Eine junge Frau hat über Jahre hinweg häusliche Gewalt erfahren. Die Kölner Beratungsstelle Agisra half ihr auf dem Weg aus der Gewaltspirale.
Hilfe für Gewaltopfer in Köln„Er schlug mich vor den Augen der Kinder“
Ana ist gezeichnet von ihrer Vergangenheit, dunkle Schatten liegen unter ihren Augen. Die junge Frau hat über Jahre hinweg massive Gewalt durch ihren Ex-Freund erfahren. Lange, erzählt Ana, hätte sie das ertragen, hätte sogar geglaubt, sie sei selbst schuld daran gewesen.
Ihren Ex-Freund lernte Ana in ihrem Heimatland kennen. Was dann passierte, schildert sie im Gespräch so: Sie besuchte ihn in Köln und wurde schwanger. Daraufhin wollte die junge Frau zurück in die Heimat, doch ihr damaliger Freund sei dagegen gewesen, er sei besitzergreifend und aggressiv geworden, habe angefangen, Ana zu kontrollieren, zu schlagen und zu würgen. Die Gewaltspirale begann. Weil Ana inzwischen finanziell von ihrem Partner abhängig war, so sagt sie es, blieb sie bei ihm. Eine Rückkehr in die Heimat sei keine Option gewesen: „Meine Eltern hätten mich nicht finanziell unterstützen können“.
Ana hat noch nie ein Interview gegeben, aber sie will ihre Geschichte trotzdem erzählen: weil sie möchte, dass andere Frauen wissen, wo ihnen geholfen wird. Ana heißt eigentlich anders, doch ihren echten Namen zu nennen, wäre zu gefährlich, denn sie steht über die gemeinsamen Zwillinge noch in Kontakt mit dem Gewalttäter. „Wenn er mitkriegt, dass ich das hier erzähle, rastet er aus“, sagt sie. Deshalb wurden Details ihrer Geschichte in diesem Text verfremdet oder weggelassen.
Eine Passantin half, die Beratungsstelle ausfindig zu machen
Während Ana über ihre Erfahrungen spricht, treten ihr Tränen in die Augen. In ihrer damaligen Beziehung sei es ihr zunehmend schlechter gegangen, sie habe kein Deutsch gesprochen, und ihr habe der Anschluss in Köln gefehlt. Ihre einzig vertraute Person sei der Freund gewesen.
Die Verzweiflung der jungen Frau wuchs. „Ich wurde immer dünner“, erinnert sie sich. Ana erzählt, wie sie begann, regelmäßig in einen Park zu flüchten, „aus Angst“. Eines Tages habe sie dort eine Frau getroffen, die ihre Sprache sprach. „Ich kannte sie nicht, aber ich habe ihr alles erzählt.“ Die Frau googelte auf ihrem Handy und fand Agisra, eine Kölner Beratungsstelle für Migrantinnen und geflüchtete Frauen, die sich in Gewaltverhältnissen befinden. Sie rief Ana ein Taxi, das sie ins Büro von Agisra brachte.
Der Beratungsbedarf hat sich seit 2021 verdoppelt
Mit ihren Erfahrungen ist Ana nicht allein. „Durchschnittlich haben wir 200 Beratungsfälle zum Thema häusliche Gewalt im Jahr“, sagt Angélica Reyes von Agisra. In den letzten Jahren war häusliche Gewalt der häufigste Grund, warum gewaltbetroffene Frauen die kostenlose Beratung aufsuchten, die bislang von der Stadt, dem Land NRW und der EU gefördert wird. Die Stadt Köln will die Gelder laut Haushaltsentwurf streichen (lesen Sie hier mehr dazu).
Doch auch zu den Themen Frauenhandel, Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung berät Agisra oft, ebenso wie zu aufenthaltsrechtlichen Fragen. Seit 2021 hat sich der Beratungsbedarf laut Reyes nahezu verdoppelt: Während 2021 noch insgesamt 674 Frauen zu Agisra in die Beratung kamen, waren es 2023 schon 1300. Für 2024 hat die Beratungsstelle die Zahlen noch nicht ausgewertet.
Die Beratung bei Agisra findet in der Muttersprache der Klientinnen statt, da die Mitarbeitenden unterschiedliche Sprachen beherrschen oder Dolmetscherinnen organisieren. Agisra unterstützt hilfesuchende Frauen vor allem psychosozial und emotional, informiert sie über ihre Rechte und Lösungsmöglichkeiten und begleitet Klientinnen bei Behördengängen, zu Rechtsanwälten, zum Arzt oder beim Asylverfahren.
Laut dem Tätigkeitsbericht von Agisra erfahren die hilfesuchenden Frauen von der Beratungsstelle oft durch ihre Mitmenschen, so wie Ana. Für sie fand Agisra einen Platz im Frauenhaus. „Ich wüsste nicht, wo ich ohne diese Hilfe jetzt wäre“, sagt Ana heute.
Trotz Gewalt erhielt der Vater das Umgangsrecht
Die Gewalt ist für sie aber noch nicht vorbei: Weil ihr Ex-Freund seine Kinder regelmäßig sehen darf, habe er herausgefunden, wo Ana wohnt. Ein paar Mal sei er wieder gewalttätig geworden, wenn er die Kinder abgeholt habe. „Einmal schlug er mich vor den Augen der Kinder“, erzählt Ana. Das Gericht, sagt Anas Beraterin von Agisra, habe keine Kindeswohlgefährdung feststellen können, weil der Ex-Freund zwar seiner Partnerin, aber nicht den Kindern gegenüber gewalttätig gewesen sei. Also habe das Gericht dem Täter das Recht zugesprochen, seine Kinder zu sehen.
Angélica Reyes von Agisra beobachtet oft, dass gewalttätige Männer ihr Recht auf Umgang mit den eigenen Kindern ausnutzen, um wieder Zugang zu den betroffenen Frauen zu haben. Laut einem Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte gibt es in Deutschland keine Regelung, die häusliche Gewalt und die Schutzinteressen gewaltbetroffener Elternteile im Umgangs- und Sorgerecht ausdrücklich berücksichtigt. Recherchen von Correctiv bestätigen diesen Missstand. Das geltende Familienrecht wird in Fachkreisen schon lange kritisiert. Die dadurch entstehende Hintertür im Gewaltschutz verurteilen auch viele Frauenhäuser.
„Ohne Beratungsstellen sind die Frauen diesem System noch stärker ausgeliefert“, sagt Reyes. „Mit Beratung können sie sich wehren.“
Ana habe die Beratung von Agisra sehr geholfen, betont sie oft. Heute gehe es ihr besser als früher. Sie besucht inzwischen einen Deutschkurs und will danach eine Ausbildung machen. Am liebsten im sozialen Bereich, damit sie selbst Frauen beraten kann, die ein ähnliches Leid erfahren haben. „Als ich im Frauenhaus war, riefen ständig Betroffene an, die von ihren Männern misshandelt wurden“, sagt sie und weint. „Es gibt so viele Frauen wie mich.“
Kontakt zu Schutzhäusern von „Frauen helfen Frauen“ in Köln:
Die autonomen Kölner Schutzhäuser sind unter folgenden Rufnummern und E-Mail-Adressen erreichbar:
Autonomes Schutzhaus 1: 0221/515502, 1.frauenhaus@frauenhelfenfrauen-koeln.de
Autonomes Schutzhaus 2: 0221/515554, 2.frauenhaus@frauenhelfenfrauen-koeln.de