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Kölle on CamcorderBunte Dokumentation der 1990er Jahre in Köln feiert Kinopremiere

Lesezeit 4 Minuten

„Kölle on Camcorder“ heißt die neue Dokumentation von Hermann Rheindorf, und ist eine 150 Minuten lange filmische Reise durch das Köln der 1990er Jahre. Kinopremiere ist am 29. November in der Volksbühne am Rudolfplatz.

Eine Stadt im Wandel, in der der Rückzug der Industrie auch die Chance bietet zum Neuanfang: Auf dem Gelände eines Güterbahnhofs entsteht der Mediapark, in Deutz werden die Arena und das technische Rathaus gebaut.

Eine Stadt der Gegensätze: auf die Großkundgebung der AG Arsch huh gegen Rassismus und Neonazis trifft keine sechs Monate später die Trauerfeier für die Toten des Brandanschlags von Solingen.

Ein Ford Fiesta, von Künstler HA Schult golden lackiert und mit Flügeln versehen, wird mit einer Trennscheibe bearbeitet.

Das Flügelauto von HA Schult ist ein Kind der 1990er Jahre und in der Dokumentation „Kölle on Camcorder“ von Hermann Rheindorf zu sehen.

Eine Kulturstadt, in der die Wurzeln der deutschen Hip-Hop-Szene liegen (Rheindorf verarbeitet 40 Stunden Rohmaterial von Thomas Reinert und Freunden) und die Kunstpiraten ihr kreatives Unwesen treiben. In der bei der EMI die letzten Vinylplatten gepresst werden und fast gleichzeitig die Popkomm zur erfolgreichen Musikmesse aufsteigt.

Der Christopher Street Day samt Parade wird zum Symbol einer toleranten Stadt. Und rund um den Flughafen gibt es die ersten Umweltaktivisten, die Bäume retten wollen und gegen Fluglärm auf die Straße gehen.

Aber die Millionenstadt ist auch in den 1990ern eine Hochburg von Veedelskultur und Traditionen. Zu spüren in Aufnahmen aus Brauhäusern, der Bickendorfer Veedelskneipe Rondellchen, aus der Widdersdorfer Kornbrennerei oder vom Nabel des kölschen Schülertheaters in Esch.

Wilma Overbeck hatte dort über Jahre als Grundschullehrerin und Chorleiterin Musicals mit ihren Schülern produziert und im Bild festgehalten. Sie lieferte auch eine andere Rarität: Der erste öffentliche Auftritt der Höhner mit der FC-Hymne „Mir stonn ze dir“ fand 1998 in Esch statt. An einem Freitag, den 13. - später am Abend verlor der FC sein Spiel, drei Monate später stieg er ab.

Rheindorf geht in seinem Film nach bewährtem Muster vor: in akribischer Kleinarbeit sammelt er, teilweise mit jahrelangem Vorlauf, kurze und längere Filmsequenzen. Die stammen teils aus öffentlich zugänglichen Archiven, er fragt bei Firmen oder Veranstaltern an, legt aber auch großen Wert auf Amateurmaterial. Über 50 Archive und Sammler haben sich an diesem Projekt mit Originalaufnahmen beteiligt.

So sind wichtige Elemente seiner neuesten Sammlung über Antonio Skorniewski, selber Amateurfilmer und Vorsitzender des Club Kölner Filmer, zur Verfügung gestellt worden. „Unseren Verein gibt es seit 1927“, erzählt Skorniewski, der selbst seit 1980 dabei ist. Die seltenen Luftaufnahmen bilden den Rahmen der Compilation, die oft nicht chronologisch, sondern geografisch sortiert ist.

„Kölle on Camcorder“ zeigt erste Aufzeichnung der Stunksitzung

Gedreht hat sie das mittlerweile verstorbene Vereinsmitglied Gerd Steinenbach, der mit seiner Frau Karoline zudem einige humorige Sketche beigetragen hat: Die nur je eine Minute langen Filmstückchen sind bei Amateurfilmern sehr beliebt und vergleichbar den One-Pagern bei gezeichneten Comics.

Auch das unabhängige Kaos-Videoteam um Peter Kleinert, dessen Nachlass im Archiv der Arbeiterfotografie gesichert wird, ist vertreten. Einer der Beiträge, die damals im einstündigen, wöchentlichen Fenster von Kanal 4 auf der RTL-Frequenz ausgestrahlt wurden (vergleichbar dem Bürgerfunk auf Radio Köln), ist die erste im Fernsehen gezeigte Aufzeichnung der Stunksitzung, damals noch aus dem Unikum.

Wilma Overbeck, Antonio Skorniewski,  Aateurfilmer und Vorsitzender des Club Kölner Filmer, Thomas Reinert und Hermann Rheindorf (von links) sitzen im Kinosaal der Kölner Volksbühne am Rudolfplatz.

Wilma Overbeck, Antonio Skorniewski, Thomas Reinert und Hermann Rheindorf (von links) sitzen im Kinosaal der Kölner Volksbühne am Rudolfplatz und freuen sich auf die Premiere am 29. November.

„Wir sind nicht Deutsch, wir sind Kölsch!“ proklamierte Jürgen Becker als Sitzungspräsident „Irokesen-Heinz“, bevor das Ensemble als Zeichen gegen den kurz nach dem Mauerfall wachsenden Nationalismus mal eben die Kölner Brücken abreißt. Dem WDR waren die Stunker damals noch zu progressiv und politisch.

Seit nunmehr 25 Jahren arbeitet Hermann Rheindorf (57) zur Filmgeschichte Kölns und des Rheinlands, hat dazu mehr als 30 abendfüllende Dokumentationen veröffentlicht. Für seine Verdienste um die Regionalgeschichte wurde der Journalist 2019 mit dem Rheinlandtaler des LVR ausgezeichnet.

Kinopremiere von Kölle on Camcorder am 29. November

Mit der neuen Doku komplettiert Rheindorf seine „Filmreise“-Reihe, die in 16 Teilen durch die gut ersten 100 Jahre Kölner Filmgeschichte führt. Von den ersten Aufnahmen im Mai 1896 bis zum Millenniums-Feuerwerk in der Silvesternacht 1999/2000. Diese beeindruckende Filmchronik gibt es nun auch als komplette Sammlung in einer nostalgisch gestalteten Sammelbox.

Kölle on Camcorder, Kinopremiere in der Volksbühne am Rudolfplatz, 29. November, 19 Uhr. Tickets kosten 9 Euro. Der Film erscheint als DVD und VoD (Streaming und Download).