Köln – Der seelsorgliche Einsatz eines weiteren Missbrauchstäters mit Wissen der Kölner Bistumsleitung hat an der Kirchenbasis erhebliche Unruhe ausgelöst und Zweifel an der von Kardinal Rainer Woelki versprochenen Transparenz verstärkt.
Die Vorwürfe betreffen den Geistlichen Richard T. (Name geändert) aus dem Bistum Limburg. Er wechselte 2010 nach Köln und nahm im Wintersemester ein Studium an der Katholischen Fachhochschule NRW (KatHO) auf. 2013 wurde er dort zunächst als Tutor für Studienanfänger eingesetzt. Von 2014 bis 2019 war er außerdem als Lehrbeauftragter an der Hochschule tätig. Er gab unter anderem Kurse zu Gesprächsführung und aktuellen ethischen Fragestellungen.
Bistum Limburg informierte Kölner Führung
Das Bistum Limburg teilte auf Anfrage mit, es habe 2014 den damaligen Kölner Generalvikar Stefan Heße sowie den Personalchef des Erzbistums in einem Dossier über T.s Vorgeschichte informiert. Im Dezember fand in Köln ein Gespräch Heßes mit T. und dem Limburger Generalvikar Wolfgang Rösch zu T.s Vorgeschichte statt.
Das Erzbistum Köln bestätigte die Information. Nach Aufhebung einer zeitweiligen Suspendierung des Pfarrers habe man T. unter strengen Auflagen erlaubt, „aushilfsweise Messen zu zelebrieren“. Kardinal Woelki sei mit dem Fall, der „heute so nicht mehr möglich ist“, erstmals 2018 befasst worden, betonte sein Sprecher Oliver Schillings.
„Da ist überhaupt nichts dran“
2015 wurde T. in einer Kölner Innenstadtpfarrei tätig. Der damalige Pfarrer sagte, T. habe sich ihm angeboten. Beiläufig habe T. erwähnt, dass es in Limburg „Vorwürfe gegeben“ habe. „Er hat aber zugleich versichert, da sei überhaupt nichts dran.“ Der Pfarrer räumte ein, sich nicht rückversichert zu haben. „Ich hatte doch das Okay meines Personalchefs.“ Seinen pastoralen Mitarbeitern habe er deshalb auch nichts weiter gesagt.
T. hingegen erklärt in einer eidesstattlichen Versicherung, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, er habe sowohl den Pfarrer als auch das Seelsorge-Team „über mich betreffende Vorwürfe von sexuellem Fehlverhalten, hieraus resultierende strafrechtliche und kirchenrechtliche Verfahren sowie deren Beendigung informiert“.
Widersprüchliche Erklärungen
Auch dem heutigen Pfarrer, dem früheren Generalvikar Dominik Meiering, habe er 2018 in einem auf dessen Wunsch hin zustande gekommenen Kennenlern-Gespräch in Meierings Wohnung die „Umstände“ in gleicher Weise geschildert.
Dies wiederum passt nicht zu einer Erklärung Meierings an seine Gemeinde im aktuellen Pfarrbrief. „In dieser Woche haben wir durch einen Zeitungsbericht erfahren, dass Pfarrer T., der in den Jahren 2015 bis 2018 in unseren Kirchen Gottesdienste gefeiert hat, Anfang der 1990er Jahre sexuellen Missbrauch an minderjährigen Jugendlichen begangen hat“, schreibt Meiering. Dies habe „Erschrecken ausgelöst und infolgedessen Fragen aufgeworfen“. Er habe nun „als Pfarrer mit dem Erzbistum Kontakt aufgenommen und darum gebeten, zu prüfen, ob es möglich ist, weitere Informationen zur Verfügung gestellt zu bekommen“. Weiter behauptet Meiering, weder sein Vorgänger noch „irgendjemand aus dem Pastoralteam“ seien „über den sexuellen Missbrauch informiert worden“.
Vorwurf der Verschleierung
T. drückt in einer persönlichen Stellungnahme sein Bedauern aus, „dass einzelne Amtsträger der katholischen Kirche versuchen, mit der Behauptung, sie hätten von diesen Geschehnissen nichts gewusst, ihre Motive und Handlungsmöglichkeiten zu verschleiern“.
Das vierköpfige Pastoralteam der Gemeinde bestritt T.s Angaben vehement. Er habe ihnen gegenüber die Missbrauchsvorwürfe nicht zur Sprache gebracht, versichern die Seelsorger ebenfalls an Eides statt. Sowohl der Kaplan als auch der Pastoralreferent der Gemeinde hätten sich überdies mit Hinweis auf eine ausreichende personelle Ausstattung ausdrücklich gegen einen Einsatz von T. in der Pfarrei gewandt.
Blankes Entsetzen in der Gemeinde
Dort stellte T. sich nach Aussagen von Gläubigen als Priester dar, der es in Limburg unter dem früheren Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst nicht mehr ausgehalten habe. „Das machte ihn manchen gleich sympathisch“, berichtete ein Gemeindemitglied. In der Gemeinde herrscht nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe durch einen Bericht in der „Bild“-Zeitung offenbar blankes Entsetzen – zum einen wegen der ungeklärten Informationslage über T.s Vergangenheit, zum anderen weil der Geistliche sich wegen seiner aufgeschlossenen, überzeugenden, eloquenten Art und mitreißender Predigten großer Beliebtheit erfreute. Im Internet sind geradezu enthusiastische Berichte über Gottesdienste zu lesen, die T. feierte.
Der Vorsitzende des Pfarrgemeinderats sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, das Erzbistum solle umgehend erklären, wie es zu T.s Einsatz gekommen sei und wer dessen Vergangenheit gekannt habe. „Hier steht die Glaubwürdigkeit unseres Pastoralteams nach außen auf dem Spiel“, betonte der Gemeindevertreter. „Für alle, die ihr Christ sein in der Kirche leben wollen, ist die Situation seit Jahren ein Desaster.“
Zahlreiche sexuelle Vergehen
Eine Studie aus dem Jahr 2020 zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Bistum Limburg stellt den Fall T. ausführlich dar und listet zahlreiche sexuelle Vergehen des Geistlichen auf, beginnend schon vor der Priesterweihe mit einem über Jahre andauernden Kindesmissbrauch. Aus den 1990er Jahren sind unterem anderen der Übergriff auf den 16 Jahre alten Sohn der Pfarrsekretärin mit gemeinsamer Masturbation, Saunabesuche mit Jugendlichen sowie sexuelle Belästigungen aktenkundig. Darüber hinaus sind dem Bistum Vorfälle aus T.s Zeit als Schulseelsorger in den 2000er Jahren bekannt.
Das Gutachten kritisiert sowohl die Aufhebung der Sanktionen gegen T. im Jahr 2015 als auch die Bescheinigung eines unbeschränkten Einsatzes aus dem Jahr 2018 vehement. T. habe sich „nicht für die Opfer, sondern nur für seine Belange interessiert“ und keine Einsicht in sein Fehlverhalten erkennen lassen.
Schuldeingeständnis des Pfarrers
In einer Mitteilung an den „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt T. jetzt, er wisse um seine „Schuld hinsichtlich sexueller Übergriffe gegenüber Minderjährigen“ und bedauere dies zutiefst. „Mir ist bewusst, dass mich diese Vorkommnisse im Leben nicht mehr loslassen werden und können. Durch mich sind junge Menschen geschädigt worden. Ich will aber für mich in Anspruch nehmen, dass die Geschehnisse lange zurückliegen.“ Sie seien inzwischen therapeutisch aufgearbeitet. „Seit 15 Jahren habe ich eine persönliche Sicherheit, dass sich diese Verhaltensweisen nicht wiederholen.“ Transparenz über seine Vergangenheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt „war zugleich hinreichender Schutz für andere“.
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Zu T.s Einsatz an der KatHO sagte Rektor Hans Hobelsberger dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, er habe die Zusammenarbeit im April 2019 umgehend beendet, als er aus Medienberichten von T.s Vorgeschichte erfahren habe. Hobelsberger führte nach Durchsicht der Hochschul-Unterlagen aus, es gehe aus den Akten hervor, dass der Limburger Generalvikar Rösch zusammen mit T. im Dezember 2014 auch beim Vize-Dekan der Hochschule vorstellig geworden sei.
Das stimmt mit der Erklärung T.s überein, wonach er der Hochschule gegenüber mit offenen Karten spielte. Aus den Akten, so Hobelsberger weiter, habe sich nichts ergeben, was seinerzeit gegen eine Lehrtätigkeit gesprochen hätte. Unter anderem habe T. zweimal ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt. Von sexuellen Übergriffen oder Beschwerden während der gesamten Zeit T.s an der KatHO sei ihm nichts bekannt, versicherte Hobelsberger, „bis auf die Tatsache, dass T. Studierende zu sich nach Hause einlud“. Dagegen sei im Grundsatz nichts einzuwenden, betonte der Rektor. „Andere Lehrkräfte tun das auch. Das will nichts heißen. Aber in diesem Fall wollte ich überhaupt nichts riskieren.“
„Falsche Entscheidung“
Den Einsatz T.s an der KatHO bezeichnete Hobelsberger als falsche Entscheidung. „Das geht gar nicht. Das hätte nicht passieren dürfen. Wir profilieren uns im Bereich Kinderschutz. Da gibt es keinen Spielraum.“
Noch 2018 veranstaltete T. Freizeiten mit jungen Erwachsenen und zeigte sich auf seiner Homepage mit jungen Leuten. Mitte 2019 wurde er schließlich vom Bischof von Limburg, Georg Bätzing, in den Ruhestand versetzt.
Erzbistum verweist auf verschärftes Regelwerk
Woelkis Sprecher Oliver Schillings betont zusammenfassend, dass ortsfremde Priester seit 2018 generell eine Leumundserklärung vorlegen müssten, ohne die kein Einsatz im Erzbistum erfolgen dürfe. Im Fall T. habe Kardinal Woelki 2018 die Ernennung T.s zum „Subsidiar“ (Hilfsgeistlichen) abgelehnt und ihm den weiteren priesterlichen Einsatz im Erzbistum Köln untersagt.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, feiert T. im Rahmen der ihm vom Bistum Limburg auferlegten Beschränkungen aber weiter Gottesdienste, so zum Beispiel an diesem Donnerstag in der Hauskapelle eines Schwesternkonvents in Köln. Er versicherte, die Ordensoberen seien „über die vorerwähnten Verfahren“ informiert. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagte eine Vertreterin des Ordens, sie habe von den Vorwürfen gegen T. „nichts gewusst“.