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Inklusives Kicken im Kölner Knast„Von der Gesellschaft bekommen wir alle einen Stempel aufgedrückt“

Lesezeit 4 Minuten
Eine Runde Schere, Stein, Papier klärt die Frage nach dem Anstoß zwischen einer Insässin der JVA (links) und einem Spieler der Inklusionsmannschaft von Germania Zündorf, Trainerin Luisa Schanze (FC-Stiftung) kontrolliert.

Eine Runde Schere, Stein, Papier klärt die Frage nach dem Anstoß zwischen einer Insässin der JVA (links) und einem Spieler der Inklusionsmannschaft von Germania Zündorf, Trainerin Luisa Schanze (FC-Stiftung) kontrolliert.

Ein Inklusionsworkshop bringt die Mannschaft von Germania Zündorf mit JVA-Häftlingen in Kontakt. Ein Austausch, von dem beide Seiten lernen.

Normale Trainingstage beginnen für die Inklusionmannschaft von FC Germania Zündorf nicht in dem kleinen, stickigen Raum ohne Fenster, mit Schließfächern bis an die Decke. Vor normalen Trainingseinheiten legen die Spieler ihre Schlüssel und Handys dort nicht ins Schließfach 32. „Das waren alle?“, vergewissert sich Ileana Wünsche, bevor sie das Fach abschließt und die Mannschaft in die Sicherheitsschleuse bittet.

Wünsche, Sportkoordinatorin der JVA Ossendorf, drückt die schwere Stahltür auf und führt die Mannschaft über einen Innenhof ins Gefängnis. Lange Gänge führen die Gruppe in die größte Haftanstalt Nordrhein-Westfalens, etwa 1200 Insassen sitzen hier ihre Haft ab.

Ein tolles Match aus Inklusion und Resozialisierung
Tanja Reinisch, FC-Stiftung

Drei Tage lang hat das inklusive Team von Germania Zündorf in der JVA mit zehn Häftlingen trainiert – fünf Frauen und fünf Männern. Jetzt sind die Zündorfer Spieler, die eine geistige oder körperliche Einschränkung haben, erneut hier: zum Abschlussturnier. Die Aktion wurde von der Stiftung des 1. FC Köln initiiert. „Ein tolles Match aus Inklusion und Resozialisierung“, sagt Tanja Reinisch von der FC-Stiftung.

Kicken im Knast: Gute Stimmung zwischen Spielern und Insassen

Ein paar Minuten Fußweg und zahlreiche Gittertüren später erreicht die Mannschaft die Sporthalle des Gefängnisses. Die Insassen sind schon an der Halle, manche von ihnen kicken sich drinnen warm, andere sitzen draußen und rauchen. Die Stimmung zwischen den Spielern und Häftlingen wirkt locker, fast schon vertraut.

Vor dem Turnier wird sich im Innenhof der JVA noch entspannt.

Vor dem Turnier wird sich im Innenhof der JVA noch entspannt.

Man kennt und nennt sich beim Namen und kommt schnell zu den wichtigen Fragen: „Wie lang musst du noch?“, fragt eine Spielerin der Germania Zündorf, die Insassin antwortet: „Noch zwei Jahre, dann bin ich hier raus.“

„Die Aktion soll Vorurteile auf beiden Seiten abbauen“, sagt Ileana Wünsche. Während eine Trainerin der FC-Stiftung das Aufwärmprogramm anleitet, steht Wünsche am Spielfeldrand des Platzes und stützt ihren Fuß auf einem Ball ab. Ihre Wade ziert ein Tattoo mit dem Schriftzug „Bolzplatzkind“. Bis vor ein paar Jahren stand sie als Profi selbst für den 1. FC Köln auf dem Platz. Seit 2010 arbeitet sie in der JVA.

Ileana Wünsche auf dem Sportplatz der JVA

Ileana Wünsche hat sich für der Inklusionsprojekt in der JVA eingesetzt.

Wenn man mit Wünsche spricht, wird schnell deutlich, dass ihr das Projekt am Herzen liegt: „Viele von unseren Leuten haben draußen keinen Kontakt mit Menschen mit Einschränkung, und für die Spieler der Germania ist es das erste Mal, dass sie ein Gefängnis von innen sehen.“ Bewusst tritt nicht die JVA- gegen die Zündorfer Mannschaft an, die Teams sind vielmehr gemischt. Damit alle gemeinsam lernen, mit Fehlern und Schwächen umzugehen.

JVA Ossendorf: Häftlinge schauen neugierig aus ihren Zellen

Eine Runde Schere-Stein-Papier klärt das Anstoßrecht: Der Ball rollt im Innenhof des Kölner Gefängnisses, ein paar Häftlinge schauen neugierig aus ihren Zellen. Ein Rückpass eröffnet das Spiel. Über ein, zwei schnelle Kontakte kommt der Ball zu Michelle. Sie nimmt den Ball an und dringt mit einem „Rollator“, der sie hinten stützt und vorne schießen lässt, in den Strafraum. Ein Mitspieler aus der JVA schirmt sie taktisch ab, damit sie freie Bahn hat. Schuss! Gehalten.

Eine Spielerin der JVA freut sich über ein Tor ihrer Mannschaft

Eine Spielerin der JVA freut sich über ein Tor ihrer Mannschaft

Nach dem Spiel erzählt Michelle, welche Bedeutung der Workshop und das Spiel für sie hat: „Jeder Teil der Gesellschaft sollte mal mit einem Gefangenen sprechen.“ Die Begegnung habe ihr gezeigt, dass sie nicht die einzigen sind, die für ihren Lebensweg kämpfen müssen: „Von der Gesellschaft bekommen wir alle einen Stempel aufgedrückt.“

Michelle hat durch den Workshop zum ersten mal ein Gefängnis betreten. Zweimal in der Woche trainiert sie bei der Germania Zündorf.

Michelle hat durch den Workshop zum ersten mal ein Gefängnis betreten. Zweimal in der Woche trainiert sie bei der Germania Zündorf.

Die 30-Jährige ist auf einen Rollator angewiesen. Eine Einschränkung, die ihr lange den Zugang zu Sport verwehrte: „Früher lag ich die ganze Zeit im Bett und habe davon geträumt, Tore zu schießen.“ Mehr als fünf Jahre lang suchte sie nach einem Verein, bei dem sie Fußball spielen konnte. Vor drei Jahren fand sie dann die Germania Zündorf. Für ihre Leidenschaft muss Michelle eine lange Anfahrt in Kauf nehmen – sie wohnt in Hürth.

Ich trage mein Gefängnis mein Leben lang mit mir herum
Michelle, FC Germania Zündorf

Während Michelle und ihre Team-Kollegen nur für drei Tage in die JVA kommen, findet Florians Leben seit einem halben Jahr dort statt. Er wartet noch auf sein Urteil. „Ich rechne so mit fünf Jahren“, sagt der 43-Jährige. Er wirkt aufgeschlossen, spricht überlegt, macht immer mal wieder Pausen, in denen er über seine Antwort nachdenkt. Florian hat an der Sporthochschule studiert und sagt über die JVA-Insassen: „Hier sitzen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, falsche Entscheidungen kann jeder treffen.“ Ihm wird vorgeworfen, mit Marihuana gehandelt zu haben.

Er zeigt auf Michelle und sagt, ein Gespräch mit ihr habe ihm die Augen geöffnet: „Sie hat mir gesagt, sei doch froh, dass du hier irgendwann raus bist. Ich trage mein Gefängnis mein Leben lang mit mir herum.“ Dann muss Florian zurück aufs Feld, seine Mannschaft ist dran.