„Die Ahr war eine Ausgeburt der Hölle“Winzer Lukas Sermann leidet unter Flut-Folgen
Altenahr – Morgens, halb zehn, im Katastrophengebiet. Noch vor knapp drei Wochen sah das hier so aus: Hunderte Menschen, Kolonnen von Bundeswehrsoldaten, Handwerker, das THW, Freiwillige mit Schippen und Besen - alle packten an, räumten auf, schafften weg. Die Straßen waren voll von schwerem Gerät: Muldenkipper in Reihe, Tankwagen, Ladern und Kränen. Und heute: Altenahr ist eine Geisterstadt.
Zwischen dem Fluss und dem Gieretsberg, da, wo noch Häuser stehen, klaffen schwarze Löcher in den Fensterhöhlen. Wie Augenhöhlen in Totenschädeln starren sie hin zu den braunen Flächen ahraufwärts. Dorthin, wo gar nichts mehr ist. Kein Baum, kein Strauch, kein Haus, nichts. Hinter gigantischen Schutthalden die bizarren Reste einer Eisenbahnbrücke, darunter plätschert idyllisch ein Flüsschen.
Der Scheitelpunkt in der Seilbahnstraße war bei zehn Metern
Zehn Meter hoch war die Flutwelle in der Seilbahnstraße am Scheitelpunkt, acht Wochen ist das jetzt her. Zwischen den Ruinen, gegenüber vom Weingut Sermann, liegt der Friedhof, der provisorisch aufgeräumt und wieder eingesegnet wurde. Blumen leuchten rot auf dem noch frischen Grab eines Mannes, der 100 Meter weiter an seinem Haus ertrunken ist. Eine einsame Straßenkehrmaschine arbeitet sich die B267 entlang Richtung Altenburg.
Luzia Sermann steht auf der kleinen Terrasse der Gästewohnung oben im zweiten Stock des Weinguts. Hier hat sie am 15. Juli allein die Nacht verbracht, Sohn Lukas und Ehemann Elmar befanden sich zwei Häuser weiter. Sie waren eingestiegen in ein leerstehendes Haus, weil sie es ins eigene nicht mehr geschafft hatten.
Die Flut stand bis kurz unter der Dachtraufe. In der ersten Etage kann man sehen, wo das Wasser an die Decke schwappte. „Das war knapp“, erzählt Luzia Sermann. Die Decken im ersten Obergeschoß sind gerade noch trocken geblieben. Alles darunter wurde fortgeschwemmt, eingeschlammt, aufgeweicht. In den Resten der Küche lag ein Baumstamm. „Die Ahr war eine Ausgeburt der Hölle“, sagt sie und wendet sich ab. Den animalischen Sound des Hochwassers, das alles verschluckte, wird sie nie vergessen.
Immerhin, die Sermanns haben schon wieder Fenster. Der nasse Putz ist abgeschlagen, die Holzböden rausgerissen. Pressspanplatten auf den Deckenbalken dienen als provisorische Böden, der Keller ist aufgeräumt und als Flaschenlager nutzbar.
Zwei Bautrockner lassen die Luft im Raum zirkulieren. Vier Statiker haben das Haus begutachtet und freigegeben. „Ich habe gehofft, mein Mann und ich könnten nächste Woche in die Dachwohnung einziehen“, sagt Luzia Sermann, „aber ohne Küche geht das nicht.“ Also wohnen sie vorerst weiter beim Schwager. Sie wären ohnehin die Einzigen in der Seilbahnstraße.
Ob die Nachbarn jemals zurück kommen, ist ungewiss bis unwahrscheinlich. Gestorben. Zu alt. Kein Geld. Keine Motivation. Die Frage sei ja, „wie geht man mit dem Wasser um, psychisch?“ Kann sich das wiederholen? Luzia Serman sagt: „Ich blende das total aus.“ Ihr Blick verliert sich in der Ferne. Auf Kreisebene würden jetzt Konzepte entwickelt, aber „ich kann mir in meinem kleinen Kopf nicht vorstellen, dass man das Tal so abriegeln kann, dass so ein Wasser nie mehr kommt. Wenn es denn kommt.“
Fünfzig Meter weiter in der Kellerei sind Lukas Sermann, sein Vater und Mitarbeiter damit beschäftigt, die Technik gangbar für die Ernte zu machen. Die Kellerei, eine moderne Stahlträgerhalle, sieht schon wieder aufgeräumt aus. Die Flut hatte zwei Außenwände mitgerissen. Das Wasser hat alle Maschinen, Gerätschaften und die Barriques mit den edlen Tropfen, Spitzen-Pinots und Lagenweine, Richtung Rhein weggespült und auf dem Dach einen Baumstamm abgelegt.
Dank der ehrenamtlichen Helfer sowie der massiven, auch materiellen Unterstützung von Winzern aus anderen Anbaugebieten, ist jetzt aber wieder vieles da: die Wände sind provisorisch abgedichtet, eine Traubenmühle und eine Traubenpresse stehen, die Alutanks, die kreuz und quer lagen, bilden auf der Galerie eine glänzende Reihe, sogar erste Barriques sind schon angekommen. Die Tücke steckt jetzt im Detail. Hier fehlt eine Dichtung, da ein Werkzeug, dort ein Stecker. Das kostet Zeit und Nerven, denn die Anzahl der Details ist groß. Elmar Sermann erklärt, wie dank selbstmörderischer Hefe, Gärung, Aminosäuren, Glutamateffekten, Lagerzeiten und, und, und aus Trauben Wein werden kann, wenn alles gut läuft.
Aber natürlich läuft nicht alles gut. Und das liegt in diesem Fall wieder am Wasser: „Die 60, 70 Liter Regen vor zwei Wochen waren pures Gift“, sagt Lukas Sermann. Die Ertragsausfälle, die es Stand jetzt gibt, seien alle dieser Zeit zuzuschreiben. Aber Sermann versucht gegenzusteuern: „Selbst wenn nur eine Traube am Stock hängt, versuche ich, die zu retten“, sagt er. Aktuell sei das Wetter perfekt: bis 25 Grad, leicht bewölkt, leichter Wind, und abends kalt. „Regen? Der kann sich jeden Tropfen sparen.“ Besonders für die Frühsorten wie Dornfelder oder Frühburgunder wäre das tödlich. Bei einigen Biowinzern sei jetzt schon kaum noch was zu retten.
Erntebeginn am 15. September
Denn noch darf nicht geerntet werden. Der Pflanzenschutz war nach der Flutkatastrophe zentral mit Hubschraubern übernommen worden. Eine gute Lösung für alle Winzer, aber verbunden mit Wartezeiten, da sich die Mittel in den Pflanzen erst abbauen müssen. „Ab diesem Mittwoch, 15. September, dürfen wir offiziell“, sagt Lukas Sermann. „Dann starten wir auch mit ein, zwei Weinbergen. Wenn das Wetter gut bleibt, können wir noch eine Woche verschnaufen, dann fängt ein ganz normaler Leseblock an von drei, dreieinhalb Wochen.“ Immer vorausgesetzt, es bleibt trocken. Zwei Stunden Wasser von oben können alles verändern. Ein Radlader mit einem Autowrack auf der Schaufel fährt vorbei. „Wahnsinn, so was finden die nach acht Wochen immer noch.“
Aber Lukas Sermann schaut nach vorne. „Die Flut hat mich bestätigt. In dem, was ich tue, in dem, wie ich es tue, in dem, wie ich als Mensch bin.“ Seine Einstellung zum Leben halte ihn gesund, sagt er. Sich einen gewissen Spielraum zu erhalten, sei in der Katastrophe überlebenswichtig. Er will auch die Chancen sehen, die die Flut eröffnet hat. „Dann fällt das Auf-kaputte-Sachen-gucken einfacher.“
Einiges will er direkt ändern. Die Alutanks würde er, wenn sie leer sind, mit Wasser füllen, damit sie nicht schwimmen können. Und „wir würden nicht mehr so lange warten, und alles andere direkt auf Hänger laden und auf den Berg fahren.“ Sein Vater habe die Kellerei damals in weiser Voraussicht so geplant, dass alles fahrbar sei. Ein funktionierendes Frühwarnsystem wäre hilfreich, „dann können wir das innerhalb eines halben Tages schaffen.“ Ein Grundstück zum Abstellen habe er für alle Fälle organisiert.
Keine Alternative zu Holzfässern
Zu den Barriques gäbe es keine Alternative. „Kein Holz zu benutzen, geht nicht, das gehört zu meiner Stilistik“, sagt der letzte selbstständige Winzer von Altenahr. Vergangenes Jahr hatte er 50 Barriques, in zehn Jahren sollen es 150 sein. Bei Holzfässern sei er eigen, weil sie eine große Rolle für den Geschmack spielten. Er hat jetzt neue Fässer bestellt. Die kleinen für 228 Liter kosten in der Qualität, die er haben will, an die 1000 Euro das Stück. „Die sind aus französischer Eiche, die Dauben werden gespalten, was sehr aufwendig ist.“ Sie hätten weniger Vanillenoten als etwa solche aus amerikanischer Eiche. „Ich will den Wein nicht aromatisieren durch das Holz“, sagt er. „Du belohnst deine Arbeit im Weinberg mit dem Wein im Keller.“
Lukas Sermann ist in seinem vierten Jahr als verantwortlicher Winzer. „Ich bin am Anfang meines Lernprozesses.“ Für eine fachlich-fundierte Meinung gehe er schon zu Vater Elmar, „und dann mische ich das mit meinem jugendlichen Enthusiasmus, vielleicht auch mit etwas Leichtsinn, und dann mache ich etwas, was er vielleicht dreimal in seiner Jugend vergeblich versucht hat, und bei mir klappt das meistens. Aber seine Meinung ist Teil des Ergebnisses.“
Eigene Stilistik
Die Stilistik seiner Weine sei nicht so leicht zugänglich: eher kühler, also frühe Lese, fruchtige, intensive Weißweine, schonender Holzeinsatz, bekömmlich. Sein Riesling hat einen Ruf. „Lukas Sermann macht den besten Weißwein an der Ahr“, sagt nicht nur Carsten Henn, Gastrokritiker des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und selbst studierter Weinbauer.
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Dem würde auch Luzia Sermann zustimmen. Sie hält die Kombination aus jungem, innovativem Winzer gepaart mit Weinverkauf, Gästezimmern, Gutsausschank und Kellerei an einem Ort für perfekt. „Die Chance könnte sein, dass die Region im positiven Sinne bereinigt würde. Den Status Quo wieder herzustellen wäre ja kein Fortschritt. Aber man kann anders denken jetzt, freier.“
Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Winzers.
Mit Blick auch auf jüngeres Publikum müsse man auch die Küche neu definieren, „anders als Schniposa (lacht) – Schnitzel, Pommes, Salat.“ Das eine ziehe das andere nach sich. „Wenn man das mit Herzblut macht wie der Lukas, kommt das von alleine.“ An Ideen mangelt es ihr nicht, aber gerade muss das noch hintenanstehen. „Der Herbst gehört der Ernte“, sagt sie. Vom nächsten Sommer kann sie erstmal nur träumen.