AboAbonnieren

Mit Norbert Oberhaus durchs VeedelAls Ehrenfeld noch eine „No-Go-Area“ war

Lesezeit 7 Minuten
Oberhaus 1

Im alten 4711-Haus hat Oberhaus mit seinem c/o Pop-Team von 2009 bis 2012 gearbeitet - zusammen mit mehr als 200 anderen Kreativen.

Köln-Ehrenfeld – Ehrenfeld als Schauplatz von Schlägereien und Schießereien? Für die vielen Studenten, die den Stadtteil heute bevölkern, eine absurde Vorstellung. Als Norbert Oberhaus vor 25 Jahren sein erstes Büro in Ehrenfeld bezog, war das anders: Da war „No-Go-Area“ zwischen Venloer und Subbelrather Straße.

„Tagsüber war es dort okay, aber nachts nicht“, erinnert sich Oberhaus an seine Anfangszeit im Veedel, das er so gern hat, dass er ihm bis heute die Treue hält. Beruflich jedenfalls.

Oberhaus 2

Oberhaus ging schon ins "Kebapland", bevor Jan Böhmermann mit seinem öffentlichen Lob einen Hype auslöste. Rechts: Erol Günes

Damals in der Wißmannstraße 30, wo Oberhaus seine ersten Schritte als Freiberufler machte und für den Stadtgarten erst die Pressearbeit, dann das Party-Programm machte. Heute in der Heliosstraße 6a, wo er als Geschäftsführer des Musikfestivals c/o Pop mit rund 20 Mitarbeitern sitzt. In einer Woche beginnt die 14. Auflage des Festivals.

Hätte dem blonden, trotz seiner 56 Jahre jungenhaft aussehenden Oberhaus vor 14 Jahren jemand prophezeit, dass sein Festival so lange durchhalten würde, hätte er vermutlich schallend gelacht.

Zumal er diesen 17-tägigen Musikmarathon 2003, die allererste c/o Pop, damals vor allem aus Trotz organisierte.Aus Ärger darüber, dass der Stern Kölns als Musikhauptstadt der Republik so jäh gesunken war. Denn alle wollten damals nach Berlin : der Musiksender Viva, die Musik-Zeitschrift Spex – und das Musikfestival Popkomm. Nur Norbert Oberhaus, der wollte nicht nach Berlin. „In Köln habe ich meine Familie, meine Freunde und mein Netzwerk.“

Oberhaus 3

Im Ergin-Kiosk auf der Venloer Straße kauft Oberhaus gerne ein - er mag den Verkäufer Cosan Senol.

Zeit für eine „patriotische Initiative“: „Wir wollten was für Köln tun und haben alle, die nicht bei drei auf dem Baum waren, verhaftet mitzumachen“, erzählt Oberhaus vor seinem Büro, von dem wir unseren Rundgang durch Ehrenfeld starten – und erst einmal zum Underground schlendern, das im September dicht gemacht wird.

Hinter dem Gürtel fing das Ausland an

„Wo wir jetzt stehen, war Ende der 80er Jahre Ausland“, erzählt Oberhaus vor dem Club in der Vogelsanger Straße. Alles, was hinter dem Gürtel gewesen sei, „da ist man nicht hingegangen“.

Als BWL-Student ging Oberhaus hier dann aber doch hin – zu seinen ersten Konzerten. Er bedauert sehr, dass der Club schließen muss.

Dass auf dem Heliosgelände eine Schule entstehen soll, Wohnungen und Büros, findet er in Ordnung. „Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass die Kölner Politiker die Investoren nicht dazu verpflichten, Orte für Kultur in die neuen Quartiere mit einzuplanen.“

Underground

Die Schließung des Clubs Underground in der Vogelsanger Straße steht bevor.

Wir laufen zurück durch die Heliosstraße, biegen nach rechts ab. „Das ist DER türkische Grill auf der Venloer Straße“, sagt Oberhaus und zeigt auf das rote Ladenlokal, das „Kebapland“, wo junge Männer an Tischen vor der Tür sitzen. „Seit Jan Böhmermann vor zwei Jahren gesagt hat, dass er hier essen geht, mischen sich die Hipster mit den Türken. Vorher waren es vor allem Türken.“ Er selbst sei schon vor der Böhmermann-Ära im Kebapland essen gegangen, weil: „günstig und lecker“.

Zehn Gehminuten entfernt liegt der Hinterhof in der Wißmannstraße 30, wo Oberhaus in seinen Ehrenfelder Anfängen Tür an Tür mit dem Jazzclub Loft arbeitete – und dort nach Feierabend gerne bei Konzerten vorbeischaute. „Das alte Ding steht da immer noch“, sagt er lachend und zeigt auf den gelben Sinalco-Sonnenschirm auf einem der Balkone.

Über den Nachbarn gegenüber freute sich der FC-Fan Oberhaus damals auch. Ex-FC-Spieler Heinz Simmet betreibt hier eine Malerwerkstatt.

„Mit dem habe ich oft über Fußball geredet“, erinnert sich Oberhaus und erklärt bedauernd, dass er nur zu gerne eine Dauerkarte hätte, „wenn es denn noch welche gäbe“.

Fußball galt früher als uncool

Als Mittzwanziger war ihm die Liebe zum FC noch peinlich – in seinen Musikkreisen galt Fußball als uncool, auch wenn Oberhaus im Stadion stets Bekannte traf, die ihre Leidenschaft offiziell ebenfalls verheimlichten.

Die früher so aktive Geschmackspolizei hat im Jahr 2017 aber nur noch wenig zu melden: Die Musikstile paaren sich hemmungslos, auch die Grenzen zwischen E- und U-Musik sind längst verwischt. Oberhaus veranstaltet seit Jahren Pop-Konzerte in der Philharmonie und in Museen. Der Weg dahin war – mühsam.

„Im Museum für Angewandte Kunst hatten sie zunächst Sorge, dass das Wummern der Bässe bei einem Konzert die wertvollen Vasen zerspringen lässt.“

Auf dem Weg zum 4711-Haus, wo das c/o Pop-Team von 2009 bis 2012 ebenfalls besondere Nachbarn hatte – mehr als 200 Mitarbeiter der Kölner Kreativszene – läuft Oberhaus durch die Körnerstraße. Zum Café Sehnsucht möchte er, das aber die Rollläden unten hat. Dienstag halt. „Früher war das hier das einzige Café weit und breit“, sagt er über die „Institution“ an der Körnerstraße 67.

Viele Meetings habe er hier gehabt – und unendlich viel Kaffee. Guten Kaffee weiß der Geschäftsführer zu schätzen, der Sitzungsmarathons mit Kollegen oder Geschäftspartnern gewohnt ist, wo es längst nicht immer die edelste Brühe gibt.

Die gibt es allerdings im Café Van Dyk, einen Steinwurf vom Café Sehnsucht entfernt. Oberhaus mag nicht nur die Kaffeerösterei, ihm gefällt besonders die kuriose Konstellation von hippem Café direkt neben der Traditionskneipe „Em Höttche“.

„Wenn ich hier früher morgens um halb neun aus Sülz zur Arbeit gefahren bin, hatte die Kneipe immer noch offen. Man fuhr an den Gästen mit ihren Bier- und Schnapsgläsern vorbei und dachte: Okay. Das Café machte dann gerade erst auf.“

Kontraste prallen in Ehrenfeld aufeinander

In Ehrenfeld knallen die Kontraste seit jeher aufeinander. Auch auf dem Platz vor dem 4711-Haus: Die knallrote Currywust-Bude auf dem Platz harmoniert farblich nur sehr bedingt mit dem Türkis-Gelb der Kölner Traditionsmarke. „Hier mitten auf dem Kiez zu sein, das war schon toll“, sagt Oberhaus.

In den Jahren, in denen die Kreativen das Hochhaus besetzten, seien einige Restaurants und Cafés in der Gegend hinzugekommen. „Wir waren ja 250 Leute, die irgendwo essen wollten.“Er ging meist nur über die Straße, ins Haus Scholzen. „Mittags zum Kaffeetrinken, abends für Bier und Frikadellen. Man kann da echt gut essen“, sagt Oberhaus und schwärmt vom Schweinesenfbraten und der schönen Theke.

Oberhaus4

Das 1982 eröffnete Café Sehnsucht in der Körnerstraße war lange "das einzige Café weit und breit".

Er bedauert, dass es immer weniger Eckkneipen und Traditionshäuser gibt. Immerhin sei das mit der Gentrifizierung in Ehrenfeld in deutlich langsamer gegangen als in anderen Veedeln. Das liege auch daran, dass viele türkischstämmige Kölner zur Zeit des U-Bahn-Baus Häuser an der Venloer Straße kauften, „als dort niemand sonst wohnen wollte“.Dadurch sei die soziale Durchmischung bis heute erhalten geblieben.Im kommenden Jahr wird sein Festival 15 Jahre alt.

Das Jubiläum soll besonders werden, schon jetzt arbeitet Oberhaus am perfekten Programm. Sein perfekter Festivalmoment in den vergangenen 13 Jahren? Oberhaus muss keine zehn Sekunden überlegen: „Das Whitest-Boy-Alive-Konzert 2009 auf dem Offenbachplatz. Das Wetter war toll, die Sonne ging unter, alle haben gestrahlt. Das war Gänsehaut pur, dafür mache ich das.“

Sein sehnlichster Wunsch an die Stadt ist darum, „dass das Theater am Offenbachplatz endlich vorbei ist“ – die Dauerbaustelle. Dann könne er mit seinem Festival wieder in die Stadtmitte ziehen, „da wo es hingehört und da, wo es 2008 und 2009 auch war“. Die Konzerte im Schauspielhaus und in Oper seien fantastisch gewesen, „die Mischung war ein Traum“. Auch der Platz sei perfekt gewesen – „so ein kleinerer Open-Air-Platz fehlt ja in Köln.“

Köln braucht eine Vision

Und etwas anderes vermisst er für die Stadt: eine Vision. „Die Kölschtümelei und Selbstbesoffenheit geht mir genauso auf den Geist wie die Selbstgenügsamkeit und dieses Ausruhen auf alten Zeiten.“ Die andere Seite der kölschen Mentalität liebt er dafür umso mehr. „Dieses »drink doch eine met«, das gibt es ja wirklich, das ist keine Folklore“, sagt er.

Seitdem Oberhaus mit 20 von Lindlar zum Zivildienst bei der Arbeiterwohlfahrt nach Köln zog und anfing, im Stadtgarten zu kellnern, trinkt der Wahlpatriot gerne einen mit. Am liebsten Kölsch natürlich.