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„Wir sehen uns in der Hölle”Warum ich aus der katholischen Kirche austrete

Lesezeit 8 Minuten
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  1. Unser Autor Christian Parth ist nach 46 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. In einem sehr persönlichen Brief an die Kirche schreibt er über seine Gründe dafür – und das sind längst nicht nur die Missbrauchsfälle.
  2. Der Bonner Publizist Andreas Püttmann erwidert, warum er an der katholischen Kirche festhält und ein Austritt für ihn nicht in Frage kommt.

Köln – Liebe Katholische Kirche, lieber Heiliger Vater, heute, nach 46 Jahren, bin ich aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Am Ende ging es ganz schnell. Raum 2 Gerichtskasse, 30 Euro in bar, rüber in Raum 47, Formular unterschrieben, amtlich ausgetreten. Da das Amtsgericht keine Erklärung verlangt, möchte ich dennoch gerne die Begründung nachliefern. Ihr sollt das ja auch verstehen.

Du, liebe katholische Kirche, hast mich getauft, kommuniert, firmiert, damals war das so üblich, es gehörte dazu. Damals aber kannte ich eure Geschichte noch nicht, die wurde uns in den meist zermürbenden Unterrichtsstunden der Hinleitung zu den Sakramenten nicht erzählt: Inquisition, Morde, Unterdrückung, Ablasshandel, Kreuzzüge. Auf Angst gebaute Moral. Vergangenheit, dachte ich später, als ich von all dem erfuhr. Das war dunkles Mittelalter. Das kann kein Maßstab für eine aktuelle Bewertung sein, hake ich mal ab. Außerdem, und das war mir immer das Wichtigste, arbeiten in euren Gemeinden und Einrichtungen Menschen, die sich aufopfern, die Alte pflegen, die echte Seelsorge betreiben, die, wie Pfarrer Franz Meurer aus dem sozialen Brennpunkt in Köln-Höhenberg, die christliche Botschaft ganz pragmatisch und lebensnah an der Basis leben: Den Bedürftigen helfen, wo Hilfe gebraucht wird, ohne Vorurteile, ungeachtet der Konfession oder Religion.

Da sein, wo jemand einsam ist, Lebensmittel verteilen, wo jemand hungrig ist, und zuhören, wenn jemand nicht mehr weiter weiß. Menschlich sein, wenn das Menschsein auch manchmal so schwer ist. All diese Menschen waren es mir wert, Kirchensteuer zu entrichten, Jahr für Jahr, Tausende Euro.

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Dabei hast Du deinen Mitgliedern einen Verbleib in deinem Konstrukt immer verdammt schwer gemacht, gerade so, als würdest Du sie vergraulen wollen: Hetze gegen Homosexuelle, Kondomverbote, obwohl in manchen Ländern der HI-Virus fast epidemische Ausmaße angenommen hatte. Menschen, die in deinen Einrichtungen ungeachtet ihrer Eignung und Kompetenz nicht mehr arbeiten dürfen, weil sie geschieden sind und wieder geheiratet haben, Frauen, die keine Priester sein dürfen, die überhaupt in der Hierarchie kurz über der Grasnarbe rangieren, wie ein Mensch zweiter Klasse. Ein eigenes Kirchenrecht, das in mancher Hinsicht den Rechtsstaat ignoriert.

Aber kommen wir zum wichtigsten Punkt: Seit Jahrzehnten missbrauchen eure Priester Kinder und Jugendliche, weltweit. Menschen also, die man euch, den Dienern Christi, im guten Glauben anvertraut hat. Kann man eigentlich Schlimmeres tun? Lange Zeit ist es euch gelungen, das zu vertuschen. Aber jetzt ziehen die Opfer den Mantel Stück für Stück beiseite, den ihr so viele Jahre über diese Geschehnisse gelegt hattet. Doch wie ist eure Reaktion? Das Vertuschen geht weiter, der Unwille, die Vorfälle als das anzuerkennen, was sie sind: Schwere Verbrechen, für die man sich vor weltlichen Gerichten zu verantworten hat. Wäre der Wille zur schonungslosen Aufklärung spürbar gewesen, ich wäre diesen Schritt vermutlich nicht gegangen.

Krisengipfel geriet zur Farce

Doch euer viertägiger Krisengipfel im Vatikan geriet zur Farce. Ihr habt den Missbrauch an Kindern klein geredet, ihn verharmlost, ihn zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Problem aller Kulturen verklärt, statt euch ohne jede Relativierung zur Schuld zu bekennen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Bis zu 5000 Euro Entschädigung pro Opfer sind euer Angebot der Wiedergutmachung für jahrelanges Martyrium, das nenne ich modernen Ablasshandel in eigener Sache. Und Du, lieber Papst, der Du nach Ratzingers Rücktritt als Reformer gefeiert wurdest, als derjenige, der nach dem Vorbild des heiligen Franz von Assisi die Auswüchse der Gier geißelt und der die Kirche zurück zu Demut und Bescheidenheit führen will, was hast Du getan? Ja, wahrscheinlich hast Du es schwer inmitten dieses Intrigensumpfes im Vatikan, der ewiggestrigen Kurie und den Bischöfen und Kardinälen, für die der Beichtstuhl inzwischen vermutlich mehr Darkroom als Ort einer kathartischen, seelischen Befreiung ist. Und doch musst du dich bekennen zur Schuld, als Mensch, der sündigt, als Abbild Gottes, für den du und deine Kirche den Menschen haltet. Du bist Oberhaupt einer Kirche. Nach einem solchen Skandal ist Dein Kerngeschäft als Chef eines Unternehmens wie diesem nicht das Rausreden, um etwa den Aktienkurs vor dem Absturz und die Aktionäre vor dem Aufstand zu bewahren. Dein Kerngeschäft im globalen Kirchenbusiness ist die Moral und die duldet keine Ausflüchte, ganz gleich, wie groß der Widerstand in den eigenen Reihen ist.

Mehr Mittelalter geht nicht

Aber Du, lieber Pontifex, redest nicht allein vom Versagen der Kirche, dem Irrsinn des Zölibats, der Reformbedürftigkeit des ganzen verstaubten Apparats, nein, Du sprichst auch von Satan, der sich wie eine Krankheit bei euch eingenistet habe und der sein teuflisches Werk gleichsam im Herzen des Erzfeindes verrichtet. Mehr Mittelalter geht nicht, mehr Unwille zur Reform, zum Umdenken auch nicht. Und doch feierst Du dich für dieses bizarre Spektakel. „Für uns besteht die kopernikanische Revolution in der Erkenntnis, dass die missbrauchten Personen sich nicht um die Kirche drehen, sondern dass es die Kirche ist, die sich um sie dreht”, sagte der australische Bischof Mark Coleridge nach dem Krisentreffen. Wenn das schon eine Revolution sein soll, eine kopernikanische dazu, dann müssen wir alle heilfroh sein und dem Herrgott jeden Tag dafür danken, dass Du, liebe katholische Kirche, eben nur eine Kirche bist.

Dogma der Unfehlbarkeit

Im Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 hast Du die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen zum Dogma erhoben. Im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das auch der Modernisierung mancher Formulierung galt, hast Du das Dogma der Unfehlbarkeit zusätzlich auf die Bischöfe erweitert.

Da wir ja unter Männern sind, sag ich mal ganz salopp: Die Eier muss man erstmal haben. Und dass ihr Eier habt, die weder der selbst auferlegte Zölibat noch eure Omertà zum Schweigen bringen können, habt ihr zum Leid anderer hinlänglich bewiesen. Das alles war zu viel für mich. Ich musste jetzt raus aus deinem Schoß. Das, liebe katholische Kirche, musst Du verstehen.

Die nette Dame aus Zimmer 47 sagte, ich solle die Bestätigung meines Austritts ein Leben lang aufbewahren, da es sein könne, dass die Stadt Köln mich im Falle eines Umzugs versehentlich wieder zum Mitglied der katholischen Kirche macht. Wer weiß, vielleicht hat sich bis dahin ja etwas geändert, vielleicht durch ein revolutionäres drittes Konzil. Allein, mir fehlt der Glaube.

Daher befreie ich mich nun aus den Fängen Satans und sage Salute. Wir sehen uns in der Hölle!

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Christian Parth arbeitet als freier Journalist für viele renommierte Medienhäuser in Deutschland, unter anderem auch für den "Kölner Stadt-Anzeiger".

Christian Parth, Journalist des „Kölner Stadt-Anzeiger”

Warum ich in der katholischen Kirche bleibe

Vorab: Die bittersten Enttäuschungen meines Lebens haben mir katholische Paradechristen zugefügt. Allen Lastern, die man außerhalb der Kirche findet, bin ich auch in ihr begegnet. Ihre historischen Irrtümer, etwa die anfängliche Ablehnung der Menschenrechte, sind mir bewusst.

Der Missbrauch Minderjähriger durch 5 Prozent der Priester in Deutschland empört auch mich. Ich bin nur nicht bereit, die Unbescholtenen (hier: 19 von 20) aus dem Blick zu verlieren und vor kirchenfeindlichen Trittbrettfahrern des Skandals zu kuschen. Man erkennt sie an polemischen Pauschalierungen, Häme und Unwillen, auch über sexuellen Missbrauch anderswo zu sprechen.

Unzählige gute Erfahrungen

Meinen Glauben und meine Loyalität zur Kirche kann das Böse in ihr nicht zerstören. Sicher auch, weil ich als Kind gleichsam wie Obelix in den Zaubertrank gefallen bin und gar nicht anders kann, als in dieser Kirche und aus ihren vielfältigen Vollzügen des Glaubens Kraft, Trost und Zuversicht zu schöpfen. Gottesdienste erlebe ich als Zeiten „seelischer Erhebung“, wofür das Grundgesetz den Sonntag schützt. Unzählige gute Erfahrungen mit Männern und Frauen Gottes, die meinen Lebensweg säumen – besonders auch in Klöstern –, erfüllen mich mit Dankbarkeit. Die Kirchen wirken als Kristallisationspunkte des Idealismus.

Ihre Lehren halten an zu Empathie, Demut und Gelassenheit, aber auch zu Anstrengung, kritischem Geist, Tapferkeit. Sie sind Kulturspeicher und Humanitätsressourcen, unverzichtbar gerade jetzt, wo Verrohung, Ängste und Radikalisierung um sich greifen. Dass kirchennahe Christen weit unterdurchschnittlich AfD wählen, spricht für einen guten Einfluss von Kirchenbindung. Bischöfe und Laienverbände waren hier dankenswert klar in der Unterscheidung der Geister. Empirische Studien wie der Bertelsmann-Religionsmonitor weisen die Kirchen als „Motoren“ sozialen Vertrauens und gesellschaftlichen Engagements aus. Sie verbinden auch international und machen uns sprechfähig gegenüber anderen Religionen.

Weltkirche wie ein großer Tanker

Eine Weltkirche ist wie ein großer Tanker, der Kurskorrekturen nur langsam vollziehen kann und kulturelle Ungleichzeitigkeiten auf dem Globus beachten muss. Das sehe ich ihr nach, solange sie lernfähig bleibt und bereit, humanwissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Morallehre einzupflegen. Da gab und gibt es einiges zu justieren.

Gegen den Missbrauch hat die katholische Kirche schon mehr unternommen als oberflächliche Beobachter sehen (wollen). In den Fokus aller Reform gehört der verletzliche Mensch als „Ebenbild Gottes“. Dafür setze ich mich gern weiter als kritisch-loyaler Katholik ein. Ich brauche die Kirche als Heimat, als Lebensraum meines Glaubens, meiner Hoffnung, meiner Gewissenserforschung. Ich finde in ihr, trotz aller menschlichen Schwächen und Abgründe, immer wieder Jesus Christus. Und zumindest einen Schimmer vom „Licht der Welt“ (Mt 5,14).

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Andreas Püttmann

Andreas Püttmann, Journalist und freier Publizist aus Bonn