- Hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger aus dem Erzbistum Köln fordern von Kardinal Rainer Woelki mehr Kompetenzen und konkrete Reformschritte.
- In einem offenen Brief zeichnen sie ein dramatisches Bild von der gegenwärtigen Lage der Kirche.
- Den Brief im Wortlaut ist am Ende des Artikels verlinkt.
Köln – In der Diskussion über die Zukunft der katholischen Kirche zeichnen langgediente Kölner Seelsorgerinnen und Seelsorger ein dramatisches Bild der Lage und treten für konkrete Reformen auch im Erzbistum Köln ein.
Der Skandal sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche habe „vielen Menschen unsäglichen Schaden zugefügt“ und das Vertrauen in die Kirche aufs Schwerste erschüttert, heißt es in einem offenen Brief von hauptamtlichen Pastoral- und Gemeindereferenten an Kardinal Rainer Woelki. „Wir machen in unserer täglichen Arbeit wie auch in unseren Familien und Freundeskreisen die schmerzhafte Erfahrung, dass die Kirche – auch die Kirche von Köln – ihre Glaubwürdigkeit und ihre Autorität verloren hat.“
Die Seelsorger, die ihre Ausbildung in den Jahren von 1985 bis 1988 absolvierten und damit seit mehr als 30 Jahren im kirchlichen Dienst stehen, beschreiben in ihrem Brief ein Hadern vieler Menschen jeden Alters mit der Kirche. Die Kirche werde als „verlogen, als lebensfremd, als rückwärtsorientiert“ wahrgenommen. „Diese Menschen erleben eine Kirche, die ihnen nicht dient, die keine ernstzunehmende Orientierung mehr gibt, die nur noch um sich selber kreist.“ Der Brief, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, spricht zudem von der Enttäuschung nicht weniger Christen, aber auch von Seelsorgern über den „Rückschritt“ ihrer Kirche in den vergangenen Jahrzehnten, betont demgegenüber aber auch die Bereitschaft zum Einsatz für die Kirche und die Menschen.
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Die Seelsorger klagen darüber, dass die Bistumsleitung ihre Qualifikationen und Fähigkeiten nicht nutze oder nicht nutzen wolle. Konkret sprechen sie in ihrem Brief die Kompetenz in Leitungsfunktionen, in der Verkündigung und in der Begleitung von „Menschen in schwierigen Situationen“ an. Sie schlagen dem Erzbischof deshalb unter anderem vor, die Möglichkeiten der Sakramentenspendung auf die hauptamtlichen Laien auszuweiten und diese mit Leitungsaufgaben in den Gemeinden zu betrauen.
Bischöfe missachten gesellschaftliche Veränderungen
Deutliche Kritik üben die Seelsorger an mangelnder Beweglichkeit der Bischöfe. Diese täten sich schwer damit, „die gesellschaftlichen Veränderungen in unserer Zeit zu respektieren und positiv damit umzugehen“. Ausdrücklich genannt werden hier unter anderem die Rolle der Frau, neue Formen von Familie und die sexuelle Orientierung der Menschen. Entsprechend lautet eine Forderung des Briefes, die „Lebensformen der Menschen“ – damit sind nicht-eheliche Partnerschaften und homosexuelle Beziehungen gemeint – anzuerkennen, „statt Menschen auszuschließen“. Außerdem fordert der offene Brief die Kölner Kirchenleitung zu neuen Anstrengungen in der Ökumene auf. Es gehe darum, sich neu dem Dialog mit den anderen christlichen Kirchen zu öffnen, „um die Spaltung zu überwinden“.
Der Brief wird derzeit nach Angaben der Kölner Gemeindereferentin Marianne Arndt, die als Sprecherin der Verfasser auftritt, unter allen nicht-geweihten hauptamtlichen Seelsorgern im Erzbistum verteilt. Von den insgesamt 300 Männern und Frauen erhoffen sich die Initiatoren weitere Unterstützung.
Lesen Sie hier den gesamten Brief
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Sehr geehrter Herr Kardinal,
wir, die Unterzeichner*innen, wenden uns mit diesem offenen Brief an Sie, weil wir die Kirche, in der wir als Gemeinde- und Pastoralreferent*innen teilweise seit mehr als dreißig Jahren mitarbeiten, lieben. Die Kirche ist unsere Heimat, sie bietet uns die Möglichkeit, mit ganzer Kraft und großer Freude die Frohe Botschaft den Menschen zu verkünden.
Die älteren unter uns haben ihren Dienst in einer Zeit begonnen, als die Früchte des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Würzburger Synode in den Gemeinden und Verbänden zu wirken begannen. Voller Begeisterung und mit großem Einsatz haben sie die Aufbrüche in der Liturgie, in der Ökumene, in der Mitverantwortung in der Pastoral mitgetragen und weiterentwickelt.
Vor nunmehr vier Jahren haben Sie, Herr Kardinal, die geistliche Erneuerung der Pastoral in unserem Erzbistum ausgerufen. Sie haben die Getauften und Gefirmten ebenso wie die hauptberuflichen pastoralen Dienste aufgerufen, den Pastoralen Zukunftsweg zu gehen. Hier erlauben wir uns einige kritische Gedanken. Unser Ziel ist es, mit Ihnen und allen Verantwortlichen die Kirche von Köln weiterzuentwickeln.
Manchmal ist es so, dass Menschen, die viele Jahre in ihrer Firma tätig sind, im Laufe der Zeit die Identifikation mit dieser verlieren und sich in die innere Immigration zurückziehen. Sie denken dann: Die letzten Jahre sitze ich noch ab, halte ich noch durch. Ähnliches entdecken wir auch in unseren Wirkungsfeldern (Gemeinde, Kategorie). Nicht wenige Christen, aber auch Kolleg*innen, sind enttäuscht von dem Rückschritt, den ihrer Meinung nach die Kirche in den letzten zwanzig, fünfundzwanzig Jahren genommen hat.Das ist nicht unser Standpunkt!
Wir erleben in den letzten Jahrzehnten einerseits den Wandel von der Volkskirche (eine Kirche, ein Pfarrer, eine Pfarrfamilie) über die Gemeindekirche (Pfarrei als eine Gemeinschaft von Gemeinschaften, viele ehrenamtliche Mitarbeiter) hin zu einer Konzentration mehrerer ehemals selbständigen Pfarreien zu Seelsorgebereichen und Sendungsräumen (viele Kirchorte, ein Pfarrer, mehrere pastorale Dienste, viele ehrenamtliche Mitarbeiter, viele Milieus, Verlust des Gemeindebewusstseins).
Darüber hinaus erleben wir, wie schwer sich die Bischöfe damit tun, die gesellschaftlichen Veränderungen in unserer Zeit (Rolle der Frau, sexuelle Orientierung und Lebensformen, neue Formen von Familie, Tendenz zu weiterer Professionalisierung auch in kirchlichen Berufen, Individualisierung und Zwang zur Mobilität) zu respektieren und positiv damit umzugehen.
Der sexuelle Missbrauch, der auch in unserer Kirche vielen Menschen unsäglichen Schaden zugefügt hat, hat das Vertrauen in die Kirche aufs Schwerste erschüttert. Wir machen in unserer täglichen Arbeit wie auch in unseren Familien und Freundeskreisen die schmerzhafte Erfahrung, dass die Kirche – auch die Kirche von Köln – ihre Glaubwürdigkeit und ihre Autorität verloren hat.
Viele Menschen, junge und ältere, hadern mit der Kirche, erleben sie als verlogen, als lebensfremd, als rückwärtsorientiert. Diese Menschen erleben eine Kirche, die ihnen nicht dient, die keine ernstzunehmende Orientierung mehr gibt, die nur noch um sich selber kreist.
Wir selber machen zunehmend die Erfahrung, dass die Kirche von Köln unsere Erfahrungen und Kompetenzen, unsere Fähigkeiten und Qualifikationen nicht nutzt oder nutzen will. Unsere Kompetenz in Leitungsfunktionen, unsere Fähigkeiten in der Verkündigung und in der Begleitung von Menschen in schwierigen Situationen werden nicht genutzt. Auch in der Spendung von Sakramenten und Sakramentalien könnten um der Menschen willen neue Wege gegangen werden.Wir bitten Sie dringend, Herr Kardinal, diese Ressourcen in der Weiterentwicklung der Kirche von Köln auf dem Pastoralen Zukunftsweg zu nutzen. Wir bitten Sie, die Gaben des Heiligen Geistes, der auch uns erfüllt, und die Charismen ihrer pastoralen Mitarbeiter*innen zu berücksichtigen und sie zum Wohle der Menschen und zum Aufbau lebendiger Zellen in unseren Gemeinden und kategorialen Arbeitsfeldern einzusetzen.
Für uns könnte das bedeuten,- dass die Mitarbeiter*innen, die bereit dazu sind und über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, Leitungsfunktionen in Gemeinden und in der kategorialen Seelsorge wahrnehmen,- dass die Kirche von Köln sich frei und unvoreingenommen mit den Lebensformen der Menschen auseinandersetzt und diese anerkennt, anstatt Menschen auszuschließen,- dass die Kirche von Köln mit den anderen deutschen Bistümern sich neu dem Dialog mit den anderen christlichen Kirchen öffnet, um die Spaltung zu überwinden, zumindest aber dahin arbeitet, dass die Christen in Deutschland, in unserer Gesellschaft mit einer Stimme sprechen.
Sehr geehrter Herr Kardinal, wir möchten, dass die Kirche auch in den kommenden Generationen Menschen Heimat, Sicherheit und Geborgenheit bietet. Viele Menschen, denen wir begegnen, sagen uns, dass ihnen die Frohe Botschaft Jesu wichtig sei, dass sie christliche Werte in ihrem Leben und in unserer Gesellschaft für unverzichtbar halten, dass ihnen die Kirche aber fremd geworden, nicht mehr Heimat sei.
Wir möchten mit all unserer Kraft, mit unserer Begeisterung und mit unserer Erfahrung dazu beitragen, dass die Kirche weiterhin oder wieder mehr den Menschen Lebensorientierung, Lebenshilfe und Lebensraum bietet.Wir sind bereit, mit Ihnen den Weg in die Zukunft unserer Kirche zu gehen.
Mit herzlichen Grüßen
für den GR und PR des Pastoralkurses 1985/88
Robert Eiteneuer Marianne Arndt
Weitere persönliche Unterzeichern*innen sind
Mechthild Grewelding,Claudia MetzeAngelika SilvaSusanne KörberElke ChladekUlrich FinkKarl Heinz Jedlitzke
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