AboAbonnieren

Interview mit Blue-Shell-Chef„Das Kiosk-Bier ist für Kölner Clubs eine Katastrophe”

Lesezeit 7 Minuten

Rolf Kistenich hat als Chef des Blue Shell schon ziemlich viel erlebt.

  1. Das Blue Shell an der Luxemburger Straße feiert am Samstag seinen 40. Geburtstag mit einer Jubiläums-Party.
  2. Betreiber Rolf Kistenich erzählt von Existenz-Krisen und raueren Zeiten im Zülpicher Viertel: „Zu der Zeit, als hier noch die Stühle durch den Laden flogen, war das Ordnungsamt allgegenwärtig.”
  3. Heute ist es der Trend zum Kiosk-Bier, der für Club-Betreiber gefährlich wird – und Kistenich zu einer Maßnahme nötigt.
  4. Cat-Ballou-Sänger Oliver Niesen weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig die kleinen Clubs für Kölner Bands sind: „Ohne solche Orte wie das Blue Shell wären wir nicht dort, wo wir heute stehen.”

Köln – Im blauen Neon-Licht erstrahlt das Innenleben des Blue Shell. Die Kultstätte hat mindestens zwei Herzen: den Billardtisch, der nach den Konzerten aufgebaut wird, und an dem sich laut Legendenkatalog schon „Die Ärzte“ nach einer stressigen Tournee entspannten. Und die Musik.

„Rolf ist Musik“, sagen Party-Veranstalter Chantal und Holger Meißner über den Betreiber Rolf Kistenich. Beide organisieren schon seit Jahren Partyreihen wie die „Depeche Mode“- und die „Disorder“-Party. Kistenich, der 1986 selbst als DJ im Blue Shell begann, legt heute nicht mehr so häufig auf. Gern überlässt er das Mischpult den „Verrückten und Spinnern“, die die Fahne für Musik der 70er und 80er, aber auch für neuere Strömungen, genauso hochhalten wie er. Oder, wie er selbst sagt: für Musik mit „Aha-Effekt“.

Das Blue Shell feiert 40. Geburtstag. Diesen Samstag wird es eine Jubiläumsparty geben. Was ist geplant?

Es wird ein angemessenes 40-Jahre-Programm geben. Die Namen der Bands verrate ich allerdings nicht. Dazu gibt es ein Bonbon: Ich lege gemeinsam mit Udo Baur, meinem früheren Partner, auf. Die alten Protagonisten – da kommt mir keiner der jüngeren an das Pult.

Was macht dieses Jubiläum so anders als die bisherigen?

Wir sind keine Kneipe mehr, sondern seit etwa drei Monaten nur noch Club. Ich öffne für Konzerte, Partys und Poetry Slams. Dieser Wandel hat sich über sieben Jahre vollzogen und jetzt haben wir an etwa 330 Tagen im Jahr Veranstaltungen.

Sie erzählten, dass Sie 1980 als Hippie erstmals das Blue Shell betraten und Punks gegenüberstanden. Welche Szenen treffen heute dort aufeinander?

Es gab hier nie klare Gruppen. Wir waren nie der Brit-Pop-Laden oder nur der Punk-Laden. Die waren genauso da wie die Rockabillys, die auf die Fünfzigerjahre schwören. Dementsprechend mussten die DJs auch so auflegen, dass für alle etwas dabei war. Sowieso sollten DJs so lange buddeln, bis sie Schätze finden und den Leuten etwas zeigen, was sie noch nicht kennen. Früher verließ man samstagnachts die Disco, um live um 2 Uhr „John Peels Music“ oder Alan Bangs zu hören. Der Kassettenrekorder lief immer mit – im Hintergrund war noch das Rauschen. Ich bin durch die Musik nach Köln gekommen.

Auf Ihrer Homepage stehen Anekdoten, die die Legende Blue Shell begründen. Es ist von erfolgreich überstanden Existenzkrisen die Rede. Was war die letzte Krise?

Die Krisen sind weniger geworden, seit wir seit 2009 den staatlich geprüften Schallschutz eingebaut haben. Vorher war alles nur halb zulässig mit den Konzerten. Wir hatten eine riesige Akte beim Ordnungsamt. Wenn einem etwas hinfiel, dann zischte es schon von der Seite: „Sei nicht so laut.“ Das wirkte sich auf die Chemie im Laden aus. Zu der Zeit, als hier noch die Stühle durch den Laden flogen, war das Ordnungsamt allgegenwärtig. Wenn Streit ausbrach, nahm Frank Schauhoff, der Erfinder vom Blue Shell, die Streithähne und knallte die Köpfe gegeneinander. Dann war Ruhe. Hört sich hart an, war aber normal.

Cat Ballou-Sänger Oliver Niesen gratuliert

Cat Ballou

Cat Ballou mit Dominik Schönenborn (v.l.), Oliver Niesen, Kevin Wittwer und Hannes Feder vor dem E-Werk.

Oliver Niesen, Sänger von Cat Ballou, erinnert sich gern an Konzerte im Blue Shell zurück:

„In unserer 20-jährigen Bandgeschichte sind wir bei unseren Auftritten während des „Stadt-Anzeiger“-Wettbewerbs Köln-Rockt im Jahr 2010 von der Stimmung regelrecht überwältigt worden. Das Blue Shell war damals prall gefüllt mit 200 Menschen. Ich erinnere mich, dass bei dem Song »Rollen« alle mitmachten – der ganze Club ist gesprungen. Das war wirklich einer unserer ekstatischsten Abende, und das verbinde ich mit dem Blue Shell. Wir haben mehrfach dort gespielt, auch vor dem Band-Contest, den wir in dem Jahr gewannen. Wenn es voll war, hat man auch schon die ein oder andere Mark verdient. Sonst zahlte man eher drauf. Aber wenn man hier genug Leute mobilisierte, hat man als Band sehr davon profitiert. Ohne solche Orte wie das Blue Shell wären wir nicht dort, wo wir heute stehen. Man ist nicht von heute auf morgen groß.“ (gam)

Deswegen hat es Zeiten gegeben, in denen die Taxifahrer das Blue Shell als „Krawallbud“ bezeichnet haben. Was geht verloren, wenn man von der Provokation zur Institution wird?

Man könnte meinen, dass man kommerzieller wird, dem ist aber nicht so. Wir haben nur bessere Voraussetzungen als früher und sind froh, dass wir gewisse Altlasten los sind. Der Erfinder des Ladens war Ringer und kannte die ganze Unterwelt. Was heute zählt ist, dass das Blue Shell nach 40 Jahren immer noch nicht Mainstream ist. Natürlich zweifle ich auch manchmal an dem, was wir machen – Iggy Pop soll der Größte sein? Wen interessiert das denn noch? Aber es gibt immer noch junge Leute, die Depeche Mode hören wollen und zwar die alten Stücke, denn die neuen kennen sie schon.

Welchen Herausforderungen sehen Sie heute als Betreiber?

Dass man heute Konkurrenz zum Computer ist. Die Menschen sitzen zu Hause, haben ihre 35 Likes und dadurch ihre sozialen Kontakte. Auch das Kiosk-Bier ist eine Herausforderung. Für Kölner Clubs ist das eine Katastrophe. Behördlichen Auflagen, Anlage, Organisation der Konzerte – das alles kostet. Womöglich kommen 50 Menschen, um diese eine Band aus Amerika zu sehen, gehen dann aber zum Trinken zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren:

Damit die Gäste das nicht mehr tun, umzäunen Sie den Laden während der Konzerte.

Ich habe es mit der hier möglichen Außengastronomie noch gut getroffen im Gegensatz zu Clubs wie MTC oder Tsunami Club. Dort geht es nicht. Ich möchte die Gäste aber nicht anklagen, ich kann es jungen Leuten nicht verübeln. Wenn einer den anderen fragt, ob er ihm ein Bier vom Kiosk mitbringen soll – ob ich da mit 20 abgelehnt hätte... Eher nicht. Aber es sind Diskussionen im Gange, auch nachdem das King Georg geschlossen hat. Wir stellen ein Umdenken unter den Gästen fest, denen es ein Anliegen ist, die Läden zu unterstützen, die ihnen dieses Konzerterlebnis ermöglichen. Ich habe da Hoffnung.

Wie wichtig sind Bars wie das Blue Shell als Sprungbrett für junge, noch unbekannte Bands?

Blur hatten hier ihren ersten Deutschlandauftritt überhaupt. Ich war im damaligen Rose-Club, als Nirvana spielte: Nach fünf Stücken fiel Kurt Cobain vom Hocker und dann kam die nächste Band. Das war eine Band von hundert anderen. Nachher heißt es, „ich war dabei“ – in Wirklichkeit stand man an der Theke und hat ein Kölsch getrunken. Zurzeit bekomme ich etwa zehn Anfragen pro Tag. Wir bieten Bands ein Forum zur Selbstdarstellung. Sie bekommen das Blue Shell sozusagen zum Selbstkosten-Preis. Darin ist keine Miete enthalten, aber den Soundmann und die Gema müssen sie übernehmen. Am Ende erhalten sie den Eintritt des Konzerts. Erst kürzlich feierten Chantal und Holger mit ihrem Bandprojekt „Tilly Electronics“ ihre CD-Release-Party hier.

Wo sehen Sie das Blue Shell in den kommenden Jahren?

Da wir erst seit kurzem nur Club sind, habe ich das Gefühl, dass wir erst jetzt anfangen, nach vorn zu kommen. Und je mehr Anfragen wir bekommen, desto interessanter wird das Programm. Ich habe wieder richtig Lust, nach Neuem zu buddeln.

Zur Person

Rolf Kistenich kommt aus Niederkassel-Lülsdorf. Der 58-Jährige war 1980 zum ersten Mal Gast im Blue Shell, 1986 begann er als DJ dort aufzulegen. Der gelernte Betriebselektriker wurde dann 1994 Miteigentümer. Als sein langjähriger Partner Udo Baur vor 18 Jahren ausstieg, übernahm er den Laden als alleiniger Inhaber.

Um die Kneipeninstitution ranken sich diverse Mythen und Legenden: zum Beispiel, dass Frank Zappa (Bild) 1980 an der Tür abgewiesen wurde, weil es zu voll gewesen sei, oder dass The Clash ausgelassen im Blue Shell feierte, nachdem die Band ihr Hotelzimmer zerlegt hatte. Auch Kölner Bands wie Cat Ballou haben hier mehrfach gespielt, bevor sie 2013 ihren ersten Hit „Et jitt kei Wood“ landeten und einem größeren Publikum bekanntwurden. Am Samstag, 25. Mai, begeht das Blue Shell das Jubiläum. Beginn ist um 20 Uhr. (gam)