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Infografik

Immer mehr Ausfälle
Kölner Kita-Krise verschärft sich weiter – so groß ist der Personalmangel

Lesezeit 6 Minuten
Ein Kind spielt mit einer Erzieherin im Sandkasten einer Kita.

Der Personalmangel in Kölner Kitas hat sich in den vergangenen zwölf Monaten weiter verschärft.

Bereits im vergangenen Jahr war der Personalmangel in Kölner Kitas dramatisch. Aktuelle Daten zeigen nun, wie sehr die Situation sich weiter verschlechtert hat.

Als „Mathematik mit Kinderseelen“ bezeichnet Annabelle L. (Name geändert), Mutter einer Dreijährigen, was gerade in vielen Kitas in Köln geschieht: Aufgrund des gravierenden Personalmangels können Kindertagesstätten oftmals die vereinbarte Betreuung nicht gewährleisten. Dann müssen die Kinder irgendwie anders verteilt, Kapazitäten neu berechnet werden: Gruppen werden zusammengelegt oder im Rotationsverfahren dichtgemacht, die Betreuungszeiten gekürzt. Im Zweifel muss die ganze Einrichtung zeitweise schließen, weil nicht genügend Personal vorhanden ist.

„Das System Kita bricht gerade zusammen“

So hat es auch Annabelle L. erlebt. Mehrfach konnte ihre Tochter in den vergangenen zwölf Monaten nicht in die Kita gehen: „Wenn zu wenig Personal da war, wurde eine Gruppe geschlossen. Die Kinder mussten dann zu Hause bleiben, andere Kinder wurden auf restliche Gruppen verteilt.“ Wochenlang öffnete die Kita eines katholischen Trägers, die ihre Tochter besucht, zudem nur zu Notzeiten. Morgens und nachmittags wurden die Betreuungszeiten teils um anderthalb Stunden eingekürzt. Kein Einzelfall, der Personalmangel in Kitas ist ein deutschlandweites Problem.

Um zu erfassen, wie massiv das Problem in Köln ist, hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erneut in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk Correctiv.Lokal Daten des LVR-Landesjugendamtes Rheinland ausgewertet. Kitas müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde – in Köln dem LVR – melden, wenn sie den vorgegebenen Personalschlüssel unterschreiten und die vereinbarte Betreuung nicht mehr gewährleisten können. „Es ist nicht mehr nur eine Krise, das System Kita bricht gerade zusammen. Erzieherinnen und Erzieher sind immer belasteter und werden dadurch immer öfter krank“, sagte Miriam Lenz von Correctiv bereits im vergangenen Jahr.

Die aktuellen Daten zeigen nun: Die Kita-Krise hat sich in den vergangenen zwölf Monaten noch einmal deutlich verschärft. Die ausgewerteten Daten beziehen sich auf das vergangene Kitajahr, also auf den Zeitraum von August 2023 bis Juli 2024. Sowohl Correctiv.Lokal als auch der LVR gehen dabei von einem Dunkelfeld aus, da die Träger die Meldepflicht unterschiedlich streng auslegen. Deswegen geben die Daten nur Mindestzahlen wieder. Ein Vergleich zu früheren Jahren ist nur eingeschränkt möglich, weil die Personal-Unterschreitungen erst seit Anfang 2022 erfasst werden.

„Aus der Zusammenarbeit mit den Trägern im Rheinland nehmen wir wahr, dass der Fachkräftemangel sich im letzten Kindergartenjahr weiter verschärft hat“, erklärt Till Döring, Pressereferent des LVR. Grundsätzlich sei zwar möglich, dass ein Teil des Anstieges der Meldungen auf ein verbessertes Meldeverhalten zurückgeführt werden könne. Da die Meldepflichten in Nordrhein-Westfalen jedoch „nun seit drei Jahren ununterbrochen im Fokus der fachlichen Diskussion mit den Trägern stehen“, schätzt Döring diesen Faktor als gering ein.

Fast jede zweite Kita in Köln von Personalmangel betroffen

Die Daten zeigen die erwähnte Verschärfung deutlich: Im Kitajahr 2022/2023 waren stadtweit 255 Kitas von Personalmangel betroffen, rund jede dritte der insgesamt 732 Einrichtung konnte zeitweise die vereinbarte Betreuung nicht mehr gewährleisten. Im vergangenen Jahr 2023/2024 waren es schon 354 Einrichtungen – prozentual gesehen also fast jede zweite.

Der LVR hat insgesamt 1888 Meldungen darüber erhalten, dass die vereinbarte Betreuung nicht mehr gewährleistet werden konnte – ein Zuwachs von 74 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die meisten Meldungen gab es im November (281), gefolgt von Dezember (261), April (177) und Oktober (168), die wenigsten im August (65).

Nicht nur für den Alltag der Kinder hat jede einzelne dieser Meldungen konkrete Folgen. Immer häufiger müssen Eltern ihre Kinder selbst betreuen oder kurzfristig andere Lösungen finden. Auch für die Kita-Mitarbeitenden verschlechtern sich durch den Personalmangel ihre Arbeitsbedingungen massiv. Die Einschränkungen können so aussehen, dass etwa bestimmte Nachmittagsangebote ausfallen oder aber eine komplette Kita wochenlang schließen muss. In mindestens 859 Fällen mussten Kölner Kitas zuletzt die Betreuungszeit reduzieren, am häufigsten im November und Dezember. Die Eltern mussten ihre Kinder also später bringen oder früher abholen. Im Vorjahr waren es noch 520 Fälle gewesen.

Während es im Kitajahr 2022/2023 stadtweit 546 Fälle gab, in denen Einrichtungen ganz oder in Teilen geschlossen werden musste, waren es im vergangenen Kitajahr bereits 1008 – also fast doppelt so viele.

Besonders drastisch fiel der Anstieg im April aus: Gab es im April 2023 noch 24 Schließungen, waren es im April 2024 bereits 97, also mehr als viermal so viele. Ein Trend, der sich auch in den anderen Monaten des Jahres zeigt.

Kita-Krise: Personalmangel häuft sich in den kalten Monaten

Die meisten Teil- oder Gruppenschließungen gab es im November (149) und Dezember (138). Es überrascht nicht, dass sich Personalausfälle in den kalten Monaten häufen, wenn Infektionswellen grassieren. Die wenigsten Kitas haben für solche Phasen einen Personal-Puffer.

Gemessen an der Zahl der betroffenen Kitas war der Dezember auch Spitzenreiter im negativen Sinne: 118 Kitas und damit fast jede sechste Einrichtung konnte mit ihrem vorhandenen Mitarbeitenden die Betreuung nicht gewährleisten, sodass es zu Einschränkungen und Schließungen kam. Ähnlich schlecht sah es im November (116) aus.

Die Stadt Köln teilt auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit, die Situation in vielen Kindertageseinrichtungen sei für alle Beteiligten herausfordernd. „Die Personaldecke ist in vielen Einrichtungen dünn, unbesetzte Stellen oder krankheitsbedingte Ausfälle führen in Summe dazu, dass mitunter Betreuungszeiten eingeschränkt werden müssen“, schreibt eine Sprecherin.

In den 212 städtischen Kitas seien 3800 Personen beschäftigt, bis zu 300 Stellen seien offen – als Erzieherinnen und Erzieher, aber etwa auch als Kitaleitungen, hauswirtschaftliche Unterstützungskräfte und Alltagshelfer. 70 Kitas könnten aufgrund der Personalengpässe derzeit maximal 35 Wochenstunden Betreuung anbieten.

„Ein wesentlicher Hebel, um dieser Situation nachhaltig begegnen zu können, ist die Gewinnung neuer Nachwuchskräfte für das Berufsfeld“, schreibt die Sprecherin. „Um dieses nachhaltig positiv und attraktiv darzustellen und mehr Menschen für pädagogische Berufe in Kindertageseinrichtungen zu begeistern, arbeitet die Stadt in Kooperation mit Vertretern der Spitzenverbände an einer Imagekampagne.“

Darüber hinaus würden die Ausbildungskapazitäten kontinuierlich ausgebaut. Rund 260 Nachwuchskräfte würden aktuell in den städtischen Kölner Kitas ausgebildet. Für sie gebe es bei erfolgreichem Abschluss eine Übernahmegarantie. Ein weiterer wichtiger Baustein sei die Weiterbildung der Mitarbeitenden, vorhandene Potenziale sollen gefördert werden. Das sei auf dem umkämpften Arbeitsmarkt von großer Bedeutung.

Bei Krankheitsausfällen beginnt ein Teufelskreis

Der enorme Fachkräftemangel in NRW ist zwischenzeitlich auch in einer Studie des Forschungsverbundes TU Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts sichtbar geworden. Krankheitsbedingte Fehlzeiten beim Kita-Personal hätten die Krise zuletzt weiter verschärft, heißt es darin: „Dies ist auf deutlich gestiegene Fehlzeiten in Zusammenhang mit Atemwegserkrankungen, aber auch auf einen Anstieg psychischer Erkrankungen zurückzuführen.“

Und hier beginnt ein Teufelskreis: Durch krankheitsbedingte Ausfälle erhöhen sich, zumindest vorübergehend, personelle Engpässe. Diese wiederum führen zu einer Zunahme der Arbeitsintensität und -dichte bei den verbleibenden Fachkräften, „die dadurch selbst zu gesundheitlichen Risiken und erhöhten Fehlzeiten beitragen können und so die bereits vorhandenen Engpässe spiralförmig verstärken“.

Studie rechnet mit bis zu 20.000 fehlenden Kita-Mitarbeitern

Eine bundesweite Umfrage von Correctiv.Lokal, an der sich im vergangenen Jahr mehr als 2000 Mitarbeitende beteiligt hatten, zeigte, dass bereits vor einem Jahr 60 Prozent der Befragten von Überlastung und Stress berichteten. Jede fünfte Person klagte über gesundheitliche Folgen wie Depression oder Burnout, jede zehnte dachte über einen Ausstieg aus dem Beruf nach oder hatte bereits gekündigt.

Ein Ende der Krise ist derweil nicht in Sicht. In der Studie der TU Dortmund heißt es: „Die Anzahl erwartbarer Neuzugänge aus beruflichen Ausbildungen und einschlägigen Studiengängen bis zum Jahr 2030 wird in keinem Fall ausreichen, um den künftigen Personalgesamtbedarf in Kindertageseinrichtungen zu decken. Je nach Szenario fehlen zwischen 9000 und 20.200 Personen.“