerst letztes Mal den Cappuccino im Café trinken möchte, ist ein Paradebeispiel.
Während unsereins froh ist, dass einem draußen noch nicht die Finger absterben, beklagt er die milden Temperaturen. „Weshalb dann die Mütze? – Aljoscha Thönneßen grinst. „Ich hasse Friseurbesuche. Da muss ich irgendwann Mütze tragen.“ – Verstehe. Nicht nur ein Schlecht-Wetter-Tag, sondern auch ein Bad-hair-day. Wir lachen beiden.
Dann erzählt er, was ihm wirklich auf den Keks geht: Er habe in den letzten Tagen zu viel am Schreibtisch gesessen und zu wenig Bewegung bekommen. „Und ich bin schon Tage nicht mehr im See gewesen.“ – „Im See?“, frage ich gedehnt. Mein Gegenüber grinst erneut und berichtet mir dann von einer Aktivität, die mir Gänsehaut bereitet. Der 26-Jährige ist gewissermaßen Kneipp hoch drei; sprich: keine Wasseranwendung im Tretbecken, sondern sitzend bis zum Hals im kalten Nass und das satte zehn Minuten. „Wenn wir gut sind, schaffen wir es sogar 13 oder 14 Minuten.“
Mit seinem Kumpel trifft er sich zum Kneippen am Angelteich
„Wer ist wir?“, frage ich und erfahre, dass es einen Eintauch-Kumpel namens Filip gibt, der die Sache angekurbelt hat. Er sei so begeistert vom Buch des niederländischen Extremsportlers Wim Hof über die Kraft der Kälte gewesen, dass er ihn vergangenen Herbst gefragt habe, ob er mitmachen wolle. „Wenn Du meinst, das ist eine gute Idee, dann komme ich mal mit“, habe er, Aljoscha, geantwortet und sich am nächsten Morgen auf sein Rad geschwungen.
„Wo ist der See?“, frage ich. „Irgendwo Richtung Müngersdorf“, sagt mein Gegenüber und zückt sein Handy. „Oh, gar nicht eingezeichnet“, stellt er fest. Egal. Ein kleiner Anglerteich jedenfalls. Sie bräuchten ja nicht viel Platz, wollten schließlich keine Bahnen ziehen. Ich nicke.
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„Und wie kalt war es beim ersten Mal?“ – „Vielleicht sechs Grad“, schätzt Thönneßen. Ich stöhne auf, er grinst wieder und gibt zu, ihm sei auch erstmal die Luft weggeblieben, aber „mit Zittern und – ganz wichtig – Atemtechniken“ ging es. „Danach wurde es bei jedem Mal leichter.“ „Und was ist der Nutzen?“ – „Es hilft gegen chronische Schmerzen. Kälte ist viel gesünder für unseren Körper und für unser Immunsystem, als wir glauben.“
Bevor er sein Studium der Physiotherapie begann, habe er hauptsächlich als Tennislehrer gearbeitet. Er habe zwei Bandscheibenvorfälle gehabt und sei zweimal operiert worden. Dann habe der Chiropraktiker gesagt: „Kühlen! Jeden Tag zwölf Minuten.“ „Er hat bestimmt die Kaltkompresse aus dem Eisschrank gemeint“, mutmaße ich. Thönneßen nickt und beschreibt mir diese zehn Minuten in Eiseskälte geradezu romantisch: „Fernab von Alltagsstress und irgendwelchen To-do-Listen, die man noch abarbeiten muss“.
Jedes Mal ist eine Überwindung
Vor meinem geistigen Auge sehe ich die beiden jungen Männer im Morgengrauen im See sitzen – bis zum Hals im Wasser. „Heißt das, Sie freuen sich richtig auf Dezember und Januar?“ – „Ja, aber ich habe auch Respekt davor. „Es ist nicht so, dass ich um sieben innerlich jubelnd aufs Rad steige. Es ist jedes Mal schon eine Überwindung. Aber auch ein tolles Gefühl danach. Man ist wach, man ist fit!“ – „Und Sie brauchen im Grunde nur ein Handtuch.“ – Ein Handtuch und vier Schichten Klamotten. Unterhemd, T-Shirt, Langarm-Shirt, Pulli, Jacke...“
Beim Rauskommen aus dem Wasser sei die Haut ganz rot, und der Körper fühle sich warm an. Aber dann müsse man achtgeben, dass er nicht auskühle. Mich fröstelt schon beim Zuhören. „Ich bin normalerweise superanfällig für Erkältungen“, sagt der gebürtige Dormagener. „Seitdem habe ich nichts mehr gehabt.“