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Streit der WocheSollen Autospuren in Köln temporär zu Radwegen werden?

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Ein Arbeiter richtet einen „Pop-up-Radweg“ in Berlin ein. (Symbolbild)

  1. Die Kölner Stadtverwaltung möchte für die Zeit der Corona-Pandemie verstärkt Autospuren für Radfahrer freigeben.
  2. Damit einher ginge ein großflächiges Tempo-30-Gebot auf den betreffenden Straßen. Ist das sinnvoll?
  3. Tim Attenberger, 40, stellvertretender Leiter der Kölner Lokalredaktion, fährt mit Begeisterung Fahrrad, obwohl das in der Stadt auf den maroden Radwegen nur selten Spaß bereitet.
  4. Christian Hümmeler, 52, Ressortleiter der Kölner Lokalredaktion, kennt das Radwegenetz der Stadt seit mehr als 30 Jahren. Verändert hat es sich in dieser Zeit kaum.

Unser Streit der Woche: Sollen Autospuren in Köln temporär zu Radwegen werden?

Pro: Wer zu lange zögert, verpasst eine Chance für die Verkehrswende

von Tim Attenberger

Der Corona-Pandemie etwas Positives abzugewinnen, fällt nicht leicht. Zu sehr fehlt das gewohnte Leben mit den vielen Möglichkeiten. Das muss aber nicht bedeuten, dass sich die Krise nicht trotz aller Einschränkungen kreativ nutzen lässt. Der Blick in die Bundeshauptstadt zeigt das: Überall entstehen innerhalb kürzester Zeit neue Radwege – sogenannte Pop-up-Bike-Lanes. Dabei handelt es sich um Radspuren, die kurzfristig und zunächst zeitlich begrenzt auf einer Autospur oder auf einem Parkstreifen eingerichtet werden.

Die Berliner haben sich während der Pandemie daran erinnert, dass sie eine Verkehrswende schaffen wollen. Das einzige Verkehrsmittel, das in Metropolen kurzfristig noch deutliche Zuwächse zulässt, ist das Fahrrad. Die Kapazitäten für Autos sind längst erschöpft, und der Ausbau des Straßenbahn- und U-Bahn-Netzes dauert zu lange. Eine Verkehrswende bedeutet auch immer eine Abkehr vom Auto – das gilt in Berlin ebenso wie in Köln.

ADFC hatte bereits vor Wochen Pop-up-Bike-Lanes gefordert

Das Team um Verkehrsdezernentin Andrea Blome – ohnehin nicht dafür bekannt, das Radwegenetz in Köln konsequent auszubauen – hat sich leider deutlich weniger mutig gezeigt als die Kollegen in der Hauptstadt. Der örtliche Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hatte bereits vor Wochen Pop-up-Bike-Lanes gefordert. Doch die Rufe verhallten wie so oft ungehört. Erst vor wenigen Tagen wagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker einen Vorstoß, indem sie beim Landesverkehrsminister darum bat, während der Corona-Pandemie die Radwegebenutzungspflicht aufheben zu dürfen und an diesen Stellen Tempo 30 einzuführen.

Das alles ist zwar nicht annähernd so kreativ und mutig wie in Berlin, weist aber immerhin in die richtige Richtung. Niemand wird bezweifeln, dass das Radwegenetz in Köln bis auf wenige Ausnahmen völlig unterentwickelt und marode ist. Das merken jetzt auch diejenigen, die aus Sorge vor einer Infektion auf die Fahrt mit Bus und Bahn verzichten und auf das Rad umgestiegen sind.

Deutlich weniger Autos als sonst unterwegs

Auf den Straßen sind zurzeit deutlich weniger Autos als sonst unterwegs, weil viele Menschen im Homeoffice arbeiten. Was wäre da sinnvoller, als die Krise als Kreativ-Labor zu nutzen? Dazu eignen sich die Pop-up-Bike-Lanes nach Berliner Vorbild ideal. Eine Autospur wird kurzerhand als Baustelle mit gelben Markierungen und rot-weißen Baken gekennzeichnet. Die Radfahrer dürfen diese als Radweg benutzen. Die Umsetzung dauert inklusive Planung nicht länger als eine Woche. Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung beobachten das Ergebnis anschließend und justieren gegebenenfalls nach. Stellt sich eine der temporären Radspuren als alltagstauglich heraus, bleibt sie auch nach der Corona-Krise bestehen und wird dauerhaft umgebaut.

Das alles ist möglich, weil die Pläne für Radspuren bereits fertig in den Schubladen liegen. Man möchte den Kölner Verkehrsplanern daher zurufen: „Nur Mut, traut Euch und seid schnell.“ Wer jetzt zu lange zögert, verpasst eine echte Chance für die Verkehrswende.

Contra: Ein Schnellschuss, der gerade gut in die Landschaft passt

Radfahrer auf dem einem Fahrradschutzstreifen (Symbolbild)

von Christian Hümmeler

Zugegeben, die Idee klingt erstmal charmant: Warum nicht in Zeiten, in denen nur ein Bruchteil des sonst üblichen Autoverkehrs in Köln unterwegs ist, einzelne Fahrspuren zu Radwegen umfunktionieren? Leider ist die Idee der Oberbürgermeisterin nicht mehr als ein Schnellschuss. Der zwar gerade gut in die Landschaft passt, aber in keiner Weise dazu angetan ist, das grundsätzliche Problem zu lösen. Der Vorschlag zeigt einmal mehr, dass es eine strukturierte Vorstellung, wie denn der Verkehr in Köln künftig organisiert werden soll und auf welche Verkehrsmittel man setzt, nicht einmal im Ansatz existiert.

Dabei ist ein solches Konzept schon seit Jahren fällig. Längst müsste auch ein politischer Konsens darüber hergestellt sein, wie die innerstädtischen Verkehrsprobleme – neben dem Thema Wohnen bis zum Beginn der Corona-Krise sicherlich die größte Herausforderung der Stadt – zukunftsfähig gelöst werden können. Dass dabei das Fahrrad eine deutlich größere Rolle spielen muss als bisher, sollte jedem klar sein, der sich ernsthaft mit dem Thema befasst und nicht nur als Lobbyist mit begrenztem Blickfeld unterwegs ist. Klar ist auch, dass mehr Raum für den Radverkehr zwar den für Autos verfügbaren Platz einschränkt, der Individualverkehr aber nicht verbannt werden darf. Gleichzeitig ist ein so zügiger wie mutiger Ausbau des ÖPNV unabdingbar.

Neubewertung der Verkehrsthematik in Köln

Klar, so ein Konzept entsteht nicht von heute auf morgen. Es könnte aber schon längst vorliegen. Dazu hätte es allerdings deutlich mehr Einsatz und Engagement der Verantwortlichen gebraucht. Doch noch im letzten OB-Wahlkampf verweigerten sich Reker noch ihr Kontrahent Jochen Ott einer solchen Neubewertung der Verkehrsthematik, beide kamen über Allgemeinplätze nicht hinaus. Zu groß war die Sorge, mit einer innovativen Verkehrsstrategie womöglich einflussreiche Interessengruppen zu vergrätzen.

Dabei kann der Verkehr durchaus ein Gewinnerthema sein. Dazu braucht es allerdings nicht nur eine grundsätzliche Idee und den festen Willen, diese voranzutreiben. Es braucht vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit allen Beteiligten, eine Abwägung der Interessen und eine Moderation der zwangsläufig entstehenden Konflikte. Zu all dem war die Stadt bislang nicht in der Lage. Und so ist auch die Radverkehrspolitik der letzten Jahre nicht mehr als Stückwerk – als Einzelmaßnahme zwar manchmal hilfreich, als Konzept aber nicht erkennbar.

Grundsätzliches Desinteresse der Verantwortlichen am Radverkehr

Das grundsätzliche Desinteresse der Verantwortlichen am Radverkehr ist an zahllosen Orten in der Stadt ablesbar. Wer etwa einmal entlang des Gürtels von Nord nach Süd radelt, der findet zwar fast durchgängig Radwege vor. Allerdings in allen Stadien des Verfalls, es finden sich gefährliche Schlaglöcher genau so wie Werbetafeln oder Verkehrsschilder, die in den Radweg ragen. Und dass Falschparker auf den Radwegen kaum einmal etwas zu befürchten haben, gilt nicht nur hier.

Andere Städte sind schon lange enteilt, das gilt längst nicht mehr nur für das seit ewigen Zeiten als Vorbild genannte Kopenhagen. Ein paar willkürlich freigegebene Fahrspuren helfen jedenfalls nicht weiter.