AboAbonnieren

Überraschende Wende vor GerichtWeitere Anklage im Kölner Stadtarchiv-Prozess

Lesezeit 3 Minuten
Stadtarchiv Köln 2

Die Unglücksstelle am Waidmarkt.

Köln – Im Prozess um den Einsturz des Stadtarchivs wird es voraussichtlich schon bald einen weiteren Angeklagten geben. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie einen Oberbauleiter des Unternehmens Züblin der fahrlässigen Tötung und der Baugefährdung bezichtigen wird. Das wurde am Mittwoch in der Hauptverhandlung bekannt. Sollte es dazu kommen, wäre der Ingenieur der ranghöchste Vertreter der am Bau der U-Bahn beteiligten Firmen, der sich vor der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts verantworten muss.

Die Nachricht, dass sich der Kreis der Angeklagten erweitern könnte, erfolgte für die Zuschauer im Saal 210 eher beiläufig. Der Vorsitzende Richter Michael Greve hatte den Oberbauleiter für den übernächsten Freitag als Zeugen geladen. Dessen Anwalt hatte daraufhin angekündigt, sein Mandant werde aufgrund der gegen ihn anhängigen Ermittlungen die Aussage verweigern. Greve las das Schreiben des Verteidigers vor. Darin hieß es, es sei „zeitnah mit einer Anklage zu rechnen“.

Offenbar belastende Zeugen-Angaben

Offenbar ist die Führungskraft der Baufirmen durch Äußerungen eines der fünf Angeklagten belastet worden. Der Bauleiter Lars L., ein ehemaliger Untergebener, hatte in seiner Befragung angegeben, der Oberbauleiter sei über Probleme beim Bau der U-Bahn unter der Severinstraße informiert gewesen. Die zum Stadtarchiv hin gelegene unterirdische Außenwand habe sich nicht ohne Schwierigkeiten herstellen lassen. Ein Hindernis habe das Ausbaggern verzögert.

Alles zum Thema Historisches Archiv der Stadt Köln

Bei Arbeiten gepfuscht

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätte der Vorfall zu besonderer Aufmerksamkeit führen müssen – stattdessen sei bei den folgenden Arbeiten gepfuscht worden. Den Ermittlungen zufolge führte eine schadhafte Stelle an eben jenem Abschnitt der U-Bahn-Wand zu dem Einsturz des Archivs geführt. Dem Gebäude soll der Untergrund weggespült worden sein, als innerhalb kurzer Zeit Grundwassermassen, Kies und Sand durch die undichte Mauer in die Baugrube schossen.

Feuerwehrmänner bei Bergungsarbeiten beim Einsturz der Grube 2009 (Archivfoto)

Das Archivs riss seine beiden Nachbarhäuser mit in die Tiefe. Zwei Bewohner kamen dabei ums Leben. Welche schlimmen Erinnerungen das neun Jahre zurückliegenden Unglück bei manchen immer noch auslöst, wird am 13. Verhandlungstag bei der Vernehmung eines Augenzeugen deutlich. Der 39-jährige Psychologe Torsten H., der damals keine 200 Meter entfernt wohnte, befand sich zum Zeitpunkt des Einsturzes unmittelbar vor dem Archiv. Es fällt ihm zunehmend schwerer, das Erlebte zu schildern, mehrfach gerät er ins Stocken.

Lautes Knacken gehört

Er habe ein Knacken gehört, „wie wenn man eine Tafel Schokolade bricht, nur viel lauter“. Gleichzeitig vibrierte der Boden. Beim Zurückweichen habe er anfangs noch sein Handy hochgehalten, um das Ereignis zu filmen. Dann sei alles sehr schnell gegangen. „Das Archivgebäude stürzte von der Mitte aus ein“, sagt er. Eine riesige Staubwolke habe sich ausgebreitet, er habe Trümmerteile zu Boden fallen sehen.

Geschockt setzte sich Torsten H. auf die Treppen eines Hauseingangs und fing an zu weinen. Ein Polizist forderte ihn auf, sich aus der Gefahrenzonen zu bewegen, doch ihm versagen die Beine. Er habe sich „für einen stabilen Charakter gehalten“, sagt er. Das habe nicht verhindert, dass er nach dem Einsturz zwei Wochen lang „nichts unternommen, zu Hause gesessen und viel geweint“ habe. Es könne sein, dass er sein altes Mobiltelefon mit dem Video noch irgendwo habe. „Wenn Sie das Handy finden, melden Sie sich bei uns“, bittet Greve den Zeugen zum Abschluss der Vernehmung.