Proteste in KölnFür neue Schulbauten müssen über 200 Bäume weichen
Köln – Es ist ein Konflikt um Flächen, aber auch um Prioritäten, der in der Stadt die Emotionen hoch kochen lässt. Es geht um die Frage, was wichtiger ist: Die Bildung von Kindern oder Ökologie und Klimaschutz? Bäume erhalten und Räume schaffen – beides geht in der Stadt nicht immer zusammen. In Köln herrscht Schulnotstand: Mit einer großen Kraftanstrengung forciert die Stadt Schulbau und Schulsanierungen. 54 neue Schulen werden in den nächsten zehn Jahren gebraucht. Außerdem sind etliche Schulen marode und müssen generalsaniert werden, was bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler übergangsweise in Containern oder Modulbauten untergebracht werden müssen, die auch irgendwo errichtet werden müssen.
100 Bäume sollten in Köln-Nippes weichen
Das Problem ist, dass für all diese Gebäude auf dem Stadtgebiet hunderte Bäume weichen müssen. Allein 100 Bäume sollten es in Nippes im Toni-Steingass-Park sein, wo ein Modul-Interim errichtet wird, in dem die Schüler der Edith-Stein-Realschule und des Barbara-von-Sell-Berufskollegs während der Sanierung untergebracht werden. Aber in Köln herrscht eben auch Klimanotstand. Jeder Baum wird im Kampf gegen die Aufheizung des innerstädtischen Klimas dringend gebraucht. Und so regte sich in der Bürgerschaft ein Sturm der Entrüstung, als klar wurde, was im Toni-Steingass-Park ansteht.
Ein Problem, das nicht nur in Nippes auftrat: Auch am Venloer Wall, wo eine Interimsschule errichtet werden soll und am Grüngürtel Bäume fallen sollten, gibt es Proteste, ebenso wie im Montessori-Gymnasium Bickendorf, wo die Pläne für einen Modulbau 40 gefällte Bäume vorsehen. In der Stadtverwaltung befürchtet man, dass das nur der Anfang ist: 22 Großprojekte an elf Standorten umfasst das erste so genannte Schulbaupaket. Danach folgen in einem zweiten Paket noch mal 49 Bauprojekte an 20 Standorten im zweiten Maßnahmenpaket. Also jede Menge potenzieller Konfliktstoff.
„Aggressive Stimmung"
Bezirksbürgermeister Andreas Hupke (Grüne) sagte dazu in einer Sitzung der Bezirksvertretung Innenstadt. „Früher hat man sich für einen Baum angekettet, heute sind die Leute bereit, das für einen Ast zu tun.“ Die Leiterin der städtischen Gebäudewirtschaft, Petra Rinnenburger, beklagt, dass die Stimmung immer aggressiver wird. Inzwischen gebe es unverhohlene Drohungen: „Wenn der Baum stirbt, stirbst du auch“, müssten sich Kollegen sagen lassen. Oder: „Ich infiziere dich mit HIV.“ Ihre Kollegen bekämen inzwischen nicht nur anonyme Telefonnummern, sondern auch Gewaltpräventionsseminare und psychologische Betreuung, um dem standzuhalten. „Ich habe Verständnis für den Protest. Aber es dürfen keine Kollegen bedroht werden, wenn sie eine Schule bauen und damit die Zukunft der Kinder sichern.“
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Rinnenburger steht mit der Landschaftspflegerin Ingrid Rietmann auf der Schulbaustelle an der Siegburger Straße in Poll. Dort entstehen gerade die Neubauten der Grundschule Siegburger Straße und die Förderschule „Auf dem Sandberg“. 75 Bäume mussten dafür weichen. Die beiden finden es wichtig, darüber aufzuklären, dass auf Schulbaustellen nicht einfach so Bäume gefällt werden. „Das erste Ziel ist, dass jeder Baum, der zu retten ist, nicht gefällt wird“, erläutert Rietmann. Und was nicht zu retten sei, werde ausgeglichen. Rietmann, die auch die „Päpstin des ökologischen Schulbaus“ genannt wird, berät die Stadt als Expertin für Freiraum- und Landschaftsplanung seit vielen Jahren bei Bauprojekten. Rietmann bilanziert akribisch den Schaden, der durch den Eingriff in die Natur entsteht.
„Dieser Schaden muss nach einer ganz genauen Bewertung ausgeglichen werden.“ Es werde genau deklariert, wie die Ausgleichsfläche wieder aufgewertet werden muss – etwa durch Baumpflanzungen, Streuobstwiesenflächen oder Magerrasen. Am Gelände an der Siegburger Straße werden nach der Fertigstellung 58 Bäume neu gepflanzt, 17 Ersatzpflanzungen werden im Stadtgebiet vorgenommen. Sowohl die Grünflächen der Schulen als auch die Ausgleichsflächen müssten „30 Jahre zielorientiert entwickelt werden und dann ökologisch hochwertiger sein als die ursprüngliche Fläche.“ Aber das ökologische Konzept reiche noch weiter: Die Schulfassaden würden begrünt, bepflanzte Dächer sollen Standard sein: mit Totholzhaufen als nahrungsreiches Habitat für Fledermäuse, Insekten und Vögel. All das soll in Köln Standard werden.
Begrünung von Fassaden und Dächern
Die städtische Gebäudewirtschaft will deutlich machen, dass hier nicht einfach etwas zerstört, sondern auch ersetzt wird. Man wirbt um so etwas wie Verständnis für das unlösbare Dilemma: „Das Grundproblem ist die enorme Flächenkonkurrenz in der Stadt“, sagt Rinnenburger. Natürlich könnte man auch bestehende leerstehende Bürogebäude umnutzen, so wie jetzt das Unity Media Gebäude an der Aachener Straße, das ab dem Sommer ein Gymnasium im Aufbau beherbergen soll. „Das ist ein guter Weg, der oft an baurechtlichen Vorgaben scheitert.“ Etwa daran, dass die Fluchttreppenhäuser nicht groß genug oder die Klassenräume nicht hoch genug seien. Das gehe nur mit Ausnahmegenehmigungen. „Wenn man diese Möglichkeiten öfter nutzen möchte, müsste das gesetzlich an anderer Stelle gelöst werden“, erläutert die Chefin der Gebäudewirtschaft.Und so bleibe eben nur der Eingriff in die Fläche.
Im Streit um die Bäume ist die Stadt bemüht, die Wogen zu glätten. „Konsensuale Lösungen“ suche man, sagt Rinnenburger. So wurde jetzt nach den Protesten nochmal umgeplant: In Nippes sollen nun 34 Bäume erhalten oder umgepflanzt werden. Auch am Venloer Wall wird nochmal nachjustiert, um den Eingriff geringer zu halten. Bei den Protestierenden drängt sich angesichts des teilweisen Einlenkens der Eindruck auf, dass Klimafragen bei der Planung vielleicht eben doch nicht weit genug oben standen. Während die Stadt betont, dass es die Kinder sind, die den Preis für das Entgegenkommen zahlen: „Es gibt dadurch jetzt weniger Sport- und Bewegungsflächen für die Kinder“, sagt Rinnenburger. Am Venloer Wall wird zusätzlich auf einen Teil der gesetzlich geforderten PKW-Stellplätze verzichtet.
Für die Stadt sind solche Änderungen zweierlei: teuer und zeitintensiv. Allein die Umplanung am Venloer Wall und die Änderung des Bauantrags kosten nach Angaben von Rinnenburger voraussichtlich eine Million Euro. Vor allem aber verzögerten die Unruhen den Bau der so dringend nötigen Gebäude. Allein am Venloer Wall sind es sechs Schulen, deren Schüler dringend auf eine Sanierung warten. Sie sollten nacheinander in das Modul-Interim einziehen. „Es ist ein riesiger Spagat, die Leute einzubeziehen und gleichzeitig sicherzustellen, dass es nicht wie bei der Bildungslandschaft Köln-Nord 20 Jahre dauert.“ Trotzdem hat man bei der Stadt aus den Protesten gelernt und will nun das Verfahren ändern: Für das zweite große Schulbaupaket solle der Punkt Nachhaltigkeit vorgezogen werden, um nicht am Ende wieder höheren Aufwand, höhere Kosten und Zeitverzögerungen zu riskieren, sagt Rinnenburger. Außerdem sei eine Idee, von vorneherein in die Ausschreibung aufzunehmen, was nach Möglichkeit erhalten bleiben solle.