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Interview„Es gibt Kölner – und Kölsche“

Lesezeit 7 Minuten

Ein Imi, der kölsch tickt: Lukas Podolski ist als Kölner längst akzeptiert, obwohl er nicht in Köln geboren wurde.

Konrad Adenauer, ein Enkel des ersten Bundeskanzlers, hat im Rathaus für mächtig Aufregung gesorgt. Er finde es bedauerlich, dass das leitende Personal nicht aus Köln stamme und sich erst im Laufe seines Hierseins eine Beziehung zu dieser Stadt aufbauen müsse. Wer oder was ist das überhaupt – ein Kölner?

Wolfgang Oelsner: Man kann sagen, ich bin jetzt Kölner, und das wird weitestgehend akzeptiert. Die Liebe zur Stadt, das Zugehörigkeitsgefühl, das kann man selbst bestimmen. Köln ist eine der wenigen Städte, die es zulässt, dass man sich per Selbstdefinition zu einem der ihren ernennt. Wenn immer etwas an dem Lied Stammbaum von den Bläck Fööss dran sein soll, dann das: Ich muss nicht hier geboren sein, um sagen zu können, ich bin ein Kölner.

So ganz wollen wir das nicht glauben: Zugezogene erleben doch immer wieder, dass sie abfällig als Imi bezeichnet werden. Läuft irgendwas nicht nach Wunsch, heißt es: Immer die Imis! Und so etwas kann auch Leuten passieren, die seit Jahrzehnten hier leben. Was sind denn die echten Kölschen?

Oelsner: Es gibt Kölsche, und es gibt Kölner. Das ist ein Unterschied, wenn auch keiner, den man akademisch ausmachen kann. Ein Kölscher ist hier geboren und groß geworden. Er trinkt Kölsch, er spricht kölsch, er träumt und denkt aber auch kölsch.

Ein Kölner muss also nicht ganz so durch und durch kölsch sein?

Oelsner: Zum Kölner kann man sich selber erklären, wenn das Zugehörigkeitsgefühl stark genug ist. Im Karneval zum Beispiel sind es häufig von außen kommende kreative Kräfte, die das Kölsche wiedergeben. Ich denke da an den aus Berlin stammenden Fööss-Bassisten Hartmut Prieß, der an Liedern wie „In unserem Veedel“ mitwirkt.

Die Jungfrau aus der zurückliegenden Session, Olivia, stammt sogar aus Dortmund.

Oelsner: Wir hatten ja auch schon Oberstadtdirektoren aus anderen Gegenden, Kurt Rossa etwa.

Kein Grund, ihn von oben herab als Imi zu betrachten.

Oelsner: Menschen greifen in Situationen, in denen sie nicht weiter kommen, gerne auf irgendetwas fast Mystisches zurück; das ist wie ein irrationales Suchen nach Unterscheidungsmerkmalen. So richtig ernst, glaube ich, nimmt das Imi-Gerede ohnehin kaum jemand.

Konrad Adenauer möglicherweise schon.

Oelsner: Es mag für seine Verzweiflung sprechen, wenn er das Kölnersein als Kriterium in einer politischen Diskussion anführt.

Wie bewerten Sie seine Äußerung?

Oelsner: Sehen Sie das einfach im Umkehrschluss: Wir hatten in den 1950er und 60er Jahren doch etliche Spitzenpolitiker aus Köln. Da müssten wir hier doch die schönsten Plätze in Europa haben, die beste Infrastruktur. Wir dürften keinen Opernplatz mit einer vorgelagerten Nord-Süd-Fahrt haben, weil das damals doch kölsche Spitzenkräfte in höchsten Ämtern mit verantwortet haben.

Sind sie selber Kölner?

Oelsner: Ich stamme aus Opladen. Ich bin jemand, der sich durchaus Kölner nennt und nie dafür zurückgewiesen wurde. Aber ein Kölscher bin ich nicht. Da fehlt mir ein Stückchen die Straße; dass ich hier aufgewachsen bin, dass ich die Sprache mit der Muttermilch aufgesogen habe. Ich glaube aber gut zu verstehen, wie die Kölschen ticken.

Hört Kölschsein an der Stadtgrenze auf? Kann jemand aus Bergisch Gladbach ein Kölscher sein?

Oelsner: Das Einzugsgebiet reicht so weit, wie die Erdkrümmung den Blick auf den Dom noch zulässt.

Und die Kölschesten der Kölschen sind alle im Severinsklösterchen in der Südstadt geboren, oder?

Oelsner: Aber auch nur per Selbstdefinition. Man braucht ja irgendwelche Kriterien, an denen man sich festhalten kann.

Auf die man sich etwas einbilden kann?

Oelsner: Ich hole mal ein bisschen aus. Wir haben hier in Köln ja keine Herrschaft gehabt, seit den Römerzeiten gibt es uns nicht als Residenzstadt. Das hat sich auf die Mentalität ausgewirkt. Köln ist eine Stadt der Bürgerschaft mit gewachsenen demokratischen Strukturen, wie man es heute ausdrückt. Das ist gut und schön, gerade in einer Zeit, in der Bürgerbeteiligung ein hohes Gut ist. Aber es fehlt eine Vaterfigur, eine Herrscherfigur. Der Dom ist ein bisschen Ersatz dafür, aber der spricht ja nicht. Weil die Stadt keine Vaterfigur hat, suchen sich die Menschen Ausweich-Attribute. So etwas, wie im Klösterchen geboren zu sein, kann dann zum Adelsprädikat werden.

Imis haben mitunter den Eindruck, die Kölner denken, sie wollten sich bei ihnen anbiedern. Oelsner: Als Kind dachte ich immer, die Kölner haben da etwas und ich hätte das auch gerne.

Von den 1 036 117 Menschen, die 2011 in der Stadt lebten, waren nach Auskunft des städtischen Presseamtes gerade mal 414 002 auch in Köln geboren. Alle anderen sind Imis.

hat inzwischen jeder dritte Kölner ausländische Wurzeln. Unter den Ausländern stellten im Jahr 2010, auf das sich die statistischen Angaben beziehen, die Türken mit rund 61 000 die größte Gruppe, gefolgt von den Italienern mit knapp 18 000. Aber es waren beispielsweise auch 301 Peruaner, 62 Sudanesen, 156 Ägypter und 93 Menschen aus der Dominikanischen Republik in Köln gemeldet.

um rund 10 000 geklettert – auf exakt 1 027 504. Davon lebten knapp 650 000 linksrheinisch, die übrigen auf der „Schäl Sick“. Rund 396 000 Kölner sind katholisch, mehr als 172 000 evangelisch.

Die Kölner sind laut Jahrbuch im Durchschnitt 41,9 Jahre alt und sterben mit 76,5 Jahren. Und immer mehr von ihnen leben allein: In mehr als der Hälfte der rund 537 000 Haushalte wohnt nur noch eine Person – nur noch knapp acht Prozent sind Vier-Personen-Haushalte. Im Durchschnitt lebt der Kölner 11,6 Jahre in einer Wohnung.

Der Anteil der Einwohner, die älter als 65 Jahre sind, stieg in den letzten zehn Jahren von 15,4 auf 17,8 Prozent.

Was denn?

Oelsner: Diese Straßenidentität, die hätte ich gerne gehabt. Wer das nicht hat, muss etwas anders anbieten können: gut Fußballspielen, gut singen, gute Reden schreiben, gut malen wie Gerhard Richter. Das akzeptieren die Kölner.

Lukas Podolski gilt geradezu als Musterkölscher.

Oelsner: Der Lukas Podolski, der tickt kölsch. Das denke ich immer, wenn ich den griemeln und grinsen sehe – ein Polnischstämmiger, der grielächern kann.

Köln wächst, weil viele Leute hier hinziehen. Das bedeutet letztendlich, dass es in 50 Jahren mehr Kölner, aber kaum noch Kölsche gibt.

Oelsner: Diesem Rückgang versucht auch die Akademie für Kölsche Sproch entgegenzuwirken. Es fehlt die Straße, so etwas kann man nicht akademisch kompensieren. Man sollte sich übrigens niemals anbiedern, in dem man versucht, kölsch zu sprechen. Das gilt für alle Dialekte.

Warum sollte jemand aus Wuppertal ein Kölscher sein wollen? Uns fällt gerade kein Grund dafür ein.

Oelsner: Das muss jeder für sich beantworten. Ich finde, das Kölsche hat etwas Ursprüngliches. Hier hat die Bevölkerung vieles selber in die Hand genommen, wir haben in dieser Stadt etwas sehr schnelles, etwas leichtes, zum Teil etwas sehr kindliches. Ein Hänneschen darf nie zum Johannes werden, sonst wäre der Zauber kaputt.

Oelsner: Ein Kölscher zu sein, das ist mitunter wie eine Inszenierung. Wenn ein Willy Millowitsch hochbetagt im Alter von 90 Jahren stirbt, was spielt der Domorganist zum Requiem? Ich bin ne kölsche Jung. Ne kölsche Jung zo sin, ist das höchste, was wir erreichen können. Das ist mehr als Professor.

Das überbetonte Herausstellen des eigenen Kölschseins, diese ganze Tümelei, zeugt das nicht eher von Unsicherheit?

Oelsner: Wenn man sehr wenig eigenes hat, kein Schloss, keine große Autorität, und sich alles im Dom verdichtet, dann nimmt man andere Schauplätze.

Also nagt hinter all der Kölnseligkeit kein kollektiver Minderwertigkeitskomplex?

Oelsner: Der Psychologe Stefan Grünewald hat es mit einer Metapher wunderbar auf den Punkt gebracht: Köln bedeutet Weltstadtanspruch mit der Mentalität einer Kaffeebude. Ich finde, das ist nicht die schlechteste Mischung. Wir stellen nicht die Kühle heraus wie die Hamburger, wir stellen nicht das ganze Schickimicki heraus wie die Münchner. Hier in Köln können wir ganz schnell umschalten.

Dann ist ja alles gut, oder?

Oelsner: Die Mischung macht es, das Nebeneinander von Erhabenen und Banalem. Man braucht große Architektur, und man braucht die Straße. Man braucht das Akademische und ebenso den Laden, in dem es heißt: Jung, wat krisste? Insofern ist es dumm zusagen, wir brauchen Kölner oder wir brauchen Nichtkölner. Wir brauchen beide.