„Et Hätz schleiht em Veedel“ – das tolle Motto des Jahres 2020 steht für eine in weiten Teilen sehr gut gelaufene Karnevalszeit.
Doch neben starken Premieren und einer rekordverdächtigen Sitzung gab es auch einen bitteren Moment und Kritik.
Unser „Kölle Alaaf“-Team war die gesamte Karnevalssession unterwegs und zieht nun Bilanz.
Köln – In den vergangenen Tagen wurde viel mit dem Kölner Dreigestirn gefeiert, ein Zoch abgesagt, politisch Haltung gezeigt, Platzverweise im Zülpicher Viertel verteilt und eine starke Premiere gefeiert – doch an Aschermittwoch ist alles vorbei.
Starke Premiere
Starkes Motto, starker Zoch: Der neue Leiter des Rosenmontagszuges, Holger Kirsch, überzeugte durch ein souveränes Auftreten und viele Ideen bis hin ins liebevolle Detail. Tolle Persiflagewagen, eine Extra-Gruppe für ehrenamtliche Helfer. Sein erster Zoch war politisch wie lange nicht und traf dennoch die Kölsche Seele: „Et Hätz schleiht em Veedel“. Eine ganz starke Premiere.
Met vill Hätz ungerwägs
Sie haben alle überrascht und überzeugt. Man muss nicht jung und schön sein und noch nicht einmal in Köln geboren sein, um von den Jecken als Dreigestirn geliebt zu werden – entscheidend ist das kölsche Jeföhl, das kölsche Hätz und die Kölsche Siel. Und genau das haben Prinz Christian II. (Krath), Bauer Frank (Breuer) und Jungfrau Griet (Ralf Schumacher) bei all ihren 420 Auftritten gezeigt und rüber gebracht. Die drei aus dem Reiterkorps Jan von Werth haben sich zu einem Aushängeschild der Session entwickelt – auch weit über Köln hinaus –, an das man sich wohl noch lange erinnern wird. Gut gemacht. Nein – sehr gut gemacht.
Karnevalssonntag, kurz vor 11 Uhr: Zugleiter Willi Stoffel muss nach Rücksprache mit der Stadt und den Sicherheitskräften die Schull- un Veedelszöch wegen orkanartigen Sturms absagen. Eine absolut nachvollziehbare und richtige Entscheidung, aber sehr, sehr bitter für tausende Schüler, Lehrer, Eltern und Veedelsjecke, die sich in teilweise monatelanger Arbeit auf den Zug vorbereitet hatten. Da flossen viele Tränen. Und das von Freunden, Förderern und Festkomitee spontan anberaumte Sommerfest sowie die Teilnahme dreier Gruppen am Rosenmontagszug können nur ein schwacher Trost sein. Einige Gruppen konnten – mal lange geplant, mal ganz spontan – zumindest noch an den Veedelszügen in ihren Stadtteilen teilnehmen.
Dat es Dress
Das Zülpicher Viertel hat sich in diesem Jahr zum Karnevalsbrennpunkt entwickelt. An allen Karnevalstagen musste die Polizei dort einschreiten, um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. Trauriger Höhepunkt war der Samstagabend, als in einer Gruppe von 500 alkoholisierten Jugendlichen die Stimmung eskalierte. Das Ergebnis: Die Polizei sprach von Schlägereien und zahlreichen Körperverletzungsdelikten. Das Gros der Jugendlichen war noch minderjährig. Es kam zu Platzverweisen, Verletzte mussten vor Ort behandelt werden. Sowohl Freitag als auch Samstag spitzte sich die Situation während der Räumung weiter zu. Es kam auch zu Gewalt gegen Polizeibeamte. Künftig will die Polizei rund um den Zülpicher Platz mit noch mehr Kräften vor Ort sein.
Rekordverdächtig
Mit der Nubbelverbrennung vor dem E-Werk nach der letzten Vorstellung am Dienstagabend geht für die Stunksitzung eine überaus erfolgreiche Session zu Ende. Bei insgesamt 57 ausverkauften Sitzungen waren mehr als 70.000 Besucher live dabei. Die Übertragung im WDR-Fernsehen haben eine halbe Million Zuschauer geschaut. Auch wenn Karneval im Advent nicht jedermanns Sache ist, starten die Stunker mit ihrem Programm für die Session 2021 bereits am 1. Dezember diesen Jahres. Und für die 15 Vorstellungen vor Weihnachten hat schon jetzt der Vorverkauf begonnen. Für die Termine nach Weihnachten gibt es die Karten wie gewohnt im September.
Mal gut, mal schlecht
Die Fernseh-Kommentatoren machten ihre Sache gut. Guido Cantz und Wicky Junggeburth (ARD) sowie Monika Salchert und Thorsten Schorn (WDR) überzeugten mit Humor und Fachwissen. Doch unter den zahlreichen Selbstdarstellern, die entlang des Zugwegs auf den Tribünen das Geschehen kommentierten, waren nur wenige Könner. Welcher Zuschauer will denn wissen, dass da gerade der Präsident Soundso vorbeifährt, der mit Willi oder Karl-Heinz zu begrüßen sei. Und wenn dann die gemischte Gruppe aus Schul- und Veedelsgruppen begrüßt wird mit „Guckt euch mal die goldenen Lappenclowns an“ , dann ist das nur peinlich. Manchmal ist weniger mehr.
Position gegen Rechts bezogen
Weitgehend ohne Absprachen haben der Karneval und vor allem seine prominenten Akteure wie Musiker, Redner oder Präsidenten in den Sälen klar gemacht, dass Rassisten, Ausländerfeinde und Neonazis in unserer Gesellschaft nicht geduldet werden dürfen. Der Song „Su läuf dat he“ der AG Arsch huh wurde zum Überraschungs-Hit. Die Jecken sind sich einig: „Nur zesamme sin mer Fastelovend“ – das neue Motto kann und soll auch politisch gedeutet und umgesetzt werden.
Mitsingen – överall
Nach 20 Jahren „Loss mer singe“ hat intensives Mitsingen auch die Karnevalsumzüge erreicht. Da wird Dauerregen zur Nebensache, wenn die Musik stimmt und alle Jecken oft textsicher mitmachen. Das Lied vom Veedel wird die Severinstraße hoch und runter gesungen, und dank der vielen starken kölschen Bands ist auch das aktuelle Liedgut in aller Munde – wie „De nächste Rund“ von den Bläck Fööss, „Pommes un Champagner“ von Kasalla, „Sünderlein“ von Brings.
Aber die Lieder bleiben ein lokales Ereignis, in den bundesweiten Hitparaden tauchen sie kaum auf. Nur in den iTune-Charts waren die Fööss in den letzten Tagen stets auf Platz eins oder zwei. Und die CD „Karneval der Stars, Folge 49“ belegte Platz drei der meistverkauften Sampler der letzten Woche – hinter „Bravo Hits 108“ und „Schlagerchampions 2020“.
Joot jemaat
Was würde das „Kölle-Alaaf“-Team des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ohne die zahllosen, für Presse zuständigen Ehrenamtler in den Gesellschaften machen. Es war immer wieder schön, die stets gut gelaunten Mitglieder der „Medienklaafer“ zu treffen, die auch locker als KG Foyer durchgehen. Stellvertretend für die gute, oft sehr hilfreiche und immer freundliche Zusammenarbeit mit allen ein dickes Dankeschön an Tanja Holthaus und Michael Kramp vom Festkomitee – Dat hat Ihr joot jemaat!