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Häusliche Kinderkrankenpflege in Köln„Wir sind an unsere Grenzen gestoßen”

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In der Kinderkrankenpflege fehlen Fachkräfte.

Köln – Es ist eine Diagnose, die keine Familie gern hört. Noah wurde vor 16 Jahren mit einem Gendefekt geboren. Weil sein Stoffwechsel fehlerhaft ist, kann sein Gehirn nicht ausreichend viele Synapsen bilden. Eine Erkrankung mit Folgen: Der Junge befinde sich in seiner geistigen Entwicklung auf dem Niveau eines Kleinkindes, sagt Mutter Irene Grimm. Noah hat epileptischen Krampfanfälle, muss über eine Magensonde ernährt und alle zwei bis drei Stunden im Bett gedreht werden, damit sich keine Druckstellen entwickeln. Schleim im Atemwegsbereich muss abgesaugt, sein Urin über einen Katheder abgeführt werden.

Hilfe erhielt die Familie seit Noahs Geburt von einem Pflegedienst, der aber tagsüber von 7 bis 15 Uhr kam. Über viele Jahre und viele Stunden musste die Familie mit der Situation nachmittags, nachts und am Wochenende allein fertig werden. „Ich bin 13 Jahre lang jede Nacht aufgestanden und habe kaum geschlafen“, sagt Irene Grimm. „Wir sind an unsere Grenzen gestoßen.“ Einmal sei sie fast zusammengebrochen, da habe sie Noah für drei Monate in ein Heim gegeben. Mittlerweile sei die Lage etwas entspannter, weil sie ein Altenpflegedienst in der Nacht unterstütze. Einen Platz für einen spezialisierten Kinderkrankenpflegedienst habe sie aber nicht bekommen.

„Die Situation ist dramatisch“

Familie Grimm ist kein Einzelfall. Nicht nur in der stationären, sondern auch in der ambulanten Kinderkrankenpflege ist die Situation angespannt, sagt Susanne Mehnert, Pflegedienstleiterin von Wir für Pänz, einem der beiden ambulanten Kölner Kinderkrankenpflegedienste. Die Mitarbeiter betreuen derzeit etwa 25 Kinder und Jugendliche, müssten aber jeden Monat Anfragen von Eltern ablehnen, weil es nicht genügend Fachkräfte gebe. „Die Situation ist dramatisch, die Eltern verzweifeln.“

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Ohne häuslichen Pflegedienst müssten die Kinder und Jugendlichen oft viel länger stationär medizinisch versorgt werden, bis sie ein ambulanter Pflegedienst zu Hause betreuen kann. Dies verursache Kosten und belaste die Familien und das betroffene Kind. „Ein Kind gehört nach Hause und nicht in die Klinik“, sagt Mehnert. Zudem seien Eltern physisch und psychisch belastet, weil sie die Versorgung ihres kranken Kindes zum großen Teil übernehmen müssten. „Es fehlt an Schlaf, sie stehen unter größerem Stress aus Angst vor Notfallsituationen, in denen sie alleine ohne Pflegefachkraft sind“, sagt Mehnert. Zu Hause würden Eltern wie Familie Grimm oftmals Altenpflegedienste anrufen, weil Kinderkrankenpflegedienste keine Kapazitäten hätten. Diese seien aber nicht auf Kinder spezialisiert.

Im Rahmen der Kinderkrankenpflege werden Kinder ab dem ersten Lebensmonat bis zum 18. Lebensjahr versorgt. „Hierbei treffen wir auf eine Bandbreite an Krankheitsbildern und Pflegeproblemen“, so Mehnert. Kinder im Säuglingsalter hätten andere Pflegeprobleme als Jugendliche im zwölften Lebensjahr. Zudem müssten Kinder und Jugendliche mit ernsten Diagnosen versorgt werden. Etwa Frühchen, Kinder mit Krampfanfällen, neurologischen Auffälligkeiten oder körperlichen und geistigen Behinderungen. In der ambulanten Kinderkrankenpflege sei man als Pflegekraft alleine vor Ort und habe keinen Arzt an der Seite. „Man muss die Situation sicher einschätzen. Diese Kenntnisse müssen in der Ausbildung erlernt und durch Berufserfahrung ausgeweitet werden.“

Pflegereformgesetz in der Kritik

Mehnert glaubt, dass das Pflegekräftereformgesetz die Situation verschärfen könnte. Das Gesetz ist 2020 in Kraft getreten und soll den Wechsel der Pflegenden zwischen einzelnen Berufsfeldern erleichtern. Mit Auswirkungen auf die Ausbildung: Wurden früher angehende Kinderkrankenpflegende drei Jahre lang im Fachbereich ausgebildet, findet nunmehr eine zweijährige allgemeine Ausbildung statt. Nur im dritten Jahr können sich die Pflegekräfte spezialisieren. Die geänderte Ausbildung führe dazu, dass sich weniger junge Menschen für den Beruf der Kinderkrankenpflegenden entscheiden, so Mehnert.

Die Expertin fordert nun mehr Ausbildungsplätze in der Kinderkrankenpflege, Weiterbildungsangebote und Weiterbildungsmaßnahmen, die entsprechend vergütet werden müssten.