18 Menschen mit Suchtproblematik stehen nach dem Aus für eine Kölner Notschlafstelle vor dem Nichts. Ein Bewohner erzählt.
„Es geht um Leben und Tod“Kölner Notschlafstelle für Drogensüchtige schließt – Folgen für Bewohner sind dramatisch
Kurz vor Weihnachten, erinnert sich Christian Semerao im Gemeinschaftsraum der Notschlafstelle für Drogensüchtige in Nippes, „war ich fast tot“. Nach einer beidseitigen Lungenembolie hatten sich Thrombosen entwickelt, im Klösterchen musste er notoperiert werden. Ein Sozialarbeiter der Oase vermittelte ihm einen Platz beim „Wohntraining“ in der Cranachstraße, wie es auf einem schlichten Klingelschild am Hauseingang heißt.
Kölner Wohnungsloser erzählt aus seinem Leben
„Auf der Straße wäre ich nach der Operation gestorben, die Notschlafstelle hat mich gerettet“, sagt Semerao und gibt ohne Selbstmitleid einen Schnellabriss seines Lebens: „Mein Vater war Alkoholiker, meine Mutter habe ich nie kennengelernt. Ich habe in Pflegefamilien gelebt, die Schule abgebrochen, bin mit 18 und 19 zweimal Vater geworden, habe früh viel gekifft und bin irgendwann heroinsüchtig geworden“, sagt er. Dass er seit einigen Jahren Krebs habe, der inzwischen auf die Lunge übergegriffen habe: „Tja, wohl auch selber schuld bei meinem Lebenswandel.“
Die Jahrzehnte zwischen Anfang 20 und heute habe er zwischen Straße, Notunterkünften, auch mal einer eigenen Wohnung, Gefängnis und wieder auf der Straße verbracht, sagt der 52-Jährige, der mit Methadon substituiert wird. Seit er verschiedene schwere Erkrankungen habe, „ist es nicht mehr möglich für mich, auf der Straße zu leben“. Die Notschlafstelle in Nippes ist seit kurz vor Weihnachten sein Zuhause.
Kölner Konzept gegen Wohnungslosigkeit ist weitreichend –keine Alternative für Notschlafstelle
Am 30. April muss er wie die anderen sieben Bewohner ausziehen, auch die zwei Notschlafzimmer für zusätzlich zehn Personen fallen dann weg – der Eigentümer hat der Drogenhilfe Köln gekündigt. Wo die Bewohner, allesamt substituierte Heroinsüchtige, in der Folge leben werden, ist bis heute unklar. „Die Situation ist dramatisch“, sagt Markus Wirtz, Geschäftsführer der Drogenhilfe Köln. „Unsere Mitarbeiter sind gerade mit vollem Einsatz darum bemüht, Ersatzunterkünfte zu finden. Stand jetzt würden sonst einige unserer Bewohner auf der Straße landen. Mit existenziellen Folgen.“
Dabei habe es im Laufe des vergangenen Jahres Gespräche mit der Stadt gegeben, die „uns zwischenzeitlich das Gefühl gaben, es könnte mit einer Alternative klappen“, sagt Wirtz. „Wir haben auch eine eigene Immobilie angeboten und mit der Stadt darüber gesprochen. Diese Gespräche aber waren leider bislang nicht erfolgreich.“
Die Stadt Köln teilt mit, dass die Drogenhilfe die Verwaltung um Unterstützung bei der Suche nach einer Immobilie gebeten habe. „Diese Suche blieb bislang erfolglos.“ Das klingt auch vor dem Hintergrund des 68-seitigen städtischen Konzepts zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, das kurzfristig von der Tagesordnung der jüngsten Stadtratsitzung genommen wurde, nicht eben inspiriert.
Markus Wirtz erklärt, dass die Stadt bei einer neuen Immobilie der Drogenhilfe hätte zustimmen müssen, da eine neue Leistungsvereinbarung obligatorisch sei. „Wir dürfen nicht einfach ohne Einverständnis der Stadt ein neues Angebot eröffnen und dies dann einfach in Rechnung stellen.“ Die von der Drogenhilfe angebotene Immobilie hätte umgenutzt werden müssen, da aktuell Menschen nach erfolgreicher Therapie dort wohnten. „Da es für diese wesentlich einfacher ist, Ersatzwohnraum zu finden als für konsumierende Klienten, haben wir der Stadt dieses Angebot gemacht. Ein hohes Risiko und viel Aufwand, zu dem wir aber bereit gewesen wären.“
In dem Konzeptpapier der Stadt ist von weitreichenden Maßnahmen die Rede, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen und die Obdachlosigkeit in Köln bis zum Jahr 2030 zu beenden. Das aktuelle Beispiel konterkariert die ambitionierten Plänen. „Wahrscheinlicher ist sowieso, dass sich die Obdachlosigkeit bis 2030 verdoppelt oder verdreifacht“, glaubt Christian Semerao.
Nicht nur für ihn hätte es existenzielle Folgen, wenn er nach dem Auszug aus der Einrichtung in Nippes keine neue Bleibe fände. „Wenn ich zurück auf die Straße müsste, würde ich das nicht überleben“, sagt er. Sein Lungenkrebs erfordert dringend eine Chemotherapie. „Die kann ich aber erst beginnen, wenn ich weiß, wo ich bleiben kann.“ Ohne Rückzugsmöglichkeit, sagt Einrichtungsleiter Andreas Sevenich, „sind viele Therapien unserer Bewohner nicht möglich“. Christian Semerao gehöre „zu den fittesten Menschen, die bei uns leben“.