Köln – Das Gelände mit den langgestreckten Backsteingebäuden war für den jungen Boris Becker ein großes Geheimnis. Täglich ging er daran vorbei, denn seine Schule lag in direkter Nachbarschaft. Doch einfach hineinzuspazieren, wäre für ihn unmöglich gewesen, denn nur den Soldaten war der Zutritt gestattet.
Kaserne Moorslede in Köln-Dellbrück: Nur in den 90ern kurz zugänglich
Die Kaserne Moorslede an der Bergisch Gladbacher Straße in Dellbrück ist für viele Anwohner noch immer ein Mysterium. Ihre Ausmaße sind beträchtlich, doch nur in den 1990er Jahren war das militärische Areal zwischen Bergisch Gladbacher Straße und Eisenbahntrasse für kurze Zeit zugänglich. Die belgischen Truppen waren gerade abgezogen, das Zollkriminalamt noch nicht eingezogen.
Boris Becker, mittlerweile Fotokünstler, nutzte das Zeitfenster, um seinen Kindheitstraum zu erfüllen. Im Herbst 1992 durfte er mit offizieller Genehmigung die Kaserne mehrere Wochen lang fotografieren. Für ihn war es die „Entdeckung der eigenen Vergangenheit“ und die Begegnung mit „unversehrter Architektur des Dritten Reichs“.
Errichtet wurde die Kaserne von 1936 bis 1939 für Flakeinheiten der Luftwaffe. Im Mittelpunkt steht ein U-förmiges Mannschaftsgebäude für bis zu 3000 Soldaten, das einen weitläufigen Appellplatz umrahmt. Drum herum gesellen sich Gebäude, die damals für die Kommandantur, als Wagenhallen oder als Wohnungen für Unteroffiziere genutzt wurden. Mit der zeittypischen Heimatschutzarchitektur wollten die Nazis regionale Bautraditionen hervorheben.
Dummerweise passte der aufwendige Backsteinstil mit den Tuffstein-Einfassungen gar nicht nach Köln, wie Architekturhistoriker Alexander Kierdorf bemerkt: „Offensichtlich hat man gedacht, hier ist Niederrhein, hier wird mit Backstein gebaut.“
Für Fotograf Boris Becker ist Kaserne besonderes Denkmal
Für den 56-Jährigen ist die Kaserne Moorslede trotzdem ein Denkmal von besonderem Rang. Aus der Zeit der nationalsozialistischen Wiederaufrüstung sei sie die einzige ihrer Art in Köln, die noch weitgehend unverändert existiere. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die damalige „Hermann-Göring-Kaserne“ nur leicht beschädigt, danach zogen die Besatzungsmächte ein. Sie errichteten zwar zusätzliche Gebäude, sahen ansonsten aber keinen Grund für besondere Eingriffe in die ursprüngliche Bausubstanz.
Deutsche hätten sie womöglich aus ideologischen Gründen abgerissen, sagt Alexander Kierdorf. Die Besatzer seien pragmatischer vorgegangen. Zunächst nutzten die Briten das Areal als Zwischenlager für Zwangsarbeiter, danach übergaben sie es an das 6. Pionier-Bataillon der belgischen Streitkräfte. Namensgeberin wurde Moorslede, eine Gemeinde in Belgien. Den Dellbrückern blieb der Zutritt verwehrt. Dass zeitweilig eine amerikanische Einheit zur Bewachung eines Atomwaffendepots im Königsforst stationiert wurde, machte die Anlage für sie noch geheimnisvoller.
Boris Becker beeindruckte das Gelände, als er es im Herbst 1992 erkundete: „Man hatte nie das Gefühl einer bedrohlichen Militärarchitektur.“ Eher habe er den Eindruck gehabt, sich in einer Parkanlage zu befinden. Auch durch die langen, verwaisten Korridore durfte er streifen, doch vor allem das Äußere der verlassenen Gebäude faszinierte ihn. Hier und da stieß er auf flandrische und französische Hinweisschilder, die die belgischen Soldaten hinterlassen hatten. Der ehemalige Appellplatz zum Beispiel hieß „Place Dellbrück“.
„Die Belgier hatten eine sehr enge Bindung an Dellbrück“, sagt Jürgen Drees, Vorsitzender des Fördervereins Kaserne Moorslede. Ohnehin waren sie in Köln äußerst präsent. In der ehemaligen Etzel-Kaserne in Junkersdorf bezogen sie 1949 ihr Hauptquartier, das belgische Generalkonsulat befand sich im Belgischen Haus an der Cäcilienstraße, der Butzweilerhof in Ossendorf wurde belgischer Militärflugplatz. Viele Militärangehörige heirateten in Köln und wohnten in eigenen Siedlungen.
Boris Becker wuchs in der Nähe der Dellbrücker Kaserne auf
Boris Becker, der nahe der Dellbrücker Kaserne aufwuchs, erinnert sich auch an einen belgischen Supermarkt, ein Schwimmbad und ein belgisches Kino. Die Dellbrücker seien freundschaftlich mit den Besatzern und späteren Nato-Partnern Deutschlands umgegangen. Unter den Kindern herrschte jedoch Rivalität. „Es gab oft einen auf die Nase“, sagt der 60-Jährige: „Wir haben es empfunden, als wären sie noch Besatzer.“
Die Kaserne blieb für ihn als Kind tabu, der Truppenübungsplatz jenseits der Eisenbahngleise jedoch war weniger streng bewacht. Wo sich heute ein Naturschutzgebiet befindet, standen früher Lagerhallen, Munitionsschuppen, Sportplätze und Panzer. Boris Becker und seinen Freunden gelang es leicht, unter dem Stacheldrahtzaun hindurch zu schlüpfen. Ab und zu hätten die Belgier dort riesige Löcher mit Räumpanzern geöffnet, um Müll zu verbrennen und wieder zuzuschütten: „Wir standen an den Mulden und haben noch Sachen hinterhergeworfen.“
Zug im Schrebergarten
Die Soldaten seien meistens sehr locker gewesen. In den 1960er Jahren sei jedoch einer von ihnen beim Überqueren der Eisenbahngleise in seinem Lkw von einem Zug erfasst und getötet worden: „Der Zug entgleiste und fuhr durch einen Schrebergarten, zum Glück war da keiner“, sagt Boris Becker.
Reichlich heruntergewirtschaftet sei die Kaserne nach dem Abzug der belgischen Truppen gewesen, sagt Jürgen Drees. Als Mitte der 1990er Jahre die ersten Abteilungen des Zollkriminalamts einzogen, wurden die Gebäude nach und nach saniert. Der Förderverein kümmert sich mittlerweile um die Geschichte der Kaserne. „Fotos und andere Dokumente, auch von Belgiern, werden gerne entgegengenommen“, sagt Andreas Krückeberg vom Förderverein. Führungen sind pandemiebedingt nicht möglich. Die Kaserne zeigt sich verschlossener denn je.