- Christian Miller trägt als einziger die Jacke mit der Aufschrift „Direktor der Feuerwehr Köln“.
- Die Corona-Pandemie verlangt auch der Kölner Feuerwehr einiges ab.
- Wir haben mit ihm unter anderem über das Coronavirus, die Vereinbarkeit von Feuerwehr und Familie und Führungsstil gesprochen.
Herr Miller, Ihre Söhne sind vier und sechs Jahre alt. Wie erklären Sie ihnen, warum Sie zurzeit so viel arbeiten müssen?Christian Miller: Als ich gestern Abend nach Hause kam, haben sie mich gefragt, wie man Corona bekämpft. Ich habe ihnen das analog zu einem normalen Feuerwehreinsatz erklärt: Wenn man nichts tut, breitet sich das Feuer aus. Also müssen wir Maßnahmen ergreifen, damit das nicht passiert. Es kann sein, dass wir eine Brandmauer errichten müssen, um das Feuer aufzuhalten. In diesem Fall: Wir fahren in die Altenheime und stoppen die Infektionsketten, damit das Virus sich dort nicht verbreitet. Und wenn sich doch jemand verletzt, dann fahren wir ihn ins Krankenhaus, wo ihm geholfen wird.
Interessieren sich Ihre Söhne grundsätzlich dafür, was ihr Papa auf der Arbeit macht?
Miller: Ja. Sie sind zwar noch jung, aber ich glaube, sie haben schon Feuer gefangen im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben Feuerwehrautos daheim stehen, und mehrfach in der Woche wird ein Einsatz mit Playmobil gefahren.
Können Sie gut schlafen im Moment?
Miller: Bis auf wenige Stunden am Tag bin ich hier in die Lage eingebunden. Es sind lange Tage mit wenig Schlaf, nahezu ohne Wochenende. Vieles nehme ich auch mit nach Hause. Die Lage ist ja viel komplexer als ein normaler Feuerwehreinsatz.
Inwiefern?
Miller: Als Feuerwehrmann weiß ich: Wenn ich Wasser auf ein Feuer gebe, wird das Feuer klein, das sieht man direkt. Aber hier haben wir ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die erst mit großem Zeitverzug wirksam werden. Und vieles davon ist ja sowieso noch experimentell. Da hinterfrage ich mich ständig, ob wir das Richtige tun. Als Biochemiker recherchiere ich ständig in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Erfahrungsberichten. Es sind aber auch Grübeleien über die Wirksamkeit unserer Maßnahmen, die mich umtreiben.
Was hat Sie in der vergangenen Nacht um den Schlaf gebracht?
Miller: Zuletzt gibt es doch Grund zur Hoffnung. Wir schauen natürlich mit Argusaugen auf die Zahlen, ob sich ein Trend abzeichnet. Die Patientenzahl in den Kliniken zum Beispiel halten wir konstant. In den letzten Tagen gab es viele Momente, wo ich auf die Statistiken geschaut habe und hoffen darf, dass unsere Maßnahmen wirken.
Sind wir über den Berg?
Miller: Nein, soweit würde ich nicht gehen. Wir haben zwar ein gutes Verhältnis zwischen Genesenen und Neuinfizierten. Aber das kann jederzeit kippen. Wir sind erst über den Berg, wenn der Anstieg der Infektionszahlen stabil bleibt. Zu Beginn der Krise hatte Vieles auf deutlich Schlimmeres in Köln hingewiesen. Im Moment scheint es eher, als sollten wir vergleichsweise glimpflich davon kommen.
Wir sind gestartet mit einer Lage, deren Ausmaß und Dynamik niemand einschätzen konnte. Wir haben im dichten Nebel das Fernlicht eingeschaltet und gehofft, dass die Dinge, die wir tun, richtig sind. Da war über viele Wochen sehr viel Unsicherheit dabei. Uns war aber auch schnell klar: Entweder wir ergreifen beherzte Maßnahmen, oder wir laufen der Lage hinterher. Und bisher können wir sagen, dass uns unsere Maßnahmen und der öffentliche Shutdown vor einer Überlastung der Gesundheitssysteme in Köln bewahrt haben. Dass die Bevölkerung das so mitträgt, hat mich positiv überrascht.
Der Shutdown wird nun schrittweise gelockert. Wie bewerten sie das?
Miller: Es ist klar, dass mit einer Lockerung der Kontaktrestriktionen auch die Fallzahlen wieder steigen werden. Unsere Systeme werden definitiv noch mal stärker belastet, wir wissen nur noch nicht, wie stark. Aber durch die Maßnahmen haben wir Zeit gewonnen, die Krankenhäuser vorzubereiten. Deshalb können wir verantworten, schrittweise wieder in die Normalität zu gehen. Wir müssen es aber dosiert tun. Und ich habe das Gefühl, dass die Dosis im Moment richtig ist.
Besitzen Sie eine Atemmaske?
Miller: Ich habe eine, aber wie Sie sehen, trage ich sie nicht (lacht). Das tue ich in der Öffentlichkeit eigentlich nie. Ich halte die Abstandsregeln ein, zum Beispiel im Supermarkt, und achte sehr stark auf Hygiene, ich wasche mir häufig mit Wasser und ausreichend Seife die Hände. Das sind die wirksamsten Mittel.
Das Behandlungszentrum in der Messe kommt nun vorerst nicht. Was heißt das für die Situation in Köln?
Miller: Vor zwei Wochen sind wir davon ausgegangen, dass wir im Mai die reguläre Bettenkapazität in den Kliniken überschreiten werden. Die Prognose hat sich aber geändert und wir konnten die Betten im bestehenden Kliniksystem aufstocken. Wir werden wohl hart an der Kapazitätsgrenze sein, aber voraussichtlich nicht darüber. Deshalb werden wir das Behandlungszentrum als Option vorbereiten, die Umsetzung aber offen lassen. Wenn wir sie brauchen, aktivieren wir sie.
Glauben Sie, dass Sie die Option noch ziehen müssen?
Miller: Ich will es nicht ausschließen. Als Katastrophenschützer müssen wir in allen Eskalationsstufen denken. Die Feuerwehr hält am Dienstag ein Webinar mit der Verwaltung unserer Partnerstadt Peking, in dem wir über unser operatives Krisenmanagement beraten. Peking ist uns ja ein paar Wochen voraus und bereitet sich gerade auf eine zweite Welle vor. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass wir eine taktische Reserve wie das Behandlungszentrum brauchen. Aber ich hoffe, dass wir sie nicht benötigen.
Wann wäre die Kapazitätsgrenze denn erreicht?
Miller: In den Kölner Kliniken liegen derzeit etwa 150 Covid-19-Patienten, davon ungefähr die Hälfte auf der Intensivstation. Wir haben jetzt schon 200 „low care“-Plätze mit nicht-invasiver Beatmung und 394 „high care“-Plätze mit invasiver Beatmung.
Seit Wochen werden Sie und Ihre Leute mit teils furchtbaren Szenarien konfrontiert, die bisher nicht eingetreten sind. Sie fahren zurzeit sogar weniger Einsätze als vor Corona. Wie steht es um die Moral Ihrer Mannschaft?
Miller: Die Sensibilisierung ist außergewöhnlich hoch, keine Frage. Bei jedem Einsatz schwingt Covid mit. Was in der Stimmung deutlich wird: Wir wissen alle nicht, wie groß die Lage noch wird, was auf uns zukommt, wenn Rettungsdienst und Kliniken überlastet sind, wenn wir in ein Katastrophenszenario reinkommen sollten.
Beinahe katastrophal war zu Ihrem Amtsantritt vor einem Jahr auch die Stimmung innerhalb der Kölner Berufsfeuerwehr. Von meutereiähnlichen Zuständen war die Rede. Wie haben Sie das damals erlebt?
Miller: Es war eine große Frustration spürbar. Der Umgang zwischen Direktion und Mannschaft wurde kritisiert, Führungsstile wurden kritisiert, fehlende Kommunikation und fehlende Perspektiven waren ein großes Thema. Pensionäre sagten mir, dass sie zuletzt vor 30 Jahren befördert wurden. Was mich wirklich nachdenklich gemacht hat, ist, dass 2017 und 2018 Viele die Berufsfeuerwehr Köln verlassen haben, die jahrelang hier gearbeitet haben. Mir war klar: Es muss sich schleunigst etwas ändern.
Was haben Sie zuerst angepackt?
Miller: Ich habe viel mit den Menschen geredet, habe Sprechstunden eingeführt. Mit der Unterstützung von Stadtdirektor Dr. Keller konnten wir die Stellenstruktur im mittleren Dienst verändern und den Anteil der Dienstposten (höher bewertete Führungspositionen, d. Red.) von 22 auf 40 Prozent steigern. Gerade erarbeiten wir ein umfangreiches Personalentwicklungskonzept. Mein Ziel ist, dass niemand mehr die Feuerwehr Köln verlassen muss, weil die Perspektiven nicht attraktiv genug sind.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Miller: Kommunikativ, kooperativ und empathisch. Ich begreife mich als Teil des gesamten Teams und habe den Willen und das Engagement, die Dinge zu ändern.
Trotzdem sucht die Feuerwehr händeringend Nachwuchs. Ist der Schichtdienst zu anstrengend, die Bezahlung zu unattraktiv?
Miller: Der Job verlangt einem jede Menge ab. Wir hatten letzte Woche erst einen tödlichen Unfall mit einem Kind, wir haben viele schwierige Einsätze, die einen mental extrem fordern. Wenn man diesen Job nur wegen Geld macht, hält man ihn nicht lange durch. Man braucht eine gewisse Resilienz und Leidenschaft, das zu tun. Aber die Rahmenbedingungen müssen natürlich stimmen. Fürsorge ist mir sehr wichtig. Die Menschen sollen hier sicher und gesund arbeiten. Zurzeit arbeiten wir an einem modernen Dienstmodell, das Gesundheits- und Arbeitsschutz besser umsetzt als das jetzige. Ergebnisoffen. Ich weiß selbst nicht, wo die Reise hingeht.
Sie haben schon zwischen 2010 und 2013 bei der Feuerwehr Köln gearbeitet. Was hat sich seitdem in der Stadt und bei der Feuerwehr verändert?
Miller: Ich habe den Eindruck, die Stadt ist noch quirliger geworden. Lebendiger, vielleicht auch hektischer. Aber die rheinische Mentalität ist immer noch die gleiche. Die Offenheit und die Lebensfreude haben sich nicht verändert. Bei der Feuerwehr war die Einsatzbelastung 2013 zwar schon hoch, aber moderater als heute. Der Druck ist gestiegen. Was mich auch überrascht hat, ist, dass wir in vielen Bereichen einen großen Reformstau bei der Feuerwehr haben. Besonders sichtbar wird das an unseren relativ alten Fahrzeugen.
Welche Aufgaben stehen dieses Jahr noch an?
Miller: In den nächsten Wochen gibt es hoffentlich den Startschuss für den Neubau der Feuerwache 1 in der Innenstadt. Die Wache war mal für 60 Mitarbeiter geplant, inzwischen arbeiten da weit mehr als hundert. Der Baukörper wurde nie umfänglich saniert. Jetzt sind wir bei aller Zumutbarkeit an einem Punkt, wo man da nicht mehr vernünftig arbeiten kann. Außerdem planen wir einen neuen Schulkomplex mit Möglichkeiten, so realitätsnah wie möglich zu trainieren. Ein wichtiger Sicherheitsaspekt, um in einer Gefahrensituation zu bestehen. Wir prüfen dafür gerade ein Gelände im Kölner Süden. Wir haben in Köln keine eigene Trainingseinrichtung für realitätsnahe Trainings, müssen immer mit hohem Aufwand in den Landkreis Düren fahren.
Erwarten Sie für die Zukunft auch neue, andere Einsatzszenarien für Köln?
Miller: Ja. Wir stehen in Köln unter gewissen Veränderungszwängen. Eine Pandemie ist ein Szenario, aber dass in einem hoch verdichteten Ballungsraum ein Straftäter Rizin gekocht hat, hätte man sich vor Jahren nicht träumen lassen. Wir sehen uns Szenarien gegenüber, wo wir uns taktisch als Millionenstadt breiter aufstellen müssen.
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Wann stand für Sie eigentlich der Berufswunsch Feuerwehrmann fest?
Miller: Schon als Kind. Mein Vater war bei der Feuerwehr, manchmal durfte ich zu Einsätzen mitkommen und konnte mir ein erstes Bild machen. Mein Bruder ist auch bei der Feuerwehr. Es gab Situationen bei Familienfeiern, wo die Funkmeldeempfänger ausgelöst hatten, und dann war eben plötzlich die halbe Tafel leer.
Wie schalten Sie abends ab? Was gucken Sie gerade bei Netflix?
Miller: Zurzeit schaue ich gar kein Fernsehen, höchstens die Nachrichten. Dann spreche ich noch ein bisschen mit meiner Frau. Ich kann sehr gut in der Familie regenerieren, zum Beispiel wenn ich meine Tochter auf dem Arm habe. Sie ist am 3. März geboren...
... mitten im Pandemie-Einsatz.
Miller: Ja, es gab Situationen, wo ich mit meiner Frau im Krankenhaus war und telefonieren musste. Aber ich kann ohnehin nicht zwischen privat und dienstlich trennen. Ich bin immer irgendwo mit einem Ohr im Dienst. Meine Familie weiß das, meine Frau ist krisenerprobt. Sie weiß aber auch genau: Wenn ich ans Telefon gehe, dann ist es schon etwas Wichtiges.