Thelonious Herrmann im Interview über die Kunst der Straßenmusik, Ärger mit dem Ordnungsamt und Songs, die in Köln sofort zünden.
Kölner Stadtgeklimper-Musiker„Wenn ich die Kohle brauche, haue ich Gassenhauer raus“

Der Kölner Straßenmusiker Thelonious Herrmann alias „Stadtgeklimper“ wird keine Konzerte auf der Ehrenstraße mehr geben.
Copyright: Alexander Schwaiger
Mit 16 Jahren begann Thelonious Herrmann mit Straßenmusik, indem er sein Klavier auf die Severinstraße stellte. Mittlerweile hat der 26-Jährige unter dem Namen „Stadtgeklimper“ 36 Länder mit seinem Klavier bereist, spielt häufig auf der Kölner Ehrenstraße oder vor dem Stadion. Doch damit ist jetzt Schluss, nachdem das Ordnungsamt etliche Bußgelder gegen ihn verhängt hat. Zum Interview in die Redaktion kommt Herrmann, der an der Kölner Musikhochschule studiert, mit seinem Bus vorgefahren, schiebt sein Klavier vor das Verlagshaus und gibt spontan ein Konzert.
Ganz schön schwer, immer ein Klavier mit sich zu schleppen. Was wiegt das?
150 Kilo, schätze ich.
Könnte gefährlich werden, wenn Sie nicht aufpassen…
Oh ja. Ein früheres Klavier wäre beinahe mal in ein Taxi reingefahren, als mir die Greifstange für die Rollen aus der Hand gerutscht ist. Zum Glück ist es kurz vorher umgekippt. Da war ich sehr froh. Das Klavier war zwar im Eimer, aber das Taxi wäre teurer gewesen.
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Wie viele Klaviere haben Sie schon durch?
Nur das eine.
Sie haben angekündigt, keine Straßenmusik mehr in Köln zu machen. Grund ist ein Streit mit der Stadtverwaltung?
Ich möchte gerade keinen Streit. Ich möchte schöne Momente mit Leuten schaffen, dafür ist Köln die schönste Stadt. Aber das Ordnungsamt hat mir Stress gemacht und Bußgelder verhängt. Ich verstehe das, weil ich mich nicht zu 100 Prozent an die Regeln der Stadt gehalten habe…
…Straßenmusiker dürfen in Köln 30 Minuten an einer Stelle spielen, dann müssen sie eine halbe Stunde Pause machen und an einer anderen Stelle weiterspielen.
Genau. Man muss 300 Meter weiterziehen. Es geht darum, die Anwohner und Geschäfte zu respektieren. Drei Stunden lang immer wieder denselben Song zu hören, geht tierisch auf die Nerven. Ich habe aber vom Ordnungsamt selbst auf der Wiese vorm Stadion, wo ich gespielt habe, Stress bekommen und da ist wirklich weit und breit niemand. Da steht nur ein Haufen Leute, singt Lieder und hat Spaß.
Wie viele Bußgelder haben Sie bereits?
Ich bin jetzt quasi Mehrfach-Straftäter. Am Anfang musste ich Strafen von 35 Euro zahlen. Mittlerweile sind es 150 Euro. Das staffelt sich. Langsam habe ich die Schnauze voll. Andere Städte sind auch super zum Spielen und freuen sich über mich. Da sind die Regeln lockerer. Deshalb habe ich jetzt beschlossen, Köln erst mal den Rücken zu kehren – auch wenn ich das gar nicht will.
Die Regeln für Straßenmusik gibt es doch seit Jahren. Warum eskaliert das jetzt?
Ich habe die Ehrenstraße vor einigen Jahren für mich entdeckt, weil man es dort schafft, tolle Momente aufzubauen. Der Konkurrenzkampf unter den Musikern auf der Hohe Straße und Schildergasse war echt hart. Als die Ehrenstraße auch noch autofrei wurde, war das noch schöner, es ist richtig neues Leben entstanden. Ich kenne die Händler und Anwohner dort seit Jahren und respektiere sie. Ich habe mit vielen Menschen einen wunderbaren, engen Kontakt. Ich verstehe, dass es Regeln geben muss, ich will nicht gegen das Ordnungsamt meckern. Aber es lohnt sich nicht mehr.
Warum halten Sie sich nicht einfach an die Regeln?
Straßenmusik ist mein Beruf. In der Frequenz Pause machen zu müssen, wie die Stadt das vorgibt, bringt nicht genug Geld ein. Bis ich einen Platz habe, bis ich mein Klavier aufgebaut habe: Das ist viel Arbeit. Manchmal fragen mich kleine Mädchen, ob sie auch kurz spielen dürfen. Soll ich dann sagen: Nein, das geht nicht, ich habe dafür keine Zeit und brauche die Kohle? Das sind so Momente, in denen ich dann überziehe und ein Bußgeld riskiere. Man kommt viel besser in den Flow mit dem Publikum, wenn man 40 bis 45 Minuten spielen darf, bevor man umzieht. Bonn hat da andere Regeln. Das ist einfach lukrativer für mich.

Der Kölner Straßenmusiker Thelonious Herrmann mit Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin des „Kölner Stadt-Anzeiger“
Copyright: Alexander Schwaiger
Haben sich Händler oder Anwohner auf der Ehrenstraße bei Ihnen beschwert?
Noch nie. Einmal kam eine Anwohnerin runter und sagte, sie habe sich gerade nach der Nachtschicht schlafen legen wollen. Da habe ich sofort abgebrochen. So etwas verstehe ich total.
Ich war total nervös und unsicher, habe mich erst gar nicht getraut, einen Hut hinzustellen, um nach Geld zu fragen
Sie haben Ihre Bußgelder öffentlich gemacht und Geld von Fans erhalten, um die bezahlen zu können.
Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken. Das hat mir sehr viel Kraft und auch den Mut gegeben zu sagen: Ich muss mir nicht alles gefallen lassen. Zur Not sitze ich eine Nacht im Knast. Musik ist doch nicht kriminell. Aber eigentlich will ich ja keinen Streit anzetteln.
Haben Sie Gespräche mit der Stadt geführt, um eine Lösung zu finden?
Ich will jetzt keine Namen nennen, aber die haben sich schon bemüht. Am Ende können und wollen sie aber keine Ausnahme für mich machen. Frau Reker hat übrigens auch schon öfter was in den Hut geschmissen.
Wie sind die Reaktionen auf Ihre Ankündigung, nicht mehr in Köln zu spielen?
Überwältigend. Leute kommen auf der Straße zu mir, drücken mir einen Schein in die Hand und sagen: Steck den Kopf nicht in den Sand. Selbst einige der OB-Bürgermeisterkandidaten haben mir Unterstützung angeboten. Das macht mich wieder optimistisch, dass wir vielleicht doch noch einen Weg finden. Köln ist einfach meine Stadt.
* Das deutlich ausführlichere Gespräch mit Thelonious Herrmann können Sie als Podcast-Folge „Talk mit K“ hier im Player oder auf allen gängigen Podcast-Plattformen hören.*
Ihre Eltern haben Sie tatsächlich nach dem Jazz-Pianisten Thelonious Monk benannt. Warum?
Mein Vater hat immer sehr gerne Jazz gehört und meine Eltern fanden den Namen superschön. Die mussten aber erst einmal durchsetzen, dass das offiziell anerkannt wird und mit einer Platte von Monk bei der Verwaltung vorweisen, dass Thelonious ein männlicher Vorname ist und man sein Kind so nennen kann.
Können Sie sich noch an Ihr erstes Konzert mit 16 auf der Severinstraße erinnern?
Ich war total nervös und unsicher, habe mich erst gar nicht getraut, einen Hut hinzustellen, um nach Geld zu fragen. Am Ende habe ich 70 Euro verdient, deutlich mehr als in meinem damaligen Schülerjob als Apothekendienst. Seither ist das immer mehr zu meinem Job geworden.
Ich fing an zu spielen und alles lief gut. Doch nach einiger Zeit kam eine Frau auf mich zu und fing an mich zu würgen
Hatten Sie nie Angst, irgendwo aufzutreten?
Ich bin nach dem Abitur mit meiner Freundin und dem Klavier durch Europa getourt. Dann kam die Frage, ob wir rüber nach Marokko wollen. Und ich hatte viele böse Vorurteile im Kopf, dass man dort ausgeraubt werden könnte etwa. Stimmt alles nicht. Marokko ist ein wundervolles Land.
Was war die ungewöhnlichste Konzerterfahrung?
Die war auch in Marokko. Die Menschen dort sind keine europäischen Straßenmusiker gewohnt, schon gar nicht mit einem Klavier. Dementsprechend musste ich da nicht um Aufmerksamkeit kämpfen. Es standen sofort 200 Leute um mich herum. Ich fing an zu spielen und alles lief gut. Doch nach einiger Zeit kam eine Frau auf mich zu und fing an mich zu würgen. Die war richtig aggressiv.
Was war da los?
Mir haben später Menschen erklärt, dass ich während des Gebets gespielt habe. Das tat mir total leid und ich habe gemerkt, dass ich mich respektvoller verhalten muss. Man hätte mich deshalb aber nicht direkt würgen müssen.
Gibt es in jedem Land andere Regeln für Straßenmusiker?
Ja! Aber wenn ich bei jeder Stadt vorher versuchen müsste, einen offiziellen Schein zu kriegen, würde ich gar nicht erst losfahren. Das riskiere ich dann einfach.
Wie unterscheidet sich das Spielen in Köln von anderen Orten auf der Welt?
Köln ist vielleicht nicht der aufregendste Ort, aber hier habe ich mit den Menschen die schönsten Momente verbracht. Das kriegst du nirgendwo anders. In Köln wird ordentlich abgefeiert. Es gibt diese Riesenkultur mit kölschen Bands. Welche Stadt sonst auf der Welt hat als Beruf, dass man Songs für die Stadt schreibt? Welche Stadt hat so viele Lieder wie Köln? Da setze ich mich an einen gedeckten Tisch, weil es hier diese ganzen Lieder gibt, die jeder mitsingen kann. Die Nummer, die ich in Köln mache, könnte ich niemals in München oder Berlin machen. Das funktioniert nur hier.
Mit welchem Lied bekommt man die Kölner immer?
„Et jitt kein wood“ von Cat Ballou und „Tommi“.
Ziehen bekannte Songs immer mehr?
Definitiv.
Nervt das nicht, immer die gleichen Songs spielen zu müssen?
Ich bin kein Freund davon, „Für Elise“ oder „Die Fabelhafte Welt der Amelie“ im Loop zu spielen. Man will ja auch als Künstler weiterkommen. Aber es geht nicht nur um mich, sondern um die Leute. Wenn man es schafft, wildfremde Menschen zusammenzubringen, gibt es nichts Cooleres auf der Welt. Dafür braucht man aber Songs, die alle kennen. Das Schöne auf der Straße: Ich bin mein eigener Chef. Wenn ich die Kohle für die Miete gerade wirklich brauche, haue ich ein paar Gassenhauer raus. Manchmal sage ich: Nö, ich genieße jetzt die Sonne und spiele das, worauf ich Lust habe.

Mit dem fahrbaren Untersatz transportiert der Straßenmusiker sein Klavier.
Copyright: Alexander Schwaiger
Der allerbeste Tag in Sachen Verdienst?
In der Schweiz hat mir eine ältere Frau mal einen 1000-Franken-Schein in die Hand gedrückt.
Mehr als 1000 Euro also. Wow.
Danach war ich ziemlich gut drauf. Sie war über 90 und sagte, sie hätte sich als Kind so sehr gewünscht, Klavier zu lernen. Aber es gab nach dem Krieg kein Geld für ein Klavier. Das war ein sehr persönlicher Moment. Solche Momente hat man oft auf der Straße. Ich lerne viele Leute kennen und komme in ganz viele Blasen. Wo schafft man das sonst?
Passieren auch unschöne Dinge?
Selten, aber ja. In den vergangenen drei Monaten wurde mir zweimal mein Handy geklaut. Das erste Mal in der Nähe vom Neumarkt von einem Süchtigen. Ich konnte das Handy in einem Obdachlosenheim orten. Weil die Polizei mir nicht helfen wollte, bin ich einfach selbst rein und habe es tatsächlich wiederbekommen. Kurz darauf dann in Brühl. Aber ich lasse mir die positive Einstellung nicht nehmen. Ich lasse auch meinen Hut mit dem Geld immer stehen während Gesprächen, auch wenn viele Omis sagen: Tu das weg, das klaut einer. Wenn es jemand klauen sollte, hat er es nötiger als ich.
Haben Ihnen schon berühmte Menschen zugehört?
Einer meiner coolsten Momente auf der Straße war, als Chilly Gonzales plötzlich vorbeikam. Ich bin seit meiner Kindheit riesiger Fan, er ist für mich ein Gott auf dem Klavier. Als ich ihn erkannte, habe ich sofort angefangen, einen seiner Songs zu spielen. Er musste lachen und ist mit eingestiegen. Mittlerweile ist er eine Art Mentor für mich.
Geben die Leute nur Geld oder auch andere Dinge?
Ich bekomme manchmal supersüße Briefe, kleine Notizen oder Blumen. Die Läden bringen mir gerade im Winter heiße Getränke raus oder Gebäck. Eine Frau hat mir einen neuen Klavierstuhl geschenkt.
Briefe wie in Liebesbriefe?
Ja. Oder mal die eine oder andere Telefonnummer.
Schonmal angerufen?
Ich war manchmal in Versuchung, aber eigentlich hat es nie gepasst, weil ich gerade in Beziehungen war.
Jetzt also wechseln Sie nach Bonn. Was ist mit Düsseldorf?
Auf keinen Fall. Ich werde mich jetzt auch mehr auf mein Studium konzentrieren. Ich bin im elften Semester, langsam will ich fertig werden. Die ganzen Kurse, um die ich mich am Anfang gedrückt habe, stehen jetzt an. Und Hausarbeiten.
Am 20. Juni 2026 werden Sie Ihr erstes Konzert in der Philharmonie geben. Wie kam es dazu?
Das ist schon lange mein Lebensziel. Und manchmal konkretisiert sich eine Idee im Kopf dann plötzlich in Materie. Bei einem meiner Straßenkonzerte sprach mich plötzlich der Booker der Philharmonie an. Jetzt gibt es einen Termin. Diese Nachricht hat mein Leben völlig umgekrempelt. Ich glaube jetzt wirklich an meinen Weg in der Musik.
Tickets für das Konzert in der Philharmonie sind hier erhältlich.