Durchschnittlich vier Kinder oder Jugendliche täglich hat das Kölner Jugendamt voriges Jahr in Obhut genommen.
Zu wenig HeimplätzeKölner Jugendamt erhält täglich 13 Hinweise auf Kinder in Gefahr
Es geht um Vernachlässigung, psychische oder körperliche Gewalt: 4859 Fälle sind dem Kölner Jugendamt im vergangenen Jahr gemeldet worden, in denen Kinder mutmaßlich in Not oder gefährdet waren – im Schnitt 13 pro Tag. So viele waren es seit Jahren nicht mehr. Die Entwicklung habe auch mit den Folgen der Pandemie zu tun, berichtet Jugendamtsleiterin Dagmar Niederlein.
Bitten um Unterstützung bei der Erziehung erreichten die Behörde vor allem aus den betreffenden Familien selbst, Hinweise auf Kindeswohlgefährdung kamen dagegen fast immer von Dritten. „Da kriegen wir dann zum Beispiel einen Anruf von Kinderärzten, von Nachbarn oder aus der Schule: Könnt ihr da mal gucken, da läuft irgendetwas falsch“, schildert Niederlein. „Wir nehmen dann Kontakt mit der Familie auf und schauen, was da los ist.“
Köln: Mehr als die Hälfte der Hinweise war im Vorjahr falscher Alarm
Die gute Nachricht: Mehr als die Hälfte der Meldungen im Vorjahr erwies sich nach der Überprüfung als falscher Alarm. In knapp 600 Fällen allerdings stellten die Fachkräfte fest, dass ein Kind tatsächlich in Gefahr schwebte, in weiteren 369 Fällen habe eine „latente Kindeswohlgefährdung“ vorgelegen.
Durchschnittlich vier Kinder oder Jugendliche pro Tag nahm das Jugendamt zumindest vorübergehend in Obhut. In den allermeisten Fällen sei es gelungen, die Jungen und Mädchen schon nach kurzer Zeit wieder ins Elternhaus zurückzugeben. In der Regel stimmten die Eltern zu, sich helfen zu lassen. Meistens ist das auch die Voraussetzung.
Immer häufiger, sagt Niederlein, habe man es in den betreffenden Familien mit psychischen Erkrankungen mindestens eines Elternteils zu tun. Oft kombiniert mit einer Alkohol- oder Drogensucht – oder beidem. Hilferufe kämen aber auch aus Oberschichts- und Mittelschichtsfamilien, solche, bei denen „ein schickes Auto vor einem tollen Haus steht und wo nach außen alles in Ordnung zu sein scheint“, sagt Niederlein. Tatsächlich aber kämen die Eltern in der Erziehung nicht weiter und suchten Hilfe beim Jugendamt. „Und das ist auch keine Schande.“
Was der Behördenchefin Sorge bereitet: Das Jugendamt arbeitet vielfach mit Trägern der freien Jugendhilfe zusammen. Die schicken zum Beispiel Pädagogen oder Therapeuten als Familienhilfen in Haushalte oder betreuen Kinder und Jugendliche in Wohngruppen und Heimen. Doch zum einen steigen die Personalkosten, zum anderen fehlt es den Trägern zunehmend an Fachkräften und freien Plätzen. „Vor allem bei der stationären Unterbringung suchen wir teilweise bundesweit“, berichtet Niederlein. „Wir haben schon Kinder aus Köln in Bremen in Obhut geben müssen, weil hier einfach nichts frei war.“
Insgesamt 300 Millionen Euro hat die Stadt Köln im Vorjahr für Maßnahmen in der Erziehungshilfe ausgegeben, 34 Millionen mehr als 2022 – Tendenz weiter steigend. „Hauptursache dafür sind die Inflation und die Tarifkostensteigerungen bei den Gehältern“, sagt Niederlein. Immerhin: Im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) und im Gefährdungsmeldungs-Sofortdienst (GSD) des Kölner Jugendamts seien derzeit fast alle rund 350 Stellen besetzt – bis auf 20, die kürzlich erst neu geschaffen wurden und derzeit besetzt würden. Bewerbungen gebe es genug, sagt Niederlein.
Damit steht die Kölner Behörde nach eigenen Angaben im bundesweiten Vergleich gut da. Im Januar hatte eine ARD-Reportage enthüllt, dass zahlreiche Jugendämter in Deutschland mit Personalmangel zu kämpfen haben. Jedes vierte räumte dem Bericht zufolge ein, es sei wegen Überlastung in den Ämtern schon zu einer Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen gekommen. In 327 Ämtern bundesweit, das sind 80 Prozent derer, die auf die ARD-Umfrage geantwortet haben, seien die ASD-Mitarbeiter überlastet.
„Die Stadt Köln investiert viel in den Kinderschutz“, sagt Niederlein, „und darüber bin ich sehr froh.“ Als eines von wenigen Jugendämtern bundesweit leistet sich Köln einen 24-stündigen Bereitschaftsdienst: Rund um die Uhr nehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Meldungen über Kindeswohlgefährdungen entgegen und bearbeiten sie umgehend: Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr.