Köln – Die Restaurierung der beim Einsturz des Historischen Archivs im März 2009 beschädigten Dokumente soll deutlich teurer werden als bislang von der Stadt gedacht. Statt der bislang geschätzten 400 Millionen Euro soll die Wiederherstellung der Archivalien 627 Millionen Euro kosten. Das geht aus einem Gutachten des vom Landgericht Köln bestellten Sachverständigen Professor Hartmut Weber hervor.
Die Stadt meldete am Donnerstag – und somit zwei Tage vor dem Jahrestag – per Pressemitteilung, dass das Gutachten vorliege. Tatsächlich hat Weber das 200 Seiten starke Dokument nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits Ende 2017 fertiggestellt und abgegeben. Auf die Frage, warum die Stadtverwaltung mit ihrer Mitteilung zwei Monate gewartet hat, erklärte eine Stadtsprecherin, dass zuvor noch „einige Juristen das Material hätten prüfen müssen“. Darüber hinaus habe die Stadt zum Jahrestag stets irgendwelche neuen Zahlen zum Archiveinsturz bekannt gegeben.
Stichproben aus fünf Jahren
Weber hat als Grundlage für seine Berechnungen über einen Zeitraum von fünf Jahren Stichproben aus den geretteten Archivalien entnommen und damit die Schadenssumme ermittelt. Eine Begutachtung jedes einzelnen Dokuments hätte 210 Lebensjahre eines Menschen in Anspruch genommen und 37000 Ortstermine erforderlich gemacht, so die Stadt. Daher beschloss das Landgericht, dass eine repräsentative Stichprobe ausreichen müsse.Webers Hochrechnung bezieht sich ausschließlich auf jene Kosten, die bei der Rettung, Erfassung, Konservierung, Identifizierung und Restaurierung entstanden sind und künftig noch entstehen werden.
Den Wert des bei dem Einsturz für alle Zeiten zerstörten und verloren gegangenen Archivguts hat Weber hingegen nicht berechnet. Auch den Verlust des Archivgebäudes hat er nicht einbezogen. Die Stadt geht davon aus, dass sich die gesamte Schadenssumme nun auf 1,3 Milliarden Euro belaufen wird. Bislang war von 1,1 Milliarden Euro die Rede.Wer die Kosten für die Restaurierung tragen muss, ist zurzeit noch unklar. Die Stadt hofft darauf, Schadenersatzansprüche gegenüber den beteiligten Bauunternehmen geltend machen zu können. So wird jedes Bergungsobjekt vor der Restaurierung aufwendig dokumentiert. Dadurch wird festgehalten, welche Schäden einsturzbedingt entstanden sind und welche andere Ursachen haben. Jedes Stück erhält einen eigenen Strichcode, damit bei jedem Arbeitsschritt registriert werden kann, wie lange eine Instandsetzung gedauert hat, um hinterher die Kosten genau berechnen zu können. In jedem Fall muss die Ursache des Einsturzes geklärt werden, um überhaupt einen Schadenersatz geltend machen zu können.
Tausende Seiten Telefonbücher
Markus Lempa, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Baufirmen, zeigte sich am Donnerstag kritisch. „Das vorliegende Teilgutachten versucht mit Hilfe von Stichproben eine Schadenssumme für den Archivinhalt abzuschätzen“, sagte er. Ein derartig heterogener Bestand an Archivalien verbiete es, dessen Wert allein mit Hilfe von Stichproben grob abzuschätzen. „Bei einer Vielzahl von Dokumenten besteht zudem die Möglichkeit der Ersatzbeschaffung“, sagte Lempa. Daher stelle sich die Frage, warum das Stadtarchiv beispielsweise tausende Seiten von Telefonbüchern aufwendig restaurieren wolle, obwohl die gleichen Exemplare anderweitig ohne Mehraufwand beschafft werden könnten. Ein solcher Ansatz ist aus Sicht der Arge nicht nachvollziehbar und somit unverhältnismäßig“, so Lempa. Es habe mehrere Jahre gedauert, das Gutachten auszuarbeiten. Die Arge benötige jetzt eine angemessene Zeit, um den Inhalt zu prüfen.
Bis die 1,7 Millionen Objekte vollständig restauriert sind, die seit dem Einsturz des Stadtarchivs geborgen wurden, werden nach Einschätzung der Stadt 30 bis 40 Jahre vergehen. 95 Prozent des Archivguts konnten gesichert werden, fünf Prozent sind unrettbar verloren. 200 Mitarbeiter kümmern sich an den zurzeit vier Standorten des Stadtarchivs um die Reinigung, Aufarbeitung und digitale Sicherung der geborgenen Handschriften, Bücher und Dokumente.