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„Loss mer fiere, nit lamentiere“Funktioniert der Höhner-Hit auch in Pandemie-Zeiten?

Lesezeit 4 Minuten

Die Höhner bei einem Auftritt in der Philharmonie 2019.

Köln – „Kumm loss mer fiere, nit lamentiere“ – seit genau 30 Jahren sind diese Zeilen ein Klassiker des kölschen Liedguts und eine Hymne des Karnevals. Großen Anteil an der Entstehung hat Franz Martin „FM“ Willizil, damals Mitglied der Höhner. Der eher trotzige Charakter des Liedes hat einen Grund: „Kumm loss mer fiere“ entstand während der Session, in der der Kölner Rosenmontagszug und viele offizielle Veranstaltungen aufgrund des Golfkriegs ausfielen. Willizil ist überzeugt: „Das Lied passt auch zu dieser Session im Pandemie-Jahr 2021“.

Der ehemalige Gitarrist der Höhner erinnert sich noch gut an jenen Donnerstag Mitte Januar 1991, als eine von US-Truppen geführte Allianz den Irak angriff und die Karnevalisten in Trübsal versetzte. „Wir hatten Auftritte und ich war nachts mit einem Kollegen auf dem Weg zurück in die Eifel, als die ersten Bomben auf Bagdad fielen. Am nächsten Tag hatten wir natürlich wieder Auftritte und wir wurden geradezu belagert“, schildert Willizil.

Melodie sollte eigentlich FC-Hymne werden

„Die Leute fragten: Wie könnt ihr Stimmung und Alaaf machen, wenn da ein Krieg tobt? Der ganze Text des Liedes ist eine Reaktion auf diese Frage.“ Willizil, innerlich zerrissen, beschäftigte das Thema noch über den Aschermittwoch hinaus. Dann setzte er sich zu Hause an den Schreibtisch und schrieb Zeilen wie „Dä Lauf d'r Welt dä es uns nit ejal, doch et Lävve es nit bloß e Jammertal.“

FM Willizil

Die Melodie habe er bereits einige Zeit vorher komponiert. „Es sollte eigentlich eine Hymne für den FC werden, aber der Krieg kam dazwischen“, sagt der heute 68-jährige. Er habe den Song daraufhin seinen Bandkollegen vorgespielt, die ihm den letzten Schliff verpassten.

30 Jahre nach dem Krieg: Nicht jeder versteht den Kontext

Gemeinsam hätten sie entschieden, ihn im Studio aufzunehmen und mit den Höhnern zu veröffentlichen. „In der darauffolgenden Session ab dem Elften im Elften war das unser Hit. Wir hatten sehr viel Erfolg damit, weil die Leute natürlich verstanden haben, worum es ging“, so Willizil.

Auf Youtube zeugen Videos aus den Neunziger Jahren davon, mit wie viel Inbrunst und Leidenschaft er die zeitgenössische Antikriegshymne singt. Das tue er auch heute noch, sagt der Bornheimer. „Wenn man mit einem eigenen Lied auch außerhalb der Session einen richtigen Hit landet, ist das schon etwas Tolles.“ Allerdings müsse er dem Publikum die Entstehungsgeschichte 30 Jahre nach dem Krieg wieder erklären. „Die Leute hören das Lied dann mit anderen Ohren“, sagt er.

Damals Boykott, heute Bekenntnis zum Karneval

Für Brauchtums-Experte und Heimatforscher Reinold Louis ist es gar ein „Jahrhundertlied“: „Evergreens gibt es viele, Jahrhundertlieder noch weniger – das sind die, die nicht alltäglich sind“, sagt er. „Karneval war schon immer die seelische Müllhalde gewesen, auf der man seine Sorgen ablädt. Man singt und feiert gemeinsam, das liegt den Leuten im Blut. Und deswegen passte es 1991 wunderbar in diese Ereignisse hinein.“

Damals seien die Straßen menschenleer gewesen, zwar wurde das Dreigestirn proklamiert, aber niemand der Stadtoberen sei hingegangen. „Kaum einer hat sich getraut, die Sitzungen zu besuchen. Auch die Zeitungen haben den Karneval boykottiert“, so Louis. „Diesmal aber bekennt sich die Stadt zum Karneval, denn er bietet etwas ungeheuer Tolles.“

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Die Gesellschaften ließen sich im Pandemie-Jahr allerhand einfallen. „Der Karneval setzt sich ein Krönchen auf“, findet Louis. „Er ist in diesem Jahr der große Hoffnungsschimmer, das innere Gefühl des Zusammenhalts wird dadurch gestärkt. Das Brauchtum kann davon nur profitieren.“

Eignet sich „Kumm loss mer fiere“ 30 Jahre nach dem Ausfall des Rosenmontagszugs also auch als Mutmacher im Lockdown? „Unbedingt“, findet FM Willizil. „Damals war es ein Krieg mit Bomben, jetzt ist es ein Krieg gegen das Virus. Wir kämpfen nur mit anderen Waffen. Es hat die Menschen aus dem normalen Leben herausgerissen, die Botschaft des Liedes bleibt die gleiche“, sagt er. „Die Menschen sind sehr erfindungsreich und versuchen, auf alle erdenklichen Arten Karneval zu feiern und zu Hause trotzdem Spaß zu haben.“