Volker Ruster leitete 2009 die ersten Maßnahmen nach dem Einsturz des Stadtarchivs. Schon jetzt vermisst er im Ruhestand vor allem eines.
„Stand vor gigantischem Trümmerberg“Ehemaliger Kölner Feuerwehreinsatzleiter über den Einsatz seines Lebens
Der 3. März 2009 ist ein Dienstag. Am Vormittag steigt eine schwarze Rauchsäule über Köln-Mülheim auf – Großbrand in der Gilden-Brauerei an der Bergisch Gladbacher Straße. Verletzt wird niemand, aber der Einsatz ist kompliziert, nicht ungefährlich für die Einsatzkräfte. Die Löscharbeiten dauern eine Weile. Dadurch verschiebt sich der geplante Beginn der routinemäßigen Führungskräfte-Besprechung in der Hauptwache in Weidenpesch auf die Mittagsstunden.
Auch Volker Ruster sitzt in der Runde. Er ist an diesem Tag OVA, Oberbeamter vom Alarmdienst. Im Ernstfall rückt er als erster Einsatzleiter aus. Aber um 13.58 Uhr ist die Besprechung für ihn schon wieder vorzeitig beendet, sein Piepser vibriert: Gebäudeeinsturz in der Severinstraße, Historisches Stadtarchiv. „Das lief sofort als Großalarm“, erinnert sich Ruster heute im Gespräch mit dem „Kölner-Stadt-Anzeiger“. Für den promovierten Chemiker und Vizechef der Kölner Berufsfeuerwehr, der in diesen Tagen nach 28 Dienstjahren in Köln in den Ruhestand getreten ist, wird es der Einsatz seines Lebens.
Herr Ruster, was ist Ihnen an jenem 3. März 2009 auf der Anfahrt zum Stadtarchiv durch den Kopf gegangen?
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Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen. Von Seminaren kannte ich einige Leute aus dem Stadtarchiv. Der Gedanke daran, dass einer von ihnen unter den Trümmern liegen könnte, den wir vielleicht gleich befreien müssen, hat mich betroffen gemacht. Es war ja dann zum Glück nicht so, aber zwei Anwohner sind bei dem Einsturz ums Leben gekommen.
Was dachten Sie, als Sie in der Severinstraße ankamen?
Ich stand mit meinem Fahrer vor diesem gigantischen Trümmerberg. Es war beeindruckend: ein zwei Geschoss hoher Trümmerberg ineinander gefaltet, ein abgerissenes blaues Drainage-Rohr vom U-Bahn-Bau, daraus dampfte und tropfte es. Und Totenstille. Staub legte sich nieder, und ich dachte: „Das gibt’s doch gar nicht. Was machst du denn jetzt?“ Das dauerte vielleicht 20 oder 30 Sekunden. Dann lief die Maschine im Kopf an, der sogenannte Führungskreislauf, tausendmal geübt, damit kann man jeden Einsatz abarbeiten. Erstens: die Lage erkunden. Tritt Gas aus? Brennt es? Sieht oder hört man Menschen? Zweitens: Wo sind die Gefahren? Drittens: Wie kann ich die Gefahr bekämpfen? Und dann ging es los.
Welcher Einsatz ist Ihnen sonst noch besonders in Erinnerung geblieben?
Bis vor ein paar Jahren habe ich mir zu jedem Einsatz eine kurze Notiz gemacht, Pi mal Daumen waren das knapp 2000 Einsätze in 28 Jahren. Ich erinnere mich an den Brand nachts in einer Altbau-Wohnung an der Eichstraße in Nippes im Jahr 2000. Ein französischer Austauschschüler kam dabei ums Leben. Die Straßen waren zugeparkt, unsere Fahrzeuge steckten fest, und es trafen nur nach und nach Einsatzkräfte ein. Das war der einzige Einsatz mit Menschenrettung, bei dem ich wirklich maximalen Stress hatte.
Es gab aber auch kuriose Einsätze: Im Zoo war ein Panda aus einem Käfig ausgebüxt, auf einen Baum geklettert und wollte nicht mehr runter. Pandas sind sehr wasserscheu, deshalb bespritzten Zoomitarbeiter das Tier mit einem Gartenschlauch. Das reichte aber nicht. Also kamen wir mit einem C-Rohr zur Hilfe, 200 Liter Wasser pro Minute. Aber der Panda war nicht doof, der ist rechts und links ausgewichen. Erst als wir aus einem B-Rohr 800 Liter pro Minute von oben auf ihn herabregnen ließen, kam er runter.
Sie sind promovierter Chemiker. Wieso hat es Sie 1993 als Referendar zur Feuerwehr verschlagen?
Weil ich keinen anderen Job gefunden habe. Nach meiner Promotion war der Stellenmarkt für Chemiker sehr angespannt. 400 Bewerbungen auf eine Stelle. Da habe ich über den Tellerrand geguckt und mich gefragt: Was kannst du machen? Meine Mutter hatte dann die Idee mit der Feuerwehr, und ich habe das nie bereut. Gerade in einer Stadt wie Köln mit diesem großen Chemiegürtel war mein Fachwissen auch immer wieder gefragt. Ab 2009 durfte ich in Köln die Analytische Task Force ATF mit aufbauen…
…eine Spezialeinheit, die biologische, chemische und radiologische Gefahren bekämpft…
… ja, ich habe das mit einem Kollegen zusammen aufgebaut. Wir hatten immer viele Freiheiten, konnten sehr kreativ sein. Das war eine tolle Zeit.
Was ist aktuell die größte Herausforderung für die Berufsfeuerwehr Köln?
Der Personalmangel und die hohe Fluktuation. Heute wechseln Kollegen schnell zu einer anderen Feuerwehr, wenn es besser in ihr Privatleben passt. Generell hat sich die Einstellung zum Beruf geändert. Die jungen Leute sind flexibler geworden und haben höhere Ansprüche an die eigene Work-Life-Balance.
Seit fast zwei Wochen sind Sie jetzt im Ruhestand. Was vermissen Sie am meisten?
Den engen Kontakt zu meinen Kolleginnen und Kollegen. Und natürlich auch ein bisschen das Einsatzgeschehen. Ich wohne 700 Meter von der Wache in der Scheibenstraße entfernt. Wenn ein Löschzug an mir vorbeifährt, dann würde ich schon gerne wissen: Wo fahren die gerade hin?
Auch im Ruhestand bleiben Sie der Freiwilligen Feuerwehr mit der Analytischen Task Force noch erhalten, als sogenannter Standortleiter. Können Sie schwer loslassen?
Ich habe immer gerne gearbeitet und hätte deshalb kein Problem damit, in der Analytischen Task Force noch zwei, drei Jahre weiter zu machen. Aber ich muss auch sehen, wie die Akzeptanz ist. Ich bin jetzt 63 Jahre und damit bei der Feuerwehr schon drei Jahre über Verfallsdatum. Die Leitung der ATF muss in jüngere Hände übergeben werden. Wenn der Erste aufspringt und sagt: Was will denn der alte Mann noch hier? Dann bin ich weg, damit habe ich überhaupt kein Problem.