Um Jugendliche vor dem Schlimmsten zu bewahren, sind am 11.11. Streetworker unterwegs. Ein Streifzug durch den Kölner Karnvevalsirrsinn.
„Ich küsse dein Herz“Unterwegs mit Kölner Streetworkern am 11.11. auf der Zülpicher Straße
Für die 16-jährige Pia (Name geändert) startet die Karnevalssession um 11.11 Uhr mit einem Päckchen Durstlöscher in der Hand. Alkohol, das ist ihr anzusehen, hatte sie schon genug. Pia hat sich an der Roonstraße an eine Hauswand gedrückt, wankt von einem Bein auf das andere und blickt mit glasigem Blick Lisa Gindler entgegen. „Vielen Dank“, sagt Pia noch lächelnd, nachdem sie die Limonade entgegengenommen hat, ihre Freundinnen würden sich schon um sie kümmern.
Gindler ist zufrieden, wünscht Pia noch einen schönen Sessionsstart und hält Ausschau nach weiteren Minderjährigen, die bereits am Vormittag zu tief ins Glas geschaut haben.
Karneval in Köln: Einsatz der Streetworker am 11.11. verläuft im Takt des Alkoholrausches
Gemeinsam mit Lasse Golob und Uwe Schärpf bildet Gindler ein Dreiergespann aus Streetworkern, die am 11.11. rund um das Kwartier Latäng unterwegs sind. Sie kümmern sich um die vielen Jugendlichen hier, helfen ihnen mit ein paar netten Worten, Snacks und Getränken wieder auf die Beine – und kontaktieren im schlimmsten Fall deren Eltern, wenn die Party für sie zu Ende ist. Insgesamt hat die Stadt Köln 14 Streetworker am 11.11. im Einsatz. Die meisten von ihnen, laufen wie Gindler, Schärpf und Golob durch das Kwartier Latäng.
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Von 10 bis 20 Uhr sind die drei unterwegs. Ihr Einsatz verläuft im Takt des Alkoholrausches. „Am Vormittag ist die Lage meistens noch entspannt. Auch wenn es immer wieder Jugendliche gibt, die 11.11 Uhr nicht erleben“, erklärt Schärpf. Am Nachmittag steige der Pegel dann oft in problematische Höhen, die Aggressivität steige, die Liebesdramen und Streitereien nehmen zu. „Dann sind wir gefragt.“
Es ist – schöner Zufall – Schärpfs 11. Session als Streetworker. Und es wird wohl auch seine letzte sein. Denn eigentlich ist Schärpf schon im Rentenalter. Eine Session nimmt er aber noch mit. „Der Job macht mir einfach zu viel Spaß“, sagt er und lacht.
Karneval in Köln: Dankbarkeit der Jugendlichen im Kwartier Latäng groß
Und tatsächlich kann man inmitten dieses Kölner Karnvelsirrsinns im Kwartier Latäng verstehen, warum das so ist. Um 12 Uhr drücken sich Gindler, Schärpf und Golob durch die Menge an den Uniwiesen entlang. An den Zäunen ein Spalier urinierender Jecken. „Beim ersten Mal Karneval dachte ich mir noch: Oh Gott! Aber man gewöhnt sich leider an solche Szenen“, wird Gindler später sagen.
Doch die Dankbarkeit der Jugendlichen für ihre Arbeit ist groß. Erblicken die drei jung aussehende Menschen, denen es nicht mehr so gutzugehen scheint, gehen die drei auf sie zu und bieten ihnen Snacks und Getränke an. „Ich küsse dein Herz, Bruder. Warum seid ihr so nett?“, freut sich ein Jugendlicher, als Golob ihm ein paar Knoppers hinhält. „Das ist ja wie Weihnachten“, sagt der Jugendliche noch mit einer Inbrunst, die wohl nur Betrunkene aufbringen können. Golob übergibt ihm noch ein paar Kondome – für alle Fälle.
14 Uhr, Zeit für eine Pause. Die Streetworker sind im „Rosebud“ untergekommen, einer Bar in der Nähe der Zülpicher Straße. Der Besitzer, ein guter Bekannter von Golob, hatte keine Lust auf Karneval. „Dafür hat er uns den Laden für den Tag überlassen.“ Erstes Fazit: „Wie zu erwarten ist es dieses Jahr extrem voll, schlimme Zwischenfälle halten sich aber zum Glück in Grenzen“, resümiert Golob.
Ab 15 Uhr wird die Lage unübersichtlicher. Am Einlass an der Dasselstraße gerät ein Mann im SEK-Kostüm mit einem Security aneineinander, als die Streetworker an ihnen vorbeilaufen. Zu einer Schlägerei kommt es nicht, auch wenn beide Seiten es darauf angelegen. Golob muss bei der Polizei noch als Zeuge aussagen, da kriegt Gindler einen Anruf aus einem Sanitätszelt: Ein Jugendlicher braucht Hilfe.
Vor Ort holen Gindler und Schärpf den 15-Jährigen ab, den Sanitäter schlafend im Kwartier Latäng aufgelesen haben. Wie er in das Sanitätszelt gekommen ist, kann sich der Junge nicht erklären. „Ich hab nur zwei Bier getrunken, keine Ahnung was da passiert ist“, beteuert er, während die beiden Streetworker ihn mit in ihren Kleinbus vor der Rosebud-Bar begleiten. Dort wird der Junge mit Snacks und Getränken versorgt, während Schärpf die Mutter kontaktiert. „Die Eltern zu beruhigen ist manchmal schwererer, als der Umgang mit den Jugendlichen“, sagt Schärpf. Der 15-Jährige wird nicht der letzte sein, der aus den Sanitätszelten abgeholt werden muss.
„Wir bewerten nicht, was die Jugendlichen hier machen, sondern sind für sie da, wenn sie Hilfe brauchen“, sagt Golob, als die Nacht hereinbricht und der Alkoholpegel die Stimmung vielerorts in Aggression umschlagen lässt. „Aber wir versuchen natürlich, zum Nachdenken anzuregen.“ Und sei es nur mit ein paar Knoppers und Durstlöschern.