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Explosionen in KölnKriminelle Banden locken Teenager mit bis zu 20.000 Euro für einen Mord

Lesezeit 4 Minuten
Dieser Mann soll am 16. September einen Sprengsatz vor dem Nachtclub Vanity in Köln abgelegt haben - die Polizei sucht noch immer nach ihm.

Dieser junge Mann soll am 16. September 2024 einen Sprengsatz vor dem Nachtclub Vanity in Köln abgelegt haben - die Polizei sucht noch immer nach ihm.

Ein Europol-Papier beschreibt, wie Drogenbanden Minderjährige für Tötungen und Anschläge rekrutieren – möglicherweise auch für Taten in Köln.

Seelenruhig schlendert der junge Mann mit den Rastazöpfen am frühen Morgen des 16. September über den Hohenzollernring in Köln. In der linken Hand hält er eine blaue Plastiktüte, in der rechten sein Smartphone. Gefilmt wurde die Szene von einer Überwachungskamera der Polizei.

Wenige Minuten später detoniert vor dem Nachtclub Vanity ein Sprengsatz. Die Polizei geht davon aus, dass der Mann mit der Plastiktüte ihn am Eingang abgelegt und gezündet hat und dann geflüchtet ist. Bis heute fehlt von dem jungen Attentäter jede Spur. Vermutet wird inzwischen, dass er sich schlicht in der Adresse geirrt haben könnte und die Bombe eigentlich woanders platziert werden sollte.

Kannte der Täter sich in Köln nicht aus? War er womöglich eigens für die Tat aus den Niederlanden angereist? Angeworben von Banden aus dem Bereich der organisierten Kriminalität?

„Crime as a service“ – Kriminalität auf Bestellung

Ein Papier der europäischen Polizeibehörde Europol mit Sitz im niederländischen Den Haag legt diese Vermutung nahe. Auch die Polizei Köln sprach im Zusammenhang mit mehreren Explosionen vor Wohn- und Geschäftshäusern in der Stadt schon mehrfach von „Crime as a service“ – Kriminalität auf Bestellung. Der Europol-Report erklärt nun genauer, wer die jungen Täter sind und wie sie rekrutiert werden.

Hintergrund zumindest einiger der Explosionen in Köln und NRW könnte ein Streit sein, der unter Mitgliedern einer Drogenbande aus Köln-Kalk eskaliert ist und inzwischen den Ermittlungen zufolge wohl längst auch mithilfe von Gewalttätern krimineller Netzwerke aus den Niederlanden ausgefochten wird.

Dort ist es üblich, dass kriminelle Banden Minderjährige aus den sozialen Brennpunkten in Utrecht, Amsterdam oder Rotterdam für schwere Gewaltstraftaten anwerben. In den vergangenen Jahren habe sich dieser Trend auf andere europäische Länder ausgeweitet, heißt es in dem Europol-Dokument, überschrieben mit dem Titel „Die Rekrutierung junger Täter für kriminelle Netzwerke“.

Junge Auftragstäter sind meist zwischen 13 und 17 Jahre alt

Minderjährige im Alter zwischen 13 und 17 Jahren seien demnach an inzwischen mehr als 70 Prozent der Straftaten aus den Bereichen Cyberkriminalität, Online-Betrug, Drogenhandel und damit verbundene Gewalt, Migrantenschmuggel und Eigentumskriminalität beteiligt – mit einem Schwerpunkt im Kokain- und Cannabishandel.

Bei einer Explosion am 16. September 2024 vor dem Nachtclub Vanity wurde eine Person verletzt.

Bei einer Explosion am 16. September 2024 vor dem Nachtclub Vanity wurde eine Person verletzt.

Die Teenager träten als „Low-Level“-Dealer im Straßenhandel in Erscheinung, aber auch als Drogenkuriere, Schmuggler, Erpresser und Auftragsmörder. Außerdem bei „Rip-Off“-Taten, also dem Diebstahl oder Raub von Drogen etwa aus Schiffscontainern oder anderen Verstecken. Für einen Mord, weiß Europol, zahlen die Hintermänner ihnen einige Tausend bis zu 20.000 Euro.

Die jungen Täter agieren auf der untersten Ebene der Bandenstruktur. Damit sie nach einer Festnahme nichts über die Hintermänner auspacken können, erhalten sie von ihren Auftraggebern nur so viele Instruktionen wie unbedingt nötig. „Typischerweise fehlt es diesen Minderjährigen an direkten Kontakten mit höheren Rängen der kriminellen Netzwerke“, heißt es in dem Behördenpapier.

Anwerbung läuft über Social Media und Messenger wie Telegram

Über Messenger wie Telegram erhalten sie ihre Anweisungen von „Criminal Service Providern“, Koordinatoren, die den Teenagern Waffen und Munition zur Verfügung stellen und sie mitunter auch zu den Tatorten fahren. „Die jungen Mitarbeiter werden in verschiedenen Regionen und Städten eingesetzt“, schreibt Europol.

Rekrutiert werden die Minderjährigen hauptsächlich über soziale Medien und Messenger-Dienste. Ihnen werde „leichtes Geld“ oder „schnelles Geld“ versprochen, berichten die EU-Ermittler. Die kriminellen Anwerber ahmten bewusst die Influencer-Sprache nach, nutzen jugendtypische Sprache, Slangbegriffe und Emojis – zum Beispiel eine Schneeflocke für „Kokain“ und einen Baum für „Cannabis“.

Um Spreng- oder Mordaufträge möglichst harmlos erscheinen, aber dennoch spannend klingen zu lassen, stellen die Anwerber die Taten als „Herausforderungen“ oder „Missionen“ dar, beschreiben die geplanten Schwerverbrechen als „Spiel“ oder „Wettbewerb“, schreibt Europol – eine Methode, die Wissenschaftler „Gamification“ nennen: Vertraute Begriffe aus der Gaming-Welt sollen bei den jungen Tätern die Hemmschwellen senken. „Manchmal werden auch Videospiele als Lehrmittel zum Erlernen von Schieß- oder Gewalttechniken eingesetzt“, heißt es in dem Europol-Dokument.

Ob auch der Attentäter vom Hohenzollernring auf diese oder ähnliche Weise angeworben und instruiert wurde, bleibt vorerst unklar. Man gehe diesem Verdacht nach, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Die Tatsache, dass der Verdächtige trotz Foto-Fahndung der Kölner Polizei bislang nicht identifiziert werden konnte, deutet für die Ermittler darauf hin, dass er nicht in der Region lebt, sondern extra für die Tat auf dem Hohenzollernring nach Köln gereist ist.