Mehr Tests verkauftHat der Corona-Lockdown in Köln einen Babyboom ausgelöst?
- Während für Familien der Corona-Lockdown mit Homeschooling und Homeoffice oft zur Zerreißprobe wurde, konnten viele kinderlose Paare ihre Zeit genießen.
- Werden nach der Entschleunigung im März und April Ende des Jahres deutlich mehr Kinder geboren werden? „Ich habe doppelt so viele Schwangerschaftstests verkauft“, sagt Apotheker Dirk Vongehr aus der Südstadt.
- Auch eine Frauenärztin aus Lindenthal kann diesen Trend in ihrer Praxis bestätigen. Die Meinungen gehen jedoch auseinander. Wir haben nachgehört und auch mit einer Paartherapeutin gesprochen.
Köln – Der Corona-Lockdown im März und April hat die Terminkalender der Menschen weitestgehend gelichtet. Während für viele Familien die Wochen mit Homeschooling und Homeoffice zur Zerreißprobe wurden, konnten kinderlose Paare ihre Zweisamkeit genießen. Momentan werden bereits Vermutungen laut, wonach es infolge des Lockdowns zu einem regelrechten Babyboom kommen werde.
Ob im November und Dezember tatsächlich ungewöhnlich viele Kinder geboren werden, ist aber derzeit schwer vorauszusagen. Laut einer Umfrage des WDR in Frauenarzt-Praxen könnte es aktuell sogar bis zu ein Drittel mehr Neuschwangerschaften geben – eine valide Statistik liegt allerdings nicht vor. Wir haben uns umgehört.
Das sagen Frauenärzte in Köln
„Zumindest für unsere Praxis kann ich dieses Gerücht bestätigen. Statt üblicherweise drei bis vier Schwangerschaftsfeststellungen pro Woche waren es ab Mai bis Juni im Schnitt sieben bis zehn. Auch von benachbarten Praxen habe ich Ähnliches gehört. Die Schwangerschaftsabbrüche halten sich dabei in Grenzen“, sagt Frauenärztin Gerda Enderer-Steinfort, die ihre Praxis an der Dürener Straße hat. Britta Albrecht, Frauenärztin in Deutz, ist hingegen skeptisch. „Wir verzeichnen erst jetzt einen Anstieg. Das betrifft aber eher Frauen, die für Februar und März 2021 ausgerechnet sind. Ich vermute, dass diesen März viele noch in Schockstarre waren, während der Mai für Kinderplanung eher entspannt war“, so Albrecht. Außerdem seien Schwankungen von Zeit zu Zeit völlig normal; wenn gerade jetzt mehr Neuschwangerschaften verzeichnet werden, könne das auch Zufall sein.
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Auch Bernd Bankamp, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Frauenärzte Nordrhein, geht nicht von einem kommenden Babyboom aus. „Ich für meine Praxis in Krefeld kann das nicht sagen und andere, mit denen ich gesprochen habe, auch nicht. Ich glaube nicht daran“. Und die Annahme, während des Lockdowns sei die Pille nicht durchgehend verfügbar gewesen, sei falsch. „Frauen konnten das Rezept telefonisch anfordern“, so der Mediziner. Kinderwunschkliniken hätten zudem wochenlang ihre Aktivitäten eingestellt. „Die Leute hatten zwar mehr Zeit, aber es war auch mehr Unsicherheit da. Schwangerschaften nach One-Night-Stands sind weggefallen. Keine Partys, keine Restaurants, da waren Treffen schwierig“. Gewissheit gebe es frühestens Mitte Oktober, wenn nach der Quartalsabrechnung entsprechende Zahlen bei der Kassenärztlichen Vereinigung vorliegen. Oder eben, wenn die Geburtenstatistik für das Jahr 2020 steht.
Kölner Hebamme hat mehr Anfragen als sonst
Das Hebammennetzwerk Köln kann auf Anfrage keine Aussage dazu treffen, ob im Augenblick mehr Frauen als sonst eine Hebamme suchen. Alyssa Kolitsch, die Frauen in Lindenthal und im kinderreichen Sülz betreut, berichtet aber von einer gestiegenen Anzahl an Anfragen. „Ich bin bereits bis März nächsten Jahres ausgebucht. Ich muss täglich zwei bis drei Frauen absagen“, so die Hebamme. Sie erlebe immer häufiger, dass Frauen sich montags bei ihr meldeten, weil sie am Wochenende zuvor einen positiven Test hatten. Für gewöhnlich warteten Schwangere mit der Hebammensuche bis circa zur zehnten Woche.
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„Mir tut es leid, dass die Frauen direkt Stress haben, alles zu organisieren und keine Zeit haben, sich einfach nur zu freuen“. Kolitsch befürchtet, dass ein Babyboom die ohnehin existierende Hebammenknappheit verschärfen könnte und viele Frauen leer ausgehen werden. „Paare könnten dann auf die Wochenbett-Ambulanz zurückgreifen. Aber es ist etwas anderes, wenn man sich zu Hause trifft und Vertrauen in eine Person hat. Das Stillen wird massiv darunter leiden. Und dann werden sicher bei Kleinigkeiten, die das Baby betreffen, auch Kinderärzte mehr frequentiert werden.“
Kölner Apotheker: „Doppelt so viele Tests verkauft“
Ein anderer Indikator, an der man Neuschwangerschaften messen könnte, ist die Anzahl verkaufter Schwangerschaftstest. Über die Ladentheke von Apotheker Dirk Vongehr seien zuletzt deutlich mehr Tests gegangen. „Es waren circa doppelt so viele wie im selben Zeitraum vergangenes Jahr. Seit dem Ende des Lockdowns merken wir außerdem, dass der Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln, die zu Beginn einer Schwangerschaft eingenommen werden, auch erheblich zugenommen hat“. Vongehrs Apotheke befindet sich in der Südstadt. „Hier gehört der Kinderwagen zum Alltag. Das war nicht immer so. Ich bin seit 20 Jahren hier: Gerade in den letzten Jahren hat ein Generationenwechsel stattgefunden“.
Corona-Krise als Kinderwunsch-Beschleuniger
Welche psychologischen Faktoren könnten dazu führen, dass der Lockdown einen möglichen Kinderwunsch von Paaren verstärkt hat? Marina Gardini, Diplom-Psychologin und Paartherapeutin aus Köln, beobachtet zur Zeit gegensätzliche Tendenzen. „Es gibt Paare, bei denen die sogenannte Corona-Krise ein Beschleuniger für latente Wünsche ist, die sowieso schon da waren: etwa die Familienplanung oder der Hauskauf. Viele konnten nicht reisen und dachten sich: Dann können wir das doch jetzt schon umsetzen“, so Gardini. Die andere Seite der Medaille sei, dass es auch zu mehr Trennungen und Brüchen komme, „da man bei einigen Paaren und Familien merkt, dass sie sonst nur deshalb funktionieren, weil sie keine Zeit miteinander verbringen“. Der Familienplanung komme zugute, dass sich durch die Erfahrung des Homeoffice Paare besser vorstellen könnten, den Elternjob zu teilen. Was bisher bei aller Emanzipation nicht möglich gewesen sei, sei nun denkbar. „Homeoffice ist die Zukunft“, so Gardini.
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Wenn die Geburtenzahlen also Ende des Jahres tatsächlich in die Höhe schnellen sollten, kommt es dann zu einem Versorgungsengpass? „Selbst wenn es 20 Prozent mehr Geburten gäbe, glaube ich nicht, dass es in Praxen und Krankenhäuser zu einem Engpass kommt. Für uns wäre die Versorgung kein Problem, zumal wir feststellen konnten, dass Corona keine erhöhte Gefahr für Schwangere darstellt“, sagt Frauenarzt Bernd Bankamp.