Bennet ist zwölf Jahre alt, alles andere als schüchtern – und mit dem Down-Syndrom auf die Welt gekommen.
Im August will der Bundestag darüber entscheiden, ob der vorgeburtliche Bluttest auf das Down-Syndrom eine Kassenleistung werden soll.
Für Tina Schwerd steht fest: Sie hätte den Test nicht machen lassen.
Köln – Bennet hüpft auf die Besucherin zu, umarmt sie und sprudelt los: „Ich heiße Bennet, ich bin cool“. Der Zwölfjährige ist klein und zart für sein Alter, aber alles andere als schüchtern. „Woher er dieses Selbstbewusstsein hat, wissen wir auch nicht“, sagt Vater Mark Schwerd. „An manchen Tagen habe ich wirklich keine Lust, mit Bennet in der KVB zu fahren, weil ich nicht alle Mitreisenden kennenlernen will“, erzählt Mutter Tina.
Gerade versuchen die Eltern, ihrem Jüngsten seine überschwängliche Art abzugewöhnen. „Viele Leute reagieren gut, freuen sich sogar über seine strahlende Art, aber nicht alle“, sagt Mark Schwerd.
Bennet kam am 20. März 2007 zur Welt, als drittes Kind der Schwerds, deren Familie mit zwei Töchtern eigentlich schon komplett war. „Bennet war ein Unfall. Dass ich aber keine Abtreibung haben wollte, war von Anfang an klar, denn ich hatte schon mal eine, als ich noch sehr jung war“, erzählt Tina Schwerd.
Dass mit dem Baby in ihrem Bauch etwas nicht stimmte, stellte ihre Frauenärztin beim Organ-Ultraschall fest, der routinemäßig in der 20. Schwangerschaftswoche ansteht. In ihrer Gebärmutter hatte sich sehr viel Fruchtwasser gesammelt, zur weiteren Abklärung wurde sie zu einer Frauenärztin überwiesen, die ein besonders hoch auflösendes Ultraschall-Gerät besaß. Es stellte sich heraus, dass Bennets Darm nicht richtig funktionierte. Eine Stenose, eine Fehlbildung, die häufiger bei Kindern mit Down-Syndrom vorkommt, wurde diagnostiziert. „Sie wissen, dass Sie noch abtreiben können“, sagte die Ärztin.
Bennet kommt zwei Monate zu früh auf die Welt
Tina Schwerd war erst mal geschockt, und schwankte zwischen der Entscheidung für und gegen eine Fruchtwasser-Untersuchung, die für Klarheit gesorgt hätte. „Wir hatten uns zuvor dagegen entschieden, weil wir fürchteten, ein gesundes Kind zu verlieren. Außerdem kommen nur zehn Prozent aller behinderten Menschen mit einer Behinderung zur Welt“, sagt Mark Schwerd.
Die Sache mit der Fruchtwasser-Untersuchung erledigte sich von selbst. Wegen frühzeitiger Wehen und der großen Menge an Fruchtwasser kam Tina Schwerd in die Uni-Klinik. „Das Fruchtwasser sollte abgepumpt werden, dann hätte ich auch der Untersuchung zugestimmt.“ Doch es blieb beim „hätte“: „Am Dienstag sollte der Eingriff sein, in der Nacht zu Montag kam Bennet auf die Welt, er ist quasi aus mir rausgeschwommen.“ Zwei Monate zu früh.
Einmal auf der Welt, war klar: Bennet hat das Down-Syndrom und wegen der Fehlbildung seines Darms muss er sofort in die Kinderklinik an der Amsterdamer Straße verlegt werden. Vier Wochen blieb er auf der Intensivstation, die Ärzte bauten eine Umgehung für den versperrten Darmausgang. Die Schwerds bangten um ihr Frühchen. „Ist der schön“, erinnert sich Mark Schwerd an den ersten Gedanken beim Anblick seines Sohnes. „Er war viel hübscher als die Mädchen, die ganz zerknautscht waren.“
Mutter Tina begann sich sofort mit dem Down-Syndrom zu beschäftigen, sie las und sprach mit einer Freundin, die betroffen war. Später suchten sie den Kontakt zur Lebenshilfe, Bennet nimmt regelmäßig an der Stadtranderholung teil, einem integrativen Ferienprogramm, das die Lebenshilfe organisiert. „Bei mir ist die Erkenntnis, dass mein Sohn eine geistige Behinderung hat, nach und nach durchgedrungen“, sagt Mark Schwerd. „Es macht mich schon traurig, wenn ich darüber nachdenke, dass mein Sohn nie Auto fahren werden kann oder eine eigene Familie haben wird. Aber: Ich selbst muss mich von Träumen verabschieden, die ich vielleicht für mein Kind hatte. Es ist also eher Selbstmitleid.“
Während Mark Schwerd erzählt, sitzt Bennet auf seinem Schoß, kuschelt sich in Papas Armbeuge. Mutter Tina hat ihm Kirschen und Nektarinen gebracht. Bennet ist ein unkompliziertes Kind. „Er isst alles. Die Mädchen waren immer schwierig beim Essen, doch Bennet probiert alles.“
Zweifel am inklusiven Unterricht
Die Schwerds leben in einem Reihenhaus in Poll. Bennets Förderschule für geistige Entwicklung ist gleich ums Eck. Über inklusiven Unterricht hatten sie auch nachgedacht und sich zwei Schulen angesehen, doch es überwogen die Zweifel. „An der einen gab es nicht mal einen Pflegeraum“, sagt der Vater. Ein Problem, weil Bennet auch mit sieben Jahren noch nicht ganz trocken war. Jetzt bringen ihn die Eltern zur Schule und holen ihn ab, hoffen aber, dass er den Weg eines Tages selbstständig bewältigen kann.
Das Leben mit Bennet hat die Schwerds langsamer gemacht. „Ich bin normalerweise sehr schnell, Bennet hat mich entschleunigt“. Bennet kann sich komplett in eine Sache versenken: Musik hören, Hörspiele, Bücher mit dem Lesestift lesen. Auch Tierfilme sieht er gerne. „Bennet macht eine Sache und nicht vier auf einmal“, sagt Mark Schwerd. „Das finde ich super.“
Mark arbeitet von zu Hause, er handelt mit Schallplatten. Tina pendelt nach Wuppertal, wo sie einen Kurierdienst leitet. Tochter Leonore steckt den Kopf auf die Terrasse. „Hallo und tschüss, bin unterwegs“. Leonore ist 17, wird im nächsten Jahr ihr Abi machen. Die Große, Marlene, absolviert gerade ihr Freiwilliges Soziales Jahr in der Dominikanischen Republik. Beide Schwestern haben Bennet von Anfang an liebevoll begleitet. „Mit einem behinderten Bruder aufzuwachsen, hat beide auf besondere Weise sensibilisiert“, sagt Tina Schwerd. Sie haben viel Zeit mit ihm verbracht, und ihn abends betreut, so dass die Eltern auch mal ausgehen konnten. Leonore will nach dem Abi ein Praktikum in Bennets Schule machen.
Die Schwestern tragen Verantwortung. Heute schon, aber erst recht später, wenn die Eltern einmal nicht mehr leben.
Wer die Schwerds besucht, bekommt ein Stück Kuchen und dazu Kaffee. Tina ist eine große Bäckerin, heute steht Rhabarber-Baiser auf dem Tisch. „Ich habe einfach Spaß daran und versuche, nicht alles selber zu essen“. Manchmal träumt Tina Schwerd davon, ein eigenes integratives Café zu eröffnen, in dem Bennet arbeiten könnte, nach dem Vorbild des „Wo ist Tom“ in Sülz, das die Lebenshilfe als integratives Projekt betreibt.
Das Schlimme ist nicht, den Test machen zu lassen
Tina Schwerd hat ihrer Frauenärztin gesagt, dass sie bereit ist, mit Frauen zu sprechen, die vor der Entscheidung für oder gegen ein Kind mit Behinderung stehen. Doch es hat sich in zwölf Jahren noch niemand gemeldet. Das Schlimme sei ja nicht, den Test machen zu lassen, sondern die Entscheidung zu treffen, die im Fall eines negativen Ergebnisses anstünde. „Im Prinzip muss man die Entscheidung gefällt haben, bevor man den Test macht“, sagt Mark Schwerd. Viele dächten ja, es wird schon alles gut gehen, der Test sei nur pro forma.
Die Schwerds sind nicht gegen den Bluttest. Hätte es ihn damals schon gegeben, Tina Schwerd hätte ihn aber wohl trotzdem nicht machen lassen. „Für mich war eben klar, dass ich auf keinen Fall einen zweiten Schwangerschaftsabbruch wollte. Im Übrigen ist für mich auch klar, dass es kein Abo auf Unversehrtheit gibt“. Das einzige, was sie manchmal wehmütig stimmt, ist, dass sie wegen Bennet nicht so viel Zeit für sich hat, wie andere Frauen in ihrem Alter, die jetzt große Kinder und mehr Freiheiten haben. Ihre Töchter stehen schon fast auf eigenen Füßen. Ob Bennet das je können wird? Tina Schwerd ist 49, in diesem Jahr wird sie 50 und will eine große Feier machen. Fest steht, dass Bennet jeden einzelnen Gast zur Begrüßung umarmen wird.