Heilig-Geist-ApothekeAnklage nach Todesfällen wegen verunreinigter Glukose in Köln
- Ein Jahr nach dem Tod einer jungen Frau und ihres per Notkaiserschnitts zur Welt gebrachten Babys durch verunreinigte Glukose ist Anklage gegen eine Apothekerin aus Köln erhoben worden.
- Die Staatsanwaltschaft wirft der 50-Jährigen fahrlässige Tötung und versuchten Mord, wie das Landgericht Köln am Dienstag mitteilte.
- Die Apothekerin streitet über ihren Verteidiger alle Vorwürfe ab.
Köln – Nach dem Skandal um die Abgabe verunreinigter Glukoseabfüllungen, die zur Herstellung von Glukosetoleranztests bei Schwangeren verwendet werden, hat die Staatsanwaltschaft Köln Anklage erhoben. Einer Apothekerin (50) der Heilig-Geist-Apotheke im Kölner Stadtteil Longerich wird fahrlässige Körperverletzung, versuchter Mord und Körperverletzung vorgeworfen.
Sorgfaltswidrige Verwechslung von Gefäßen
Im ersten Fall gehen die Ermittler davon aus, dass die Apothekerin unbewusst durch eine sorgfaltswidrige Verwechselung von Standgefäßen Glukose-Monohydrat mit dem Betäubungsmittel Lidocainhydrochlorid verunreinigte, das später als Glukoseabfüllung in der Apotheke an Kundinnen ausgegeben wurde.
„Während eine Kundin den bitteren Geschmack der mit der verunreinigten Glukose hergestellten Lösung erkannte und deswegen am 17.09.2019 in der Praxis ihres Gynäkologen nur einen Schluck der Lösung trank, trank die andere Geschädigte am 19.09.2019 gegen 9:30 Uhr in der Praxis des gleichen Gynäkologen die Lösung ganz aus“, teilt das Landgericht Köln mit.
In der Folge wurde die Frau bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert und musste ab 10 Uhr mangels Puls reanimiert werden. Gleichzeitig wurde im Wege eines Notkaiserschnitts ihr Kind zur Welt gebracht, das zu diesem Zeitpunkt bereits unter Atemstillstand und hypoxischen Gehirnschaden litt und reanimiert werden musste.
Köln: Mutter und Baby sterben nach der Vergiftung
Das Kind verstarb nach dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft am nächsten Tag an seiner Frühgeburtlichkeit oder an einer Lidocainvergiftung, die Mutter verstarb noch am Nachmittag des gleichen Tages an einer Lidocainvergiftung. Die andere Geschädigte, die nur ein Schluck der Lösung zu sich genommen hatte, erholte sich nach einer stationären Aufnahme rasch von der Lidocainvergiftung und konnte das Krankenhaus am nächsten Tag verlassen.
Neben fahrlässiger Tötung nimmt die Staatsanwaltschaft im Fall der Verstorbenen neben fahrlässiger Tötung auch versuchten Mord an. Demnach habe die Apothekerin nach einer Rückmeldung aus der gynäkologischen Praxis und einer Ärztin aus dem Krankenhaus spätestens um die Mittagszeit des 19. September 2019 wissen müssen, dass bei den später Verstorbenen eine Lidocainvergiftung als Ursache für den schlechten Gesundheitszustand in Betracht kommt.
Verdeckungsabsicht als Mordmerkmal
Gleichwohl habe die Apothekerin eine entsprechende Mitteilung an das behandelnde Krankenhaus unterlassen, wodurch eine gezielte Behandlung verhindert worden sein soll. Dies hätte zur Überzeugung der Staatsanwaltschaft deren Rettungschancen erhöhen können. Die Angeschuldigte habe deswegen „billigend in Kauf genommen“, dass die Verstorbenen auch aufgrund ihrer unterlassenen Mitteilung (früher) versterben könnten.
Das könnte Sie auch interessieren:
Darum nimmt die Staatsanwaltschaft „nur“ versuchten Mord anWarum nur versuchter Mord? „Dass eine solche Mitteilung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Rettung der Verstorbenen geführt hätte, davon geht auch die Staatsanwaltschaft nicht aus. Weil dieser Umstand nicht feststeht, hat sie Anklage wegen versuchten Mordes erhoben, obwohl die beiden Verstorbenen tatsächlich nicht überlebt haben“, erklärt Prof. Dr. Jan F. Orth, Sprecher des Kölner Landgerichts.
Gericht entscheidet, ob Hauptverfahren eröffnet wird
Als Mordmerkmal sieht die Staatsanwaltschaft die „Verdeckungsabsicht“ gegeben, weil die Angeschuldigte nach dieser Würdigung zur Verdeckung der im Raum stehenden Fahrlässigkeitsdelikte gehandelt haben soll. „Dies ist im Ermittlungsverfahren durch die Verteidigung der Angeschuldigten dezidiert bestritten worden“, so Orth.
Das Landgericht weist darauf hin, dass in rechtlicher Hinsicht das versuchte Tötungsdelikt das schwerere Delikt darstellt, hier kommt theoretisch eine lebenslange Haft in Betracht. Die Staatsanwaltschaft habe aber bewusst gleichzeitig auch Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. Orth: „Sie hält dies allerdings aus Klarstellungsgründen für erforderlich, weil sich auch aus der rechtlichen Würdigung ergeben müsse, dass tatsächlich Menschen zu Tode gekommen sind.“
Ob diese Anklageschrift zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird, entscheidet das Gericht. Die Prüfung dürfte einige Wochen in Anspruch nehmen.
So äußert sich die Verteidigung der Apothekerin zu den Vorwürfen
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft entbehre jeder Grundlage, teilt Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen mit. „Die Vorwürfe sind falsch und werden entschieden zurückgewiesen“, so Douglas und es sei befremdlich, dass sich die Staatsanwaltschaft an entscheidenden Stellen ihrer Argumentation auf Spekulationen stütze, „statt auf eine gründliche und vorurteilsfreie Auswertung der Akten.“
Es sei laut Akten nicht geklärt, wie die Verunreinigung mit dem Betäubungsmittel entstanden sei und damit auch nicht, wer dafür verantwortlich ist. Die Mandantin habe von Anfang an die Ermittlungen unterstützt und nichts verheimlicht, vielmehr habe sie das betroffene Glukosegefäß sofort zur Untersuchung herausgegeben.
Anwalt: Vorwurf des versuchten Mordes sei abwegig
Es sei abwegig, dass die Apothekerin den Tod der Kunden billigend in Kauf genommen hätte. Es gebe laut Kanzlei wohl keinen erfahrenen Heilberufler, zu der auch die Mandantin zähle, der eine Verwechslung verschweigen würde. Er würde vielmehr alles unternehmen, die Einnahme eines falschen Medikaments seitens des Kunden zu verhindern.
Die Beteiligung der Apothekerin am Geschehenen fasst Anwalt Douglas so zusammen: „Sie hat 50 Gramm Glukose aus einem Vorratsbehältnis abgefüllt. Eine Pflichtverletzung, gleich welcher Art, lag bei der Abfüllung nicht vor.“ Der Sachverhalt sei tragisch, könne aber nicht zu einer Verurteilung führen. Die Verteidigung zeige sich zuversichtlich, „dass sich die Unschuld unsere Mandantin im weiteren Verfahren erweisen wird.“