Tödliche GlukoseDarum wird der Kölner Apothekerin versuchter Mord vorgeworfen
- Ein Jahr nach dem Tod einer jungen Frau und ihres per Notkaiserschnitts zur Welt gebrachten Babys durch verunreinigte Glukose ist Anklage gegen eine Apothekerin aus Köln erhoben worden.
Köln – Fast ein Jahr, nachdem eine schwangere Kölnerin (28) und ihr per Notkaiserschnitt geborenes Kind offenbar an den Folgen verunreinigter Glukose (Traubenzucker) aus der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich gestorben sind (hier lesen Sie mehr), hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen eine 50 Jahre alte Apothekerin erhoben. Die Frau steht im Verdacht, ähnlich aussehende Behältnisse vertauscht und versehentlich Lidocainhydrochlorid der Glukose beigemischt zu haben. Lidocain ist ein Betäubungsmittel, das in hohen Dosen tödlich wirken kann.
Der verstorbenen Frau sowie einer weiteren Schwangeren soll diese Mischung unabsichtlich als reine Glukose verkauft worden sein. Am 17. September, zwei Tage vor dem Tod der 28-Jährigen im Krankenhaus, hatte die zweite Schwangere bei ihrem Gynäkologen die Einnahme der Substanz wegen des bitteren Geschmacks abgebrochen. Auch sie erlitt eine Vergiftung, überlebte aber. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Was wirft die Staatsanwaltschaft der 50-jährigen Apothekerin konkret vor?
Sie wirft ihr zwei juristisch voneinander unabhängige Taten vor: Erst soll die 50-Jährige „unbewusst durch eine sorgfaltswidrige Verwechselung“ die harmlose Glukose mit Lidocain verunreinigt haben – dies wertet die Anklagebehörde als fahrlässige Tötung in zwei Fällen und fahrlässige Körperverletzung in einem weiteren Fall.
Der zweite Vorwurf lautet versuchter Mord durch Unterlassen. Am Mittag des 19. September, während die 28-Jährige und ihr Säugling im Krankenhaus gegen den Tod kämpften, habe die Apothekerin entsprechende Hinweise von Mitarbeitern der gynäkologischen Praxis und einer Ärztin aus dem Krankenhaus erhalten.
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die Angeklagte daraufhin und „nach Kontrolle der eigenen Bestände und nach einer Besprechung mit ihren Mitarbeitern“ hätte wissen müssen, dass bei der Mutter und ihrem Säugling eine Lidocainvergiftung als Ursache in Betracht kommen könnte. Doch diese Information soll sie für sich behalten haben – möglicherweise, um Schaden von sich und der Apotheke fernzuhalten. Durch dieses Verhalten, so die Staatsanwaltschaft, habe die Apothekerin „billigend in Kauf genommen“, dass Mutter und Kind versterben könnten.
Warum „versuchter Mord“, wenn die schwangere Frau und ihr Säugling doch tatsächlich verstorben sind?
Die Ermittler sind zwar überzeugt, dass eine rechtzeitige Mitteilung der Angeklagten an das Krankenhaus die Rettungschancen der späteren Todesopfer hätten erhöhen können – dass eine solche Meldung allerdings mit „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ das Leben der beiden gerettet hätte, davon ist auch die Staatsanwaltschaft nicht überzeugt – daher nur „versuchter“ Mord. Die Apothekerin, so die Staatsanwaltschaft, habe den Hinweis an das Krankenhaus verschwiegen, um ihren vorherigen Fehler beim Mischen zu verdecken.
Welche Strafe droht der Apothekerin?
Theoretisch sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe, da versuchter Mord genauso hart bestraft werden kann wie ein vollendeter Mord. Gängige Praxis ist es aber, den Strafrahmen beim Versuch abzumildern, sodass eine zeitlich begrenzte Haftstrafe in Betracht kommt. Die fahrlässige Tötung hingegen wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder Geldstrafe bestraft. Zunächst gilt natürlich die Unschuldsvermutung.
Was sagt die angeklagte Apothekerin selbst zu den Vorwürfen?
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft entbehre jeder Grundlage, teilt Rechtsanwalt Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. „Die Vorwürfe sind falsch und werden entschieden zurückgewiesen“, so Douglas. Es sei befremdlich, dass sich die Staatsanwaltschaft an entscheidenden Stellen ihrer Argumentation auf Spekulationen stütze, „statt auf eine gründliche und vorurteilsfreie Auswertung der Akten.“
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Es sei laut Ermittlungsakten auch nicht geklärt, wie die Verunreinigung mit dem Betäubungsmittel entstanden sei und damit auch nicht, wer dafür verantwortlich sei. Die Mandantin habe von Anfang an die Ermittlungen unterstützt und nichts verheimlicht, vielmehr habe sie das betroffene Glukosegefäß sofort zur Untersuchung herausgegeben.
Es sei „vollkommen abwegig“, dass die Apothekerin den Tod der Opfer billigend in Kauf genommen hätte. Es gebe laut Kanzlei wohl keinen erfahrenen Heilberufler, zu denen auch die Mandantin zähle, der eine Verwechslung verschweigen würde. Er würde vielmehr alles unternehmen, die Einnahme eines falschen Medikaments seitens des Kunden zu verhindern.
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Die Beteiligung der Apothekerin am Geschehenen fasst Anwalt Douglas so zusammen: „Sie hat 50 Gramm Glukose aus einem Vorratsbehältnis abgefüllt. Eine Pflichtverletzung, gleich welcher Art, lag bei der Abfüllung nicht vor.“ Der Sachverhalt sei tragisch, könne aber nicht zu einer Verurteilung führen. Die Verteidigung zeige sich zuversichtlich, „dass sich die Unschuld unserer Mandantin im weiteren Verfahren erweisen wird.“
Anfangs hat die Staatsanwaltschaft noch gegen eine zweite Beschuldigte ermittelt. Wie ist da der Ermittlungsstand?
Auch die zweite Beschuldigte arbeitet oder arbeitete zum Zeitpunkt des Geschehens in der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich und soll grundsätzlich an der Verarbeitung von Arzneistoffen beteiligt gewesen sein. In diesem konkreten Fall jedoch ist der Frau kein Verschulden nachweisbar. Das anfängliche Ermittlungsverfahren gegen sie wegen fahrlässiger Tötung wurde mangels Tatverdachts eingestellt.
Wie geht es jetzt weiter?
Zuständig für das Verfahren ist die 11. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts als Schwurgerichtskammer unter Vorsitz der erfahrenen Richterin Sabine Kretzschmar. Diese muss entscheiden, ob die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft mit dieser rechtlichen Würdigung zur Hauptverhandlung zugelassen und somit das Hauptverfahren gegen die Apothekerin eröffnet wird.
„Diese Entscheidung kann einige Zeit in Anspruch nehmen“, sagt Gerichtssprecher Prof. Jan Orth auf Anfrage. Im sogenannten Zwischenverfahren hat die Angeschuldigte auch Gelegenheit zur Stellungnahme.