Köln – Der 21 Jahre alte Mann, den ein Spezialeinsatzkommando (SEK) am frühen Dienstagmorgen im Agnesviertel festnehmen soll, beschäftigt die Polizei seit acht Jahren regelmäßig. Gefährliche und schwere Körperverletzungen, Sachbeschädigung, Nötigung, Beleidigungen. Bei seiner ersten Tat war Alexander D. 13 Jahre alt. Immer wieder landete er seitdem vor Gericht, immer wieder kam er mit Bewährung oder anderen Auflagen davon. Bei der Polizei gilt er als gewaltbereiter Intensivtäter.
Im Juli 2019 hatte ein Zivilfahnder den Kölner mit drei Schüssen niedergestreckt, als der wieder einmal festgenommen werden sollte – diesmal wegen Verdachts eines schweren Raubüberfalls – und sich auf seiner Flucht in einem Getränkemarkt am Sudermanplatz im Agnesviertel verstecken wollte.
Kein Widerstand gegen die Festnahme
An diesem Dienstagmorgen nun wollen die SEK-Beamten zwei neue Haftbefehle gegen Alexander D. vollstrecken: unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und schweren Raubes. Und diesmal geht alles glatt. Alexander D. wird widerstandslos festgenommen, verletzt wird niemand. Am Nachmittag sollte der 21-Jährige einem Haftrichter vorgeführt werden. Sein Anwalt, Arno Dhein, hatte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zuvor auf Nachfrage mitgeteilt, er wolle sich nicht zu Einzelheiten äußern, sondern sich zunächst mit D. unterhalten, „um seine Version der Dinge anzuhören“.
Die Version von Polizei und Staatsanwaltschaft lautet wie folgt: Im April diesen Jahres soll D. zusammen mit mindestens drei Mittätern einen jungen Mann mit einem Messer bedroht haben, ihn in einem Auto festgehalten und zusammengeschlagen haben. Im November soll Alexander D. zudem mit einem Komplizen einen Handwerker in einer Wohnung körperlich schwer misshandelt und beraubt haben.
Alexander D. sieht sich auch als Polizeiopfer
In Gesprächen mit Reportern des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und des „Spiegel“ hatte der 21-Jährige sich noch vor wenigen Monaten auch als Polizeiopfer dargestellt. Er kam damals gerade aus der psychologischen Tagesklinik, die er seit seiner Entlassung aus der U-Haft im November 2019 immer wieder besuchte. „Mir geht es beschissen, ich bin ein seelisches Wrack“, sagte er im Interview. Er leide unter Flashbacks, könne kaum noch schlafen. Er sei „fast gestorben“ an den Schüssen des Zivilpolizisten – was richtig ist. Ganz ähnlich hat es auch die Rechtsmedizin in ihrem Gutachten beschrieben. Jeder der drei Treffer habe das Potenzial gehabt, D. zu töten.
Der betreffende Polizist ist kürzlich wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt angeklagt worden. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die Schüsse in dem Getränkemarkt „nicht mit hinreichendem Grund“ abgegeben worden seien.
Die Beamten hatten D. damals im Juli 2019 festnehmen wollen, weil er wegen eines Überfalls auf einen Dealer in dessen Wohnung mit Haftbefehl gesucht wurde. D. selbst bestreitet, diesen Überfall begangen zu haben. Ein Gericht hat über den Fall noch nicht verhandelt, weil Alexander D. durch die Schüsse am Sudermanplatz so schwer verletzt wurde, dass er bislang nicht verhandlungsfähig war.
Lange Haftstrafe steht noch zur Vollstreckung aus
Abgesehen von dieser mutmaßlichen Tat und den beiden neuerlichen Haftbefehlen, die das SEK vollstreckt hat, steht auch noch eine Jugendstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung von zwei Jahren und sechs Monaten zur Vollstreckung aus.
„Mein Sohn ist sicher kein Engel, aber er war auf einem guten Weg“, hatte D.s Vater im Gesprächen mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor einigen Monaten gesagt, ein knappes Jahr nach der eskalierten Festnahme am Sudermanplatz. Alexander habe eine Ausbildung zum Kinderpfleger beginnen wollen, weg von der Straße, die Kriminalität hinter sich lassen. Stimmt es, was die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft, hatte der 21-Jährige zu dem Zeitpunkt, als sein Vater dies äußerte, allerdings schon den nächsten Überfall begangen – jenen mit dem Messer auf das Opfer im Auto, weshalb ihn jetzt das SEK festgenommen hat.