Kölner Künstlerin über Diskriminierung„Es gibt eine Blindheit für weibliche Kunst“
Köln – Ob Joseph Beuys auch einen feministischen Impuls verspürt hat, als er allen Studierenden, die dies wollten, das Kunststudium ermöglicht hat, weiß Johanna Reich nicht. Was die Kölner Künstlerin jedoch mit Sicherheit sagen kann: Wer wie die Künstlerikone eine Schar von Kunst-Willigen aufnimmt, ohne Rücksicht auf deren handwerkliches Geschick – der hat ein entgrenztes Verständnis von Kunst und meint es gleichzeitig auch gut mit den Frauen, die in der Geschichtsschreibung nicht nur unterrepräsentiert sind, sondern bis vor 100 Jahren noch aktiv von der Kunstakademie Düsseldorf ausgeschlossen wurden.
Kölner Künstlerin: Persönliche Erfahrungen im Kunstbetrieb
Für Reich ist Beuys' politischer Aktionismus also auch gleichzeitig ein Meilenstein der Gleichstellung. Aus eigener Erfahrung weiß die Künstlerin, die wir in ihrem Atelier in Poll besuchen, dass es an den Akademien mittlerweile demokratischer zugeht – sie selbst habe dort keine Nachteile erfahren, erzählt sie. Dies habe sich im Laufe ihrer weiteren Künstlerkarriere schlagartig geändert. „Zu großen Restriktionen ist es gekommen, als ich schwanger geworden bin.“
Insbesondere zwei Ereignisse hätten sie erschüttert: Als sie mit Mann und sechs Wochen altem Baby nach Brasilien fliegen wollte, um ein Stipendium in einer deutschen Organisation anzutreten, habe der Ansprechpartner sie am Telefon zurechtgewiesen: Mit Künstlerinnen, die Kinder haben, hätte man negative Erfahrung gemacht. Absage.
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In einem weiteren Fall habe eine Galeristin behauptet, Künstlerinnen mit Nachwuchs würden schlechte Kunst machen. Da habe sie allerdings noch nicht gewusst, dass die 44-Jährige bereits einen Sohn hatte, der bereits älter war. „Die Ausstellung ist super geworden, da konnte ich es nicht lassen, und habe es ihr erzählt. Sie hat sich total aufgeregt, sagte, ich hätte sie hintergangen.“
Ihrer Karriere haben diese Vorkommnisse jedoch zum Glück nicht nachhaltig geschadet: Reich ist eine arrivierte Künstlerin, stellt weltweit aus, und hat eine Professur an der Kunstakademie in München. Die Erfahrungen waren vielmehr Triebfeder für ihr Kunstprojekt „Resurface“, das sich der Rolle der Frau in der Kunstgeschichte verschrieben hat.
Seit zehn Jahren recherchiert Reich in entsprechenden Archiven, war in Washington und Paris. So stellt sie mittels einer Polaroid-Bild-Technik die Portraits von vergessenen Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts zusammen und reichert sie mit Angaben zu ihrer Biografie an.
Fasziniert habe sie zum Beispiel eine afroamerikanische Künstlerin: Selma Hortense Burke, 1900 geboren, deren wichtigstes Werk ein bronzenes Relief-Porträt des ehemaligen US-Präsidenten Roosvelt ist. „Die war nicht niemand, aber wir kennen sie nicht. Dass es da so eine Blindheit gibt, hat mich beeindruckt. Es gab diese Frauen und sie haben nicht immer im stillen Kämmerlein Aquarelle gemalt, sondern hatte Erfolg.“ So manch tolles Œuvre sei jedoch in den männlichen Kanälen der Kunsthistorie untergegangen.
Kölner Künstlerin Johanna Reich stellt im Nails projectoroom in Düsseldorf aus
Aktuell ist Reichs Werk in der Ausstellung „Beuys & Girls“ in der Galerie NAILS projectroom in Düsseldorf zu sehen. Dort hat sie schwerpunktmäßig Fachfrauen der Düsseldorfer Malerschule zusammengetragen: Die Schau von den Kuratorinnen Kasia Lorenc und Angelika J. Trojnarski setzt im Beuys-Jahr und anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Zulassung von Frauen an der Kunstakademie Düsseldorf eine bewusst weibliche Position in den Vordergrund. „Gerade jetzt liegt der Fokus wieder auf dieser männlichen Künstlerpersönlichkeit, auf dem Genie“, so Reich.
In ihren Arbeiten verbindet die Künstlerin zeitgenössische Techniken wie Fotografie, Video und Performance mit Malerei oder Skulptur. Am Anfang stehe bei ihr das Thema. „Mich interessiert zum Beispiel, was durch die Digitalisierung gesellschaftlich gerade passiert“, so die 44-Jährige.
Derzeit lasse sie Tuschezeichnungen von einer künstlichen Intelligenz interpretieren. Das werfe wiederum die Frage auf, wer diese mit Daten gefüttert habe und dabei kämen wieder Ungleichheiten zum Vorschein. Datenbanken, die auf Algorithmen basieren, seien voller geschlechtsbezogener Datenlücken.
Im Netz seien etwa bis zu 40 Prozent weniger weibliche als männliche Stimmen in Datenbanken vertreten. Diesem Mangel setzt Reich etwas entgegen: Für die Künstlerinnen, die sie ausfindig gemacht hat, hat sie einen eigenen Wikipedia-Artikel erstellt oder bestehende ergänzt. Eine weibliche Computerstimme liest sie vor.
Die Ausstellung Beuys & Girls im Nails projectroom, Birkenstraße 61, Düsseldorf, geht bis zum 10. Juli. Öffnungszeiten sind donnerstags und freitags 13 bis 18 Uhr, samstags von 12 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung.