Regelmäßig können Kitas die vereinbarte Betreuung nicht mehr leisten, weil Mitarbeitende fehlen. Eine Analyse der Situation in Köln.
Das Beste aus 2023Kitas vor dem Kollaps: So groß ist der Personalmangel in Köln
Kindern im Kita-Alter und ihren Eltern wird viel zugemutet: Wegen Personalmangels können Kindertagesstätten regelmäßig die vereinbarte Betreuung nicht mehr leisten. Gruppen werden zusammengelegt, die Betreuungszeiten gekürzt und im schlimmsten Fall schließt die ganze Einrichtung. Personalnot in Kitas ist ein deutschlandweites Problem – mit gravierenden Folgen für die Menschen, die dort arbeiten, für die Kinder und deren Familien. Viele Kitas stehen vor dem Kollaps.
Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 14. November veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.
Um zu erfassen, wie massiv der Personalmangel in Köln ist, hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk Correctiv.Lokal Daten des LVR-Landesjugendamtes Rheinland ausgewertet. Kitas müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde – in Köln dem LVR – melden, wenn sie den vorgegebenen Personalschlüssel unterschreiten und die vereinbarte Betreuung nicht mehr gewährleisten können. „Es ist nicht mehr nur eine Krise, das System Kita bricht gerade zusammen. Erzieherinnen und Erzieher sind immer belasteter und werden dadurch immer öfter krank“, sagt Miriam Lenz von Correctiv.
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Köln: Kitas kürzen Betreuungszeiten wegen Personalmangels
Die ausgewerteten Daten beziehen sich auf das vergangene Kitajahr, also auf den Zeitraum von August 2022 bis Juli 2023. Sowohl Correctiv.Lokal als auch der LVR gehen dabei von einem Dunkelfeld aus, da die Träger die Meldepflicht unterschiedlich streng auslegen. Deswegen geben die Daten nur Mindestzahlen wieder. Ein Vergleich zu früheren Jahren ist nicht möglich, weil die Personal-Unterschreitungen erst seit Anfang 2022 erfasst werden.
Von den stadtweit 732 Kölner Einrichtungen waren 255 von erheblichem Personalmangel betroffen. Der LVR hat insgesamt 1089 Meldungen darüber erhalten, dass die vereinbarte Betreuung nicht mehr gewährleistet werden konnte. Die meisten Meldungen gab es im März (154), gefolgt von Februar (142), Dezember (137) und November (131), die wenigsten im Juli und August (jeweils 35).
Jede einzelne Meldung hat konkrete Folgen für den Alltag der Kinder, Familien und pädagogische Fachkräfte. Die Einschränkungen können so aussehen, dass etwa bestimmte Nachmittagsangebote ausfallen oder aber eine komplette Kita wochenlang schließen muss. In mindestens 520 Fällen mussten Kitas die Betreuungszeit reduzieren. Die Eltern mussten ihre Kinder also später bringen oder früher abholen. Am häufigsten war das im März (68) und im Februar (67) der Fall.
Die Kitas entwickeln dabei unterschiedliche Methoden, um den Notstand zu bewältigen, bis hin zum Rotationssystem, das festlegt, an welchem Tag welche Kinder kommen dürfen. So geschehen in einer städtischen Kita in Bilderstöckchen – und das über Monate. An manchen Tagen musste mehr als die Hälfte der 73 Kinder zu Hause bleiben, mitunter konnte jedes Kind nur an einem oder an zwei Tagen pro Woche die Kita besuchen.
In mindestens 546 Fällen mussten Kitas einzelne Gruppen oder sogar vollständig schließen. Die meisten Teil- oder Gruppenschließungen gab es im März (78) und Februar (67). Im Dezember mussten 15 Kitas komplett schließen – so viele wie in keinem anderen Monat. Es überrascht nicht, dass Personalausfälle sich in den kalten Monaten häufen, wenn Infektionswellen grassieren. Die wenigsten Kitas haben für solche Phasen einen Personal-Puffer.
Gemessen an der Zahl der betreffenden Kitas war der März Spitzenreiter im negativen Sinne: 73 Kitas und damit fast jede zehnte Einrichtung konnte mit ihrem vorhandenen Mitarbeitenden die Betreuung nicht gewährleisten, so dass es zu Einschränkungen und Schließungen kam. Ähnlich schlecht sah es im Dezember (70) und Februar (69) aus.
Immer häufiger müssen berufstätige Eltern ihre Kleinkinder selbst betreuen – ein unmöglicher Spagat. Auch für die Kita-Mitarbeitenden verschlechtern sich durch den Personalmangel ihre Arbeitsbedingungen massiv. Das zeigt die Auswertung einer bundesweiten Umfrage von Correctiv.Lokal, an der sich mehr als 2000 Mitarbeitende beteiligt hatten. 60 Prozent der Befragten berichten von Überlastung und Stress. Jede fünfte Person klagt über gesundheitliche Folgen wie Depression oder Burnout, jede zehnte denkt über einen Ausstieg aus dem Beruf nach oder hat bereits gekündigt.
Der Notstand wirkt sich auch unmittelbar auf die betreuten Kinder aus: Mehr als die Hälfte der Erzieherinnen und Erzieher gaben an, dass sie nicht mehr pädagogisch mit den Kindern arbeiten können, sondern sie nur noch verwahren. „Wir können unseren eigenen beruflichen Werten nicht mehr nachkommen. Wir verwahren die Kinder mehr schlecht als recht“, berichtet etwa eine Erzieherin aus NRW. Wiederholt schildern Befragte, dass sie über einen längeren Zeitraum allein in einer Gruppe sind – und deshalb selbst nicht zur Toilette gehen können. Windeln würden nicht oder erst nach langer Zeit gewechselt, Kinder müssten auf dem Klo sitzen und warten, bis sie jemand sauber macht.
Die Stadt Köln hat den Personalnotstand erkannt und im September einen Stufenplan mit kurz-, mittel- und langfristigen Lösungsansätzen entwickelt, mit deren Hilfe das Betreuungssystem stabilisiert und sichergestellt werden soll. Der für Köln notwendige Fachkräftebedarf wird von der Verwaltung mit „mindestens 1800 Personen“ beziffert.
Sowohl die Stadt Köln als auch das LVR-Landesjugendamt betonen die Notwendigkeit, die Ausbildung von Fachkräften auszubauen und Quereinstiege in den Beruf zu ermöglichen. Denn wenn die Träger nicht genügend Mitarbeitende finden, kommt es weiterhin zu massiven Einschränkungen und Kürzungen in der Betreuung von Kindern.
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit Correctiv.Lokal und Frag den Staat.Möchten Sie, dass sich etwas ändert? Dann werden Sie jetzt aktiv! Besuchen Sie die Themenseite kitanotstand.de, die von unserem Kooperationspartner Correctiv erstellt wurde. Dort finden Sie vielfältige Möglichkeiten, wie Sie selbst einen Beitrag leisten können. Erfahren Sie, wie Sie die Politik zum Handeln bewegen können und entdecken Sie Mitmalbilder für Ihre Kinder sowie Plakate, die Sie in Ihrer Nachbarschaft aufhängen können, um auf den Kitanotstand aufmerksam zu machen.