AboAbonnieren

Junge Kölner mit Lust auf Überstunden„Meine Mutter sagte immer: Wer zum Büdchen will, muss arbeiten“

Lesezeit 9 Minuten
Denny Krause und Jenni Mathissen

Denny Krause und Jenni Mathissen haben sich selbständig gemacht und glauben daran, dass sich Fleißigsein lohnt.

Junge Menschen gelten als faul, freizeitorientiert und im Beruf als wenig leistungswillig. Aber stimmt das?

Wenn Jenni Mathissen durch die Straßen schlendert, steckt sie sich vor dem Aufbruch immer zwanzig Euro in die Tasche. Schließlich könnte sie ein Büdchen entdecken. Eine Eisdiele. Und dann will sie gewappnet sein. „Wenn wir als Kinder gefragt haben, ob wir ein Eis haben dürfen, hieß es oft: Das geht nicht. Jetzt kann ich sagen: Das geht! Und das macht mich froh.“ Jenni Mathissen erarbeitet sich ihr Eis höchstselbst. Es schmecke seither auch viel besser.

Jenni Mathissen steht in ihrem Friseursalon in der Kölner Südstadt. Glänzende Lichtkugeln hangeln sich von der Decke, die Spitzen von Mathissens Fingernägeln leuchten sonnenblumengelb, das braune Haar legt sich in glänzenden Wellen um ihr Gesicht, aber all das Strahlen ist nichts gegen dieses breite Lächeln, diese funkelnden Augen hinter den Brillengläsern. „Ich bin noch hungrig“, sagt Mathissen, und diesen Satz kann man sich schon mal merken. Denn er beschreibt die Friseurin ziemlich präzise. Zehn bis zwölf Stunden am Tag arbeitet sie. Montag bis Samstag. Schneiden, färben, glossen, fegen. Aber natürlich auch reden. Weinen. Lachen. „Leben“ nennt sie es manchmal einfach schlicht. „Nur sonntags ist frei, da mach’ ich die Buchhaltung.“

Die Generation Z gilt als faul und freizeitorientiert

260.000 junge Menschen zwischen 25 und 45 Jahren, so moserte der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise unlängst, arbeiteten nicht, obwohl sie das könnten. Der Fachkräftemangel, er wird oft auch mit der fehlenden Arbeitsbereitschaft junger Menschen in Verbindung gebracht. Knapp 2500 freie Ausbildungsplätze, so meldete die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, seien allein in Köln bei der Agentur für Arbeit noch registriert. Und das eine Woche vor Ausbildungsstart am 1. August. Sigmar Gabriel ätzte auf Twitter gegen den reichen Teil der Generation Z, die „auf Kosten von Mama und Papa nach der Schule erst mal ein Sabbatical“ einlegten und danach eine Viertagewoche anstrebten.

Junge Leute gelten als faul, als freizeitorientiert, als wenig belastbar, sie sammeln statistisch gesehen mehr Krankheitstage als frühere junge Generationen. Sie jammern rum, meckern ältere Malocher oft, die gern Geschichten mit der Floskel „zu meiner Zeit“ beginnen und dann von viel Schweiß und heldenhafter Emsigkeit nicht unter 60 Stunden in der Woche berichten. Ex-Trigema-Chef Wolfgang Grupp ist so einer, er geißelte die Viertagewoche als „lächerlich“. FDP-Chef Christian Lindner will „Lust auf Überstunden“ machen und dafür mit Steuerfreiheit locken.

Die Kölnerin Jenni Mathissen ist Friseurmeisterin in Köln und betreibt einen Salon in der Südstadt.

Jenni Mathissen ist Friseurmeisterin in Köln und hat sich vor eineinhalb Jahren selbständig gemacht.

Dabei ist Geld gar nicht mehr die Hauptantriebskurbel, um die junge Generation ans Arbeiten zu bringen. Ulrike Pütz von der Handwerkskammer Köln bezeichnet es gar als einen bloßen „Hygienefaktor“. Es spiele zwar eine Rolle, biete aber „nur temporär Anreize“. Viele junge Menschen, so sagen Experten, eifern dem Leistungswillen ihrer Eltern überdies auch deshalb nicht nach, weil sie ahnen, dass das Versprechen, Leistung lohne sich, nicht mehr zwingend gilt. Wohlstand, ein Auto, ein eigenes Haus, eine sorgenfreie Rentenzeit, das ist in Deutschland längst nicht mehr nur durch Fleiß zu erlangen. Oft spielt da eher das Glück eine Rolle und noch häufiger ererbte Zuwendung, die den Jüngeren in manchen Familien in den Schoß fällt, in anderen halt nicht. Jenni Mathissen ist heute 34 Jahre alt, ihr fiel nichts in den Schoß. Sie wuchs mit drei Brüdern und einer Schwester auf. „Meine Mutter war alleinerziehend. Sie sagte immer: Wer zum Büdchen will, muss arbeiten.“

Ich habe keine Arbeitsrolle. Ich bin immer dieselbe Jenni. Arbeit und Freizeit ist eins. Das ist mein Laden. Das ist mein Leben
Jenni Mathissen, Friseurmeisterin

Mit zwölf Jahren macht Mathissen also ein Praktikum beim Friseur. Dass es auf Haare hinauslaufen wird, hätte jedem zu jeder Zeit klar sein müssen. Schon als Kind hat sie ihren Barbies die Haare geschnitten. „Der Babypuppe habe ich eine Frisur gemalt, denn sie war kahl.“ Nach dem Praktikum verbringt Mathissen jede Ferien im Salon. „Meine Mutter hat mir abgeraten. Sie sagte immer: Da verdienste nix. Geh lieber studieren, du bist doch ein schlaues Mädchen.“

Sie strengt sich an, in der Schule nicht fleißig zu sein

Aber Jenni Mathissen ist vielleicht noch schlauer. Und vor allem „starrköpfig“, wie sie selbst sagt. Also strengt sie sich an, in der Schule so wenig fleißig zu sein wie nur irgend möglich. Schließlich will sie nicht studieren – und ein Hauptschulabschluss erscheint ihr als die einzige Chance auf ihren Traumberuf. „Am Ende war sogar meiner Mutter klar: Etwas anderes als eine Lehre kriegt sie erstmal nicht. Ich habe also meinen Willen bekommen.“ Mathissens Zähne blitzen, wenn sie lacht. Ihre Fersen berühren den Boden nicht, wenn sie sitzt. Die welligen Haarspitzen zucken. Es bedürfte nur eines winzigen Nervenreflexes. Sie könnte jederzeit aufspringen und umräumen, anpacken, losföhnen.

Luxus ist für mich eher die Freiheit sagen zu können: Wenn ich keine Lust zum Kochen habe, dann gehe ich ins Restaurant
Jenni Mathissen, Friseurmeisterin

Die Werte „Wohlstand“ und „Arbeit“ sind in Jenni Mathissens Gehirn miteinander gekoppelt wie eine Lok mit ihrem Wagon. Wer zum Büdchen will, muss arbeiten. Es geht nicht so sehr um Statussymbole. Kein Haus, kein Porsche, sowas nicht. „Luxus ist für mich eher die Freiheit sagen zu können: Wenn ich keine Lust zum Kochen habe, dann gehe ich ins Restaurant.“ Von der eigenen Hände Arbeit leben zu können, empfindet Mathissen als Befriedigung.

Mit 18 Jahren zieht sie aus, arbeitet unter der Woche im Lehrbetrieb, am Wochenende jobbt sie am Tresen in der Kneipe. „Ich habe mich ganz allein versorgt. Das hat mich stolz gemacht.“ Manchmal gibt es nur Nudeln mit Ketchup, aber da ist auch ein weiterer Satz, der Jenni Mathissen ganz gut beschreibt. Und der lautet: „Das geht schon.“ Mathissen lacht immer, wenn sie diesen Satz sagt. Da ist kein Bedauern in ihrem Gesicht, keine Opfermentalität. Ausschließlich kampfeslustige Freude an der Herausforderung. Was sie davon hält, dass andere junge Menschen oft nur 80 Prozent arbeiten wollen? „Das finde ich schwierig. Vielleicht ist es gesünder. Aber es funktioniert eben nicht. Wer einen gewissen Lebensstandard haben will, der muss eben auch viel arbeiten.“

Bei anderen jungen Menschen vermisst Jenni Mathissen diese Einsicht ins Notwendige manchmal. „Letztens hatte ich eine Praktikantin, die war ganz erstaunt, dass sie hier was mitarbeiten soll. Die sagte: Ich dachte, ich sitze hier den ganzen Tag und gucke auf mein Handy.“ Ein Grund für die eher zähe Leistungsbereitschaft junger Menschen sieht Mathissen in der fehlenden finanziellen Differenz zwischen Arbeiten und Nichtarbeiten. „Ich sage nicht, dass das Bürgergeld zu hoch ist. Aber der Mindestlohn ist zu niedrig. Vor allem im Handwerk hat man zu wenig Benefit, wenn man fleißig ist.“

Die Kölnerin Jenni Mathissen ist Friseurmeisterin in Köln und hat sich vor eineinhalb Jahren selbständig gemacht.

„Meine Kinder sollen sehen: Wer was erreichen will, muss fleißig sein. Bislang hat das geklappt: Bei uns zu Hause gibt es keine Faulenzer.“

Von draußen brummen die Lastwagen die Bonner Straße entlang. Hier drinnen trinken kurzstielige Dahlien sich aus kleinen Gläsern satt. Viel Zeit haben Mathissen und ihre Handwerksbrüder in das Interieur investiert. Richtig schön machte das ganze allerdings erst die Anwesenheit der Kundinnen und Kunden. Wer zum Kern der Mathissenschen Motivation durchdringen will, der ist jetzt beim Wichtigsten angekommen. Denn Jenni Mathissen ist im Grunde gar nicht in erster Linie Friseurin. Sie ist eine Freundin. Und sie hört zu.

Gespräche über das Leben

„Meine Kunden verlieben sich, trennen sich, heiraten, kriegen Kinder, lassen sich scheiden. Die Mutter stirbt, es tauchen Krankheiten auf. Das ist verrückt, ich weiß alles über die Leute. Und die Leute wissen alles über mich. Es gibt Kunden, denen habe ich als Baby zum ersten Mal die Haare geschnitten und jetzt werden die volljährig. Die gehen auch nicht zum Friseur. Die gehen zur Jenni.“ Jenni Mathissen sprudelt, wenn sie von ihren Kunden erzählt. Das ist kein Gespräch über das Arbeiten. Es ist ein Gespräch über das Leben. „Ich habe keine Arbeitsrolle. Ich bin immer dieselbe Jenni. Arbeit und Freizeit ist eins. Das ist mein Laden. Das ist mein Leben.“

Ich kann Kunden glücklich machen. Meine Arbeit ergibt Sinn. Ich sehe sofort ein Ergebnis.
Denny Krause, Elektromeister

Auch Denny Krauses Motivation liegt in der Tätigkeit selbst. In der Schule habe der heute 28-Jährige „nur das Nötigste“ gemacht. Aber bei einem Praktikum in einem Elektrikerbetrieb entdeckte er plötzlich etwas, das ihm Spaß machte. Der Kölner absolvierte eine Ausbildung zum Elektrotechniker und eröffnete nach ein paar Jahren als Angestellter vor etwa einem Jahr seinen eigenen Betrieb. Als Elektromeister Krause plant und verwirklicht er Installationen. „Ich kann Kunden glücklich machen. Meine Arbeit ergibt Sinn. Ich sehe sofort ein Ergebnis. Im besten Fall ist am Ende das Problem gelöst und man sieht nicht mal, dass ein Handwerker da war. Das empfinde ich als erfüllend.“

Auch Ulrike Pütz von der Handwerkskammer beobachtet, dass junge Menschen durchaus bereit sind ranzuklotzen. „Auch viele junge Menschen heute wollen arbeiten und Karriere machen. Sie wollen es aber nicht um jeden Preis“, sagt Pütz. Der Sinn der Tätigkeit sei entscheidend. Würde der nicht erfüllt, sei man schneller zum Wechsel bereit. Freie Stellen gebe es schließlich viele. Wichtiger als früher seien zudem demokratischere Betriebsstrukturen, Nachhaltigkeit und Diversität.

Denny Krause ist Elektromeister und hat sich vor kurzem selbständig gemacht.

Denny Krause ist Elektromeister und hat sich vor kurzem selbständig gemacht. Er arbeitet gern viel, täglich etwa zwölf Stunden, auch an drei von vier Wochenenden. Er sagt: „Man kann nicht weniger arbeiten und sich dann beschweren, dass es nicht läuft.“

Denny Krause arbeitet im Schnitt zwölf Stunden am Tag. Auch an den meisten Wochenenden. Sonntag ist Bürotag. Pausen gibt es kaum. Krause ist der Meinung: „Man kann nicht weniger arbeiten und sich dann beschweren, dass es nicht läuft.“

Denny Krause glaubt daran: Leistung lohnt sich

Von Bürgergeld leben, das könnte jemand wie Krause nicht. „Es gibt diejenigen, die nichts dafür können und einfach nicht arbeiten können. Die sollten fast noch mehr Geld bekommen. Aber es gibt auch die anderen, die sich auf der Arbeit anderer ausruhen. Das würde mich wirklich unglücklich machen. Den ganzen Tag rumliegen. Was soll daran positiv sein? Da fall ich lieber abends erschöpft ins Bett.“ Dass sich Leistung lohnt, dieser Glaubenssatz gilt für Krause noch. Außerdem: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Oder: „Ich will ja auch etwas aufbauen.“ Momentan ist Krause Single, „aber vielleicht habe ich ja auch mal Kinder. Dann will ich an die auch etwas weitergeben“.

Jenni Mathissen will auch etwas weitergeben. Es ist eher ein Werkzeug. „Meine Kinder sollen sehen: Wer was erreichen will, muss fleißig sein. Bislang hat das geklappt: Bei uns zu Hause gibt es keine Faulenzer.“ Jenni Mathissen lebt zusammen mit ihrem Mann und dessen Sohn, im Oktober wird ein gemeinsames Babymädchen die Familie ergänzen. Mathissen gönnt sich dann drei Monate Pause, im Januar aber will sie wieder im Salon stehen, mit der Schere oder dem Farbpinsel hantieren und ihren Kundinnen und Kunden zuhören. „Die Maus kommt dann mit. Es wird alles anders werden, aber irgendwie kriege ich das hin.“ Mathissens Mund zieht sich über die ganze Breite ihres Gesichtes. Die Augen strahlen. Gleich wird sie es sagen. Das geht schon.