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Wahl am SonntagKölner Integrationsrat will Potenzial von Migranten besser einbinden

Lesezeit 5 Minuten

Die Kandidatinnen Anna Klimaszewska-Golan und Antonietta Abbroscato (von links) mit dem Vorsitzenden des Integrationsrats Tayfun Keltek.

  1. Zeitgleich mit der Kommunalwahl wird am 13. September der Integrationsrat gewählt.
  2. Die Potenziale der Menschen mit nichtdeutscher Herkunft deutlich zu machen und besser auszuschöpfen ist für Taifun Keltek, Vorsitzender des Integrationsrats, zur Lebensaufgabe geworden.
  3. Gemeinsam mit Anna Klimaszewska-Golan und Toni Abbroscato, die erstmals für den Integrationsrat kandidieren, will Keltek die Sachen, die beim Thema Integration schief laufen, ansprechen.

Köln – Vier von zehn Kölnern haben eine Zuwanderungsgeschichte – allein 93.500 Menschen haben einen türkischen Hintergrund, 42.500 einen polnischen, die Wurzeln von 28.000 Menschen liegen in Italien. Vertreten werden sie auf kommunaler Ebene durch den Integrationsrat der Stadt Köln – ein Gremium, das sich für Chancengerechtigkeit einsetzt, das viele Menschen allerdings gar nicht kennen.

Zeitgleich mit der Kommunalwahl wird am 13. September der Integrationsrat gewählt. Bei den Wahlen vor fünf Jahren haben nur 15 Prozent oder 34.000 der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. „Auch den Parteien ist leider zu wenig bewusst, welche Wählerpotenziale sie verschenken“, sagt Taifun Keltek, Vorsitzender des Integrationsrats.

Gemeinsam mit Anna Klimaszewska-Golan und Toni Abbroscato, die erstmals für den Integrationsrat kandidieren, sitzt Keltek in einem Besprechungsraum des kommunalen Integrationszentrums in der Kleinen Sandkaul – und kommt schnell darauf zu sprechen, was schief läuft in Sachen Integration.

Hintergründe zum Integrationsrat

Der Integrationsrat ist die politische Interessenvertretung aller Migrantinnen und Migranten in Köln. Das Gremium besteht aus 22 direkt von Kölnern mit Zuwanderungsgeschichte gewählten Personen, elf Mitgliedern, die der Rat entsendet sowie Institutionen, Verbänden und Initiativen mit beratender Stimme. Vorsitzender des Integrationsrats ist Taifun Keltek (SPD), der 1970 aus dem türkischen Ankara nach Köln zog, der auch den Integrationsrat NRW leitet.

Toni Abbruscato (48) ist Geschäftsführerin von Zebra-Kita, einem Verein mit zwei deutsch-italienischen Kitas in Köln. Sie kam Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland – und setzt sich für Zweisprachigkeit ein. Anna Klimaszewska-Golan (46) kam mit 27 aus dem polnischen Posen nach Köln und leitet zwei Rechtsberatungen. Seit 2019 koordiniert sie den Info-Point Polregio Köln, der polnischen Migranten kostenlose Hilfe in verschiedenen Lebensbereichen bietet. (uk)

„In Chorweiler haben 80 Prozent der Menschen eine internationale Geschichte, die Wahlbeteiligung betrug bei der Kommunalwahl aber nur 23 Prozent“, sagt Keltek. „Wenn es der Politik gelänge, diese Wählerpotenziale besser auszuschöpfen, könnte auch der Einfluss rechtspopulistischer Parteien reduziert werden.“

Potenziale besser nutzen

Die Potenziale der Menschen mit nichtdeutscher Herkunft deutlich zu machen und besser auszuschöpfen, ist für Keltek, der auch Vorsitzender des Landesintegrationsrats ist, zur Lebensaufgabe geworden. Aufsehen erregte im vergangenen Jahr sein Vorstoß, Englisch als Fremdsprache an Grundschulen abzuschaffen und durch in NRW viel gesprochene Sprachen wie Türkisch, Polnisch, Russisch, Arabisch oder Italienisch für Kinder mit entsprechendem Hintergrund zu ersetzen.

„Wenn Kinder in der Sprache ihrer Eltern akzeptiert werden, steigt ihr Selbstbewusstsein, und wenn sie darin gefördert werden, schaffen sie nachweislich bessere Schulabschlüsse“, sagt Keltek. Die von Bund, Ländern und Städten mit hohen Fördersummen bezuschusste Integration bezeichnet Taifun Keltek als „Integrationsindustrie“. Sie sei „nicht effektiv, da die Menschen nicht beteiligt werden“. An 16 Grundschulen in Köln werde die nicht-deutsche Familiensprache gezielt gefördert, dort brauche es nachweislich viel weniger Hausaufgabenhilfen. „An einer Kölner Grundschule gehen 100 Prozent mehr Kinder aufs Gymnasium, seit dort zweisprachig unterrichtet wird. Diese Zahlen werden auch von vielen Studien gestützt.“

„Ich halte das für einen Skandal.“

Toni Abbruscato, die mit Mitte 20 aus Modena nach Deutschland kam, sieht das ähnlich. „Ich war immer überzeugt, dass ich mit meiner Muttersprache und der Zweitsprache Französisch etwas Tolles mitbringe. Und war überrascht, als ich immer wieder gefragt wurde, wann ich eingewandert sei? Ich habe das Wort Einwanderung nicht verstanden, weil ich mich als Weltbürgerin fühle, die sich frei bewegt.“

Für ihre eigenen Kinder wollte Abbruscato unbedingt eine bilinguale Kita – und gründete mit ihrem inzwischen ehemaligen Mann selbst zwei deutsch-italienische Kindergärten in Köln. „Wenn so genannte Sprachstandsfeststellungen gemacht werden, wird schnell gesagt: Das Kind ist im Deutschen auf dem Stand eines einjährigen Kindes. Es muss deswegen zurückgestuft werden. Ich halte das für einen Skandal. Ich kenne viele sehr intelligente Kinder, die leider einen bestimmten, nicht-akademischen Lebenslauf einschlagen mussten, weil sie nicht hier geboren wurden.“ Daran möchte die 48-Jährige mit ihrer Arbeit für den Integrationsrat etwas ändern.

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Um die Ausschöpfung von Potenzialen geht es auch Anna Klimaszewska-Golan, die im Jahr 2001 aus Posen nach Köln zog und als Juristin zwei Rechtsberatungen und ein Inkasso-Unternehmen leitet. „Es gibt bei der Integration immer zwei Seiten“, sagt die 46-Jährige. „Einmal ist da die Sprache, die für Zuwanderer die Voraussetzung für fast alles ist. Und da sind die Fähigkeiten der Menschen, die von der Aufnahmegesellschaft oftmals nicht gesehen werden und dann zum teil brach liegen. Es gibt so viele Sozialpädagogen, Lehrer, Psychologen aus Polen, die hier als Taxifahrer oder Reinigungskräfte arbeiten.“

Erschwert werde Polen die Integration zum Beispiel, weil es die komplizierten Behördenformulare nicht in polnischer Sprache gebe. „Viele Polen gelten als fleißig: Sie verlegen sauber fliesen und pflegen die kranken Angehörigen. Aber in Sachen Integration und zum Beispiel bei der Nutzung der guten Ausbildungen vieler Frauen gibt es große Defizite. Das liegt auch daran, dass es relativ schwer ist, sich in der deutschen Bürokratie zurecht zu finden. Die Hürden für die Anerkennung von Berufsausbildungen und Universitätsabschlüssen sind hoch.“

Impuls für NSU-Mahnmal

Wie für Toni Abbruscato ist für Anna Klimaszewska-Golan Integration längst kein Thema mehr – sie wollen mit ihrer Arbeit ein bisschen dazu beitragen, was für Taifun Keltek eine Zukunftsvision ist: „Dass es einen Integrationsrat, also einen Rat für Chancengerechtigkeit, irgendwann nicht mehr braucht.“

Dass der Integrationsrat nur wenig bewegen könne, ist für Keltek „ein Vorurteil, das einfach falsch ist“. Als Beispiele für Impulse seines Gremiums nennt er „die Gründung des Amts für Integration und Vielfalt vor zwei Jahren“. Das NSU-Mahnmal für die Keupstraße, das Votum für ein Zentrales Einwanderungsmuseum in Köln, ein Budget für die Einrichtung von 22 bilingualen Kitagruppen und die Ächtung des N-Wortes durch den Stadtrat seien auf Initiativen des Integrationsrats zurückgegangen. „Mich wundert, warum die Parteien das riesige Wählerpotenzial von Menschen mit internationaler Geschichte nicht besser nutzen. Ich würde mich freuen, wenn diese Menschen gezielter angesprochen und um ihre Stimmen geworben würde.“